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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. IV. Band.

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schaft, wie im Leben, nie etwas wahrhaft Großes geleistet worden ist.
Fritzsche ist noch zu jung und unbedeutend. Adrian, früher Herausgeber
des rheinischen Taschenbuchs und Universitätsbibliothekar, vertritt
die neuern Sprachen. Doch kündigt er die Vorlesungen nur an.
Seine Verwaltung der Universitätsbibliothek hält die Studiosen sehr
dial (er ist Censor von Gießen). Die Bibliothek mag wohl nur als
für die Docenten vorhanden angesehen werden. Alles patriarchalisch!!
Man scheint überhaupt in Gießen vor jedem jugendlichen Elemente
große Furcht zu hegen. Ein Privatdocent muß besonders protegirt und
mehr noch als unverdächtig sein, wenn er avanciren soll. So harrt
auch Otto, den modernen Richtungen angehörig, schon lange vergebens
auf eine verdiente und angemessene Beförderung. -- Die Geschichte ist
in Gießen nur von einem Manne (man denke!), von Schäfer, ver¬
treten. Er hat ein gründliches Werk über portugiesische und spanische
Geschichte geschrieben, doch ist er zu trocken und farblos. Neben einem
Schlosser und Dahlmann darf man ihn kaum nennen. So müssen
denn die historischen Studien in Gießen auf eine unverantwortliche
Weise darniederliegen. Jungen Leuten erschwert man den Zutritt zum
Katheder. Früher las S chmitthenner mit großem Applaus Ge¬
schichte; die Gießener hielten ihn für einen höchst bedeutenden Historiker,
weil er durch Zötchen und Anektdötchen zu unterhalten wußte.

Was soll man von der Jurisprudenz sagen? In Gießen huldigt
man durchweg dem Romanismus. Culminationspunkt des Freisinns
ist hier: Verhör bei offenen Thüren und Pennsylvanisches Abtödtungs-
system. Da die Frankfurter Germanistenversammlung es verschmäht
hat, die Romanisten einzuladen, so wird es das verehrliche Publicum
auch uns verzeihen, wenn wir sein Gedächtniß nicht mit Namen von
Gießener Romanisten behelligen. V. Grolmann, ein outrirtes Talent,
und Hillebrand, ein junger Docent, vertreten noch einigermaßen
"das alte, gute Recht." Uebrigens kann man sich in Gießen Kennt¬
nisse im Altdeutschen nur durch Selbststudium aneignen!

Cameral- und Staatswissenschaften vertritt Schmitthenner, ein in
seiner Universalität merkwürdiges Talent, dem es jedoch an dem rech¬
ten, energischen Mittelpunkte zu fehlen scheint. Seine Thätigkeit als
Landtagsdeputirttr verräth wenig Charakter und Farbe.

Man legt in Gießen einen Hauptaccent auf die cracker Discipli¬
nen; Liebig mag das Hauptsächlichste dazu beigetragen haben, der
Universität diesen Schwerpunkt zu geben. Wir können jedoch über


schaft, wie im Leben, nie etwas wahrhaft Großes geleistet worden ist.
Fritzsche ist noch zu jung und unbedeutend. Adrian, früher Herausgeber
des rheinischen Taschenbuchs und Universitätsbibliothekar, vertritt
die neuern Sprachen. Doch kündigt er die Vorlesungen nur an.
Seine Verwaltung der Universitätsbibliothek hält die Studiosen sehr
dial (er ist Censor von Gießen). Die Bibliothek mag wohl nur als
für die Docenten vorhanden angesehen werden. Alles patriarchalisch!!
Man scheint überhaupt in Gießen vor jedem jugendlichen Elemente
große Furcht zu hegen. Ein Privatdocent muß besonders protegirt und
mehr noch als unverdächtig sein, wenn er avanciren soll. So harrt
auch Otto, den modernen Richtungen angehörig, schon lange vergebens
auf eine verdiente und angemessene Beförderung. — Die Geschichte ist
in Gießen nur von einem Manne (man denke!), von Schäfer, ver¬
treten. Er hat ein gründliches Werk über portugiesische und spanische
Geschichte geschrieben, doch ist er zu trocken und farblos. Neben einem
Schlosser und Dahlmann darf man ihn kaum nennen. So müssen
denn die historischen Studien in Gießen auf eine unverantwortliche
Weise darniederliegen. Jungen Leuten erschwert man den Zutritt zum
Katheder. Früher las S chmitthenner mit großem Applaus Ge¬
schichte; die Gießener hielten ihn für einen höchst bedeutenden Historiker,
weil er durch Zötchen und Anektdötchen zu unterhalten wußte.

Was soll man von der Jurisprudenz sagen? In Gießen huldigt
man durchweg dem Romanismus. Culminationspunkt des Freisinns
ist hier: Verhör bei offenen Thüren und Pennsylvanisches Abtödtungs-
system. Da die Frankfurter Germanistenversammlung es verschmäht
hat, die Romanisten einzuladen, so wird es das verehrliche Publicum
auch uns verzeihen, wenn wir sein Gedächtniß nicht mit Namen von
Gießener Romanisten behelligen. V. Grolmann, ein outrirtes Talent,
und Hillebrand, ein junger Docent, vertreten noch einigermaßen
„das alte, gute Recht." Uebrigens kann man sich in Gießen Kennt¬
nisse im Altdeutschen nur durch Selbststudium aneignen!

Cameral- und Staatswissenschaften vertritt Schmitthenner, ein in
seiner Universalität merkwürdiges Talent, dem es jedoch an dem rech¬
ten, energischen Mittelpunkte zu fehlen scheint. Seine Thätigkeit als
Landtagsdeputirttr verräth wenig Charakter und Farbe.

Man legt in Gießen einen Hauptaccent auf die cracker Discipli¬
nen; Liebig mag das Hauptsächlichste dazu beigetragen haben, der
Universität diesen Schwerpunkt zu geben. Wir können jedoch über


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_365123/144>, abgerufen am 26.08.2024.