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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. IV. Band.

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grenzend; sein mattes Auge hat etwas schmachtendes, vielleicht Leiden¬
des; ein immerwährendes Zittern an den Händen vermehrt diesen Ein¬
druck, und seine Stimme ist ganz entsprechend -- vornehm leise und
kränklich empfindsam. Das ganze Wesen dieses Mannes ist so glatt
und leer, daß man ihn nach einer Viertelstunde auswendig weiß und
nöthigenfalls hersagen könnte. Nach den ersten herkömmlichen Begrü-
ßungsphrascn nahm das Gespräch, ehe ich mich dessen versah, eine re¬
ligiöse Wendung. Herr X. fragte mich nach verschiedenen Genfer Geist¬
lichen, die vor Jahren in meiner deutschen Vaterstadt die französischen
Gemeindeseelen besorgt hatten. Ich glaubte diese Unterhaltung am be¬
sten durch die Erklärung abzuschneiden, daß mir diese Herren völlig
unbekannt seien. Aber grade das Gegentheil war der Erfolg. Mit
aufwärts gerichteten Augen und tremulirender Stimme beklagte mich
Herr X., daß mir bis jetzt die genußreiche Bekanntschaft jener ausge¬
zeichneten Christen gefehlt habe und schätzte sich glücklich, mich densel¬
ben in Kurzem vorstellen zu können. Ich verneigte mich stumm, da
ich einsah, daß es hier keinen Ausweg gebe und empfahl mich nach
wenigen Minuten. Tags darauf erhielt ich ein Billet, worin mich
Herr X. zum Mittagessen einlud, mit dem Bemerken, daß er meinem
Wunsche gemäß jene Geistlichen eingeladen habe, auf deren Bekannt¬
schaft ich mit Recht so begierig sei. Ich war sehr ärgerlich über diese
Einladung und lange im Zweifel, ob ich derselben folgen oder absa¬
gen sollte.

Unbegreiflich schien es mir, daß man mich, einen jungen Mann,
dem die Lebenslust aus jedem Blicke sprach, auf solche Weise zu f6-
tirer gedachte. Das sah ja beinahe aus, wie ein Bekehrungsversuch.'
Bekehrung! -- Jetzt ward mir auf einmal der ganze Zusammenhang
klar. Der junge X. in Paris hatte mich mehrmals meine religiösen
Ansichten unumwunden aussprechen hören und mir den Vorwurf der
Unchristlichkeit und des Unglaubens gemacht. Beängstigt um mein See¬
lenheil, bot er mir an seine Familie in Genf eine Empfehlung an und
gab dieser in's Geheim Nachricht über die schlechte Verfassung meiner
Seele. Daß es nicht anders sein könne, davon war ich jetzt fest über¬
zeugt (und später hat es sich ganz so bestätigt). Dennoch konnte ich
über diese fromme Perfidie nicht ernstlich böse sein, sondern betrachtete
es als eine herrliche Gelegenheit, diese Menschen von Grund aus zu
studiren. Den folgenden Tag erschien ich bei X., wo sich Herr La-
harpe, eines der Häupter der Momiers, bereits eingefunden hatte. Hr.
X. stellte mich vor und drückte mir sein Bedauern ans, daß Hr. silet


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grenzend; sein mattes Auge hat etwas schmachtendes, vielleicht Leiden¬
des; ein immerwährendes Zittern an den Händen vermehrt diesen Ein¬
druck, und seine Stimme ist ganz entsprechend — vornehm leise und
kränklich empfindsam. Das ganze Wesen dieses Mannes ist so glatt
und leer, daß man ihn nach einer Viertelstunde auswendig weiß und
nöthigenfalls hersagen könnte. Nach den ersten herkömmlichen Begrü-
ßungsphrascn nahm das Gespräch, ehe ich mich dessen versah, eine re¬
ligiöse Wendung. Herr X. fragte mich nach verschiedenen Genfer Geist¬
lichen, die vor Jahren in meiner deutschen Vaterstadt die französischen
Gemeindeseelen besorgt hatten. Ich glaubte diese Unterhaltung am be¬
sten durch die Erklärung abzuschneiden, daß mir diese Herren völlig
unbekannt seien. Aber grade das Gegentheil war der Erfolg. Mit
aufwärts gerichteten Augen und tremulirender Stimme beklagte mich
Herr X., daß mir bis jetzt die genußreiche Bekanntschaft jener ausge¬
zeichneten Christen gefehlt habe und schätzte sich glücklich, mich densel¬
ben in Kurzem vorstellen zu können. Ich verneigte mich stumm, da
ich einsah, daß es hier keinen Ausweg gebe und empfahl mich nach
wenigen Minuten. Tags darauf erhielt ich ein Billet, worin mich
Herr X. zum Mittagessen einlud, mit dem Bemerken, daß er meinem
Wunsche gemäß jene Geistlichen eingeladen habe, auf deren Bekannt¬
schaft ich mit Recht so begierig sei. Ich war sehr ärgerlich über diese
Einladung und lange im Zweifel, ob ich derselben folgen oder absa¬
gen sollte.

Unbegreiflich schien es mir, daß man mich, einen jungen Mann,
dem die Lebenslust aus jedem Blicke sprach, auf solche Weise zu f6-
tirer gedachte. Das sah ja beinahe aus, wie ein Bekehrungsversuch.'
Bekehrung! — Jetzt ward mir auf einmal der ganze Zusammenhang
klar. Der junge X. in Paris hatte mich mehrmals meine religiösen
Ansichten unumwunden aussprechen hören und mir den Vorwurf der
Unchristlichkeit und des Unglaubens gemacht. Beängstigt um mein See¬
lenheil, bot er mir an seine Familie in Genf eine Empfehlung an und
gab dieser in's Geheim Nachricht über die schlechte Verfassung meiner
Seele. Daß es nicht anders sein könne, davon war ich jetzt fest über¬
zeugt (und später hat es sich ganz so bestätigt). Dennoch konnte ich
über diese fromme Perfidie nicht ernstlich böse sein, sondern betrachtete
es als eine herrliche Gelegenheit, diese Menschen von Grund aus zu
studiren. Den folgenden Tag erschien ich bei X., wo sich Herr La-
harpe, eines der Häupter der Momiers, bereits eingefunden hatte. Hr.
X. stellte mich vor und drückte mir sein Bedauern ans, daß Hr. silet


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_365123/113>, abgerufen am 23.07.2024.