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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. II. Band.

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liebe Häufung, die den Gegnern leichte Waffe zur Verspottung in
die Hand gab. Die Reichhaltigkeit unserer Sprache, die für jede
Schattirung eines Begriffes u. s. w. ein eigenes Wort hat, so wie
die Fortbildungsfähigkeit des vorhandenen Sprachschatzes, gerade
diese Vorzüge erschweren uns die feste Gestaltung einer volksthüm-
lichen Sprache. Es ist aber nicht nöthig, daß in einem Worte alle
Nebenbegriffe mit ausgedrückt seien; laßt es nur gäng und gäbe
werden, es wird sich sein Gebiet schon behaupten.

Es gibt, wie für das Auge, so auch für das Ohr gleichsam
eine Mode. Wie manche körperliche, so erscheint uns auch nach
und nach manche geistige Gewandung nicht mehr so auffällig; es
kommt nur darauf an, daß man mit dem Naturgemäßen und Schö¬
nen nicht vereinzelt dastehe, sondern Viele sich zu dessen Gebrauch
zusammenthun und anschließen. Wäre von der Schul- und Kanz¬
leiweisheit etwas Unselbstisches, wahrhaft Volksthümliches zu hoffen,
so wäre es hier gegeben, die Reinheit der Sprache vielfach festzu¬
setzen) aber auch hier tritt neben dem vornehmen Dünkel die staat¬
liche Trennung in den Weg: während in Süddeutschland etwas
im Abstreich versteigert wird, hat man am Rheine und im Norden
den "Soumissionsweg", während man in Süddeutschland vergantet
wird, kommt man im Norden in "Concurs", die süddeutschen Volks¬
kammern verweisen eine "Petition" an die "Commission" und die
norddeutschen an eine "Deputation" u. s. w.

Man hat es versäumt, zum Nachtheil für das Volksthum und
seine dichterische Fassung, neue Erscheinungen alsbald mit einheimischen
Lauten zu bezeichnen, wie z. B.Locomotive u. tgi. und wir müssen
noch froh sein, daß man bei der Abfahrt nicht -Ul ri^de ruft, den
reisenden Herren Engländern zu Gefallen. Und unsere aberwitzige
sogenannte vornehme Welt dünkt sich um "so sublimer und erclusi-
ver", je mehr sie "die banalen Phrasen der Bourgeoisie evitirt" und
fremdes Kauderwelsch in ihre "sociale Conversation meurt".

Es ist schon anderweit bemerkt worden, daß diese Fremdsüch¬
telei ein trauriger Charakterzug in unserm Vaterlande ist, denn bet
keiner andern Nation der Welt gilt man für vorneh¬
mer, wenn man ausländisch ist. Aus der Höhe der "Socie¬
tät" sind denn auch schon manche Früchte in die niederen Gebiete
herabgefallen und es gibt manchen Dandy und Lion im Bauern-


liebe Häufung, die den Gegnern leichte Waffe zur Verspottung in
die Hand gab. Die Reichhaltigkeit unserer Sprache, die für jede
Schattirung eines Begriffes u. s. w. ein eigenes Wort hat, so wie
die Fortbildungsfähigkeit des vorhandenen Sprachschatzes, gerade
diese Vorzüge erschweren uns die feste Gestaltung einer volksthüm-
lichen Sprache. Es ist aber nicht nöthig, daß in einem Worte alle
Nebenbegriffe mit ausgedrückt seien; laßt es nur gäng und gäbe
werden, es wird sich sein Gebiet schon behaupten.

Es gibt, wie für das Auge, so auch für das Ohr gleichsam
eine Mode. Wie manche körperliche, so erscheint uns auch nach
und nach manche geistige Gewandung nicht mehr so auffällig; es
kommt nur darauf an, daß man mit dem Naturgemäßen und Schö¬
nen nicht vereinzelt dastehe, sondern Viele sich zu dessen Gebrauch
zusammenthun und anschließen. Wäre von der Schul- und Kanz¬
leiweisheit etwas Unselbstisches, wahrhaft Volksthümliches zu hoffen,
so wäre es hier gegeben, die Reinheit der Sprache vielfach festzu¬
setzen) aber auch hier tritt neben dem vornehmen Dünkel die staat¬
liche Trennung in den Weg: während in Süddeutschland etwas
im Abstreich versteigert wird, hat man am Rheine und im Norden
den „Soumissionsweg", während man in Süddeutschland vergantet
wird, kommt man im Norden in „Concurs", die süddeutschen Volks¬
kammern verweisen eine „Petition" an die „Commission" und die
norddeutschen an eine „Deputation" u. s. w.

Man hat es versäumt, zum Nachtheil für das Volksthum und
seine dichterische Fassung, neue Erscheinungen alsbald mit einheimischen
Lauten zu bezeichnen, wie z. B.Locomotive u. tgi. und wir müssen
noch froh sein, daß man bei der Abfahrt nicht -Ul ri^de ruft, den
reisenden Herren Engländern zu Gefallen. Und unsere aberwitzige
sogenannte vornehme Welt dünkt sich um „so sublimer und erclusi-
ver", je mehr sie „die banalen Phrasen der Bourgeoisie evitirt" und
fremdes Kauderwelsch in ihre „sociale Conversation meurt".

Es ist schon anderweit bemerkt worden, daß diese Fremdsüch¬
telei ein trauriger Charakterzug in unserm Vaterlande ist, denn bet
keiner andern Nation der Welt gilt man für vorneh¬
mer, wenn man ausländisch ist. Aus der Höhe der „Socie¬
tät" sind denn auch schon manche Früchte in die niederen Gebiete
herabgefallen und es gibt manchen Dandy und Lion im Bauern-


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[0099] liebe Häufung, die den Gegnern leichte Waffe zur Verspottung in die Hand gab. Die Reichhaltigkeit unserer Sprache, die für jede Schattirung eines Begriffes u. s. w. ein eigenes Wort hat, so wie die Fortbildungsfähigkeit des vorhandenen Sprachschatzes, gerade diese Vorzüge erschweren uns die feste Gestaltung einer volksthüm- lichen Sprache. Es ist aber nicht nöthig, daß in einem Worte alle Nebenbegriffe mit ausgedrückt seien; laßt es nur gäng und gäbe werden, es wird sich sein Gebiet schon behaupten. Es gibt, wie für das Auge, so auch für das Ohr gleichsam eine Mode. Wie manche körperliche, so erscheint uns auch nach und nach manche geistige Gewandung nicht mehr so auffällig; es kommt nur darauf an, daß man mit dem Naturgemäßen und Schö¬ nen nicht vereinzelt dastehe, sondern Viele sich zu dessen Gebrauch zusammenthun und anschließen. Wäre von der Schul- und Kanz¬ leiweisheit etwas Unselbstisches, wahrhaft Volksthümliches zu hoffen, so wäre es hier gegeben, die Reinheit der Sprache vielfach festzu¬ setzen) aber auch hier tritt neben dem vornehmen Dünkel die staat¬ liche Trennung in den Weg: während in Süddeutschland etwas im Abstreich versteigert wird, hat man am Rheine und im Norden den „Soumissionsweg", während man in Süddeutschland vergantet wird, kommt man im Norden in „Concurs", die süddeutschen Volks¬ kammern verweisen eine „Petition" an die „Commission" und die norddeutschen an eine „Deputation" u. s. w. Man hat es versäumt, zum Nachtheil für das Volksthum und seine dichterische Fassung, neue Erscheinungen alsbald mit einheimischen Lauten zu bezeichnen, wie z. B.Locomotive u. tgi. und wir müssen noch froh sein, daß man bei der Abfahrt nicht -Ul ri^de ruft, den reisenden Herren Engländern zu Gefallen. Und unsere aberwitzige sogenannte vornehme Welt dünkt sich um „so sublimer und erclusi- ver", je mehr sie „die banalen Phrasen der Bourgeoisie evitirt" und fremdes Kauderwelsch in ihre „sociale Conversation meurt". Es ist schon anderweit bemerkt worden, daß diese Fremdsüch¬ telei ein trauriger Charakterzug in unserm Vaterlande ist, denn bet keiner andern Nation der Welt gilt man für vorneh¬ mer, wenn man ausländisch ist. Aus der Höhe der „Socie¬ tät" sind denn auch schon manche Früchte in die niederen Gebiete herabgefallen und es gibt manchen Dandy und Lion im Bauern-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_365120/99>, abgerufen am 24.11.2024.