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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. IV. Band.

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Die Schule! Ich will nicht gradezu den Stab brechen über die
Darmstädtischen Gymnasien, habe jedoch die Ansicht, daß es Herrn
Schmitthenner bei seinem Panegyricus derselben einst sehr zu Statten
kam, daß Thiersch in München zugleich auf die rheinpreußischen, nas-
sauischen und kurhessischen Bildungsanstalten seinen Angriff berechnet
hatte, und daß es eben die Principien eines Thiersch waren, denen
seine taktfester Streiche galten. Daß man unsere Gymnasien keineswegs
als Muster hinstellen kann, davon ist schon der Umstand ein schlagen-
der Beweis, daß die jungen Leute sie so häufig in einem Alter von
--17 Jahren, also noch unreif an Geist und Körper, mit der Uni¬
versität vertauschen. Freilich hat man auch in andern Ländern noch
keine Gymnasien, wie sie sein sollten (wie sehr sehlt es nicht den mei¬
sten Philologen an Methode und pädagogischen Takt!), auch anders¬
wo herrscht noch der traurige Unfug, daß die lateinische und griechische
Grammatik mehr Selbstzweck als Mittel ist, und nicht blos bei
uns haben die Stockphilosophen (sit vvni-r verbo!) vorzugsweise ihre
paar Lesarten in Augen: allein man lernt doch anderswo wenigstens
so viel, daß man mit Nutzen weiter studiren kann, -- was auf darm¬
städtischen Anstalten gar häusig nicht der Fall ist. In Gießen ist man
in der Prima noch nicht über die Schwierigkeiten der Grammatik hin¬
aus; hier wird keine Mythologie, keine Archäologie, nicht neueste Ge¬
schichte, kein Altdeutsch und überhaupt deutsche Grammatik nur noth¬
dürftig in den untern Klassen getrieben; auch Mathematik und Natur¬
wissenschaften werden schnöde vernachlässigt. In Darmstadt treibt
man von dem Allem etwas: es herrscht dort, wie es scheint, ein sü߬
licher Dilettantismus; die Mehrzahl der vou Darmstadt kommenden
Studenten dichtet.

Mittelalterliche Kurzsichtigkeit verlegte die Universitäten häusig an
kleine, vom Weltverkehr gesonderte Orte, weil man die Ansicht hegte,
hier könne der Studiosus besser seinen Cicero und seine Kirchenväter
auswendig lernen und spitzfindigen Unsinn über die x-olle?^ und
x(>öl/,is aushecken. Es war die Zeit, als ein Menzer und Feuerborn
nach dem alten Gießener Sprichworte:


"Menzer und Feuerborn
Haben die Welt verworr'n"

mit solchen Spitzfindigkeiten noch Deutschland allarmirte, als die
Studenten noch so rüde waren, daß ihres nächtlichen Gebrülls wegen
anständige Leute die Stadt verließen, als noch der Ephorus mit seinen
Stipendiaten im Speisehaus zu Tische saß und einer der armen seu-


Die Schule! Ich will nicht gradezu den Stab brechen über die
Darmstädtischen Gymnasien, habe jedoch die Ansicht, daß es Herrn
Schmitthenner bei seinem Panegyricus derselben einst sehr zu Statten
kam, daß Thiersch in München zugleich auf die rheinpreußischen, nas-
sauischen und kurhessischen Bildungsanstalten seinen Angriff berechnet
hatte, und daß es eben die Principien eines Thiersch waren, denen
seine taktfester Streiche galten. Daß man unsere Gymnasien keineswegs
als Muster hinstellen kann, davon ist schon der Umstand ein schlagen-
der Beweis, daß die jungen Leute sie so häufig in einem Alter von
—17 Jahren, also noch unreif an Geist und Körper, mit der Uni¬
versität vertauschen. Freilich hat man auch in andern Ländern noch
keine Gymnasien, wie sie sein sollten (wie sehr sehlt es nicht den mei¬
sten Philologen an Methode und pädagogischen Takt!), auch anders¬
wo herrscht noch der traurige Unfug, daß die lateinische und griechische
Grammatik mehr Selbstzweck als Mittel ist, und nicht blos bei
uns haben die Stockphilosophen (sit vvni-r verbo!) vorzugsweise ihre
paar Lesarten in Augen: allein man lernt doch anderswo wenigstens
so viel, daß man mit Nutzen weiter studiren kann, — was auf darm¬
städtischen Anstalten gar häusig nicht der Fall ist. In Gießen ist man
in der Prima noch nicht über die Schwierigkeiten der Grammatik hin¬
aus; hier wird keine Mythologie, keine Archäologie, nicht neueste Ge¬
schichte, kein Altdeutsch und überhaupt deutsche Grammatik nur noth¬
dürftig in den untern Klassen getrieben; auch Mathematik und Natur¬
wissenschaften werden schnöde vernachlässigt. In Darmstadt treibt
man von dem Allem etwas: es herrscht dort, wie es scheint, ein sü߬
licher Dilettantismus; die Mehrzahl der vou Darmstadt kommenden
Studenten dichtet.

Mittelalterliche Kurzsichtigkeit verlegte die Universitäten häusig an
kleine, vom Weltverkehr gesonderte Orte, weil man die Ansicht hegte,
hier könne der Studiosus besser seinen Cicero und seine Kirchenväter
auswendig lernen und spitzfindigen Unsinn über die x-olle?^ und
x(>öl/,is aushecken. Es war die Zeit, als ein Menzer und Feuerborn
nach dem alten Gießener Sprichworte:


„Menzer und Feuerborn
Haben die Welt verworr'n"

mit solchen Spitzfindigkeiten noch Deutschland allarmirte, als die
Studenten noch so rüde waren, daß ihres nächtlichen Gebrülls wegen
anständige Leute die Stadt verließen, als noch der Ephorus mit seinen
Stipendiaten im Speisehaus zu Tische saß und einer der armen seu-


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[0136] Die Schule! Ich will nicht gradezu den Stab brechen über die Darmstädtischen Gymnasien, habe jedoch die Ansicht, daß es Herrn Schmitthenner bei seinem Panegyricus derselben einst sehr zu Statten kam, daß Thiersch in München zugleich auf die rheinpreußischen, nas- sauischen und kurhessischen Bildungsanstalten seinen Angriff berechnet hatte, und daß es eben die Principien eines Thiersch waren, denen seine taktfester Streiche galten. Daß man unsere Gymnasien keineswegs als Muster hinstellen kann, davon ist schon der Umstand ein schlagen- der Beweis, daß die jungen Leute sie so häufig in einem Alter von —17 Jahren, also noch unreif an Geist und Körper, mit der Uni¬ versität vertauschen. Freilich hat man auch in andern Ländern noch keine Gymnasien, wie sie sein sollten (wie sehr sehlt es nicht den mei¬ sten Philologen an Methode und pädagogischen Takt!), auch anders¬ wo herrscht noch der traurige Unfug, daß die lateinische und griechische Grammatik mehr Selbstzweck als Mittel ist, und nicht blos bei uns haben die Stockphilosophen (sit vvni-r verbo!) vorzugsweise ihre paar Lesarten in Augen: allein man lernt doch anderswo wenigstens so viel, daß man mit Nutzen weiter studiren kann, — was auf darm¬ städtischen Anstalten gar häusig nicht der Fall ist. In Gießen ist man in der Prima noch nicht über die Schwierigkeiten der Grammatik hin¬ aus; hier wird keine Mythologie, keine Archäologie, nicht neueste Ge¬ schichte, kein Altdeutsch und überhaupt deutsche Grammatik nur noth¬ dürftig in den untern Klassen getrieben; auch Mathematik und Natur¬ wissenschaften werden schnöde vernachlässigt. In Darmstadt treibt man von dem Allem etwas: es herrscht dort, wie es scheint, ein sü߬ licher Dilettantismus; die Mehrzahl der vou Darmstadt kommenden Studenten dichtet. Mittelalterliche Kurzsichtigkeit verlegte die Universitäten häusig an kleine, vom Weltverkehr gesonderte Orte, weil man die Ansicht hegte, hier könne der Studiosus besser seinen Cicero und seine Kirchenväter auswendig lernen und spitzfindigen Unsinn über die x-olle?^ und x(>öl/,is aushecken. Es war die Zeit, als ein Menzer und Feuerborn nach dem alten Gießener Sprichworte: „Menzer und Feuerborn Haben die Welt verworr'n" mit solchen Spitzfindigkeiten noch Deutschland allarmirte, als die Studenten noch so rüde waren, daß ihres nächtlichen Gebrülls wegen anständige Leute die Stadt verließen, als noch der Ephorus mit seinen Stipendiaten im Speisehaus zu Tische saß und einer der armen seu-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_365123/136>, abgerufen am 24.07.2024.