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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. II. Band.

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Volk. Man braucht nicht zu stottern und allerlei Theile auszulassen,
um sich einem schwer Hörenden und Sprechenden verständlich zu
machen; dieser versteht gerade den am besten, der am vollsten und
rundesten spricht.

Die Volksschrift muß auch das mit dem Volksliede gemein
haben, daß sie wie dieses nicht unmittelbar für die stummen Zeilen
des Drucks zubereitet sei. Wie das Volkslied erst gesungen und
später erst aufgeschrieben wurde, so muß auch die Volksschrift ge¬
wissermaßen erst mundlich erzählt und dann erst aufgezeichnet wer¬
den. Dadurch zeigt sie sich auch um so angemessener, wie das
meistentheils geschieht, laut gelesen zu werden. Auch ist nicht nö¬
thig, daß Alles gleich beim ersten Lesen so plan und platt sei, daß
keine Nachlese mehr gehalten werden kann; gerade diese erfreut oft
am meisten, weil sie die Thätigkeit des Suchens und die Ueber-
raschung des Findens gewährt. Im Volke wird eine Geschichte
mehr als einmal gelesen und da ist es gut, wenn man davon noch
eine besondere Ausbeute hat. Diese wird aber nicht dadurch für
den glücklichen Finder versteckt, wenn man wie namentlich häufig
die Herren Pfarrer thun, auf jedes Hauptwort eine ganze Meute
von Beiwörtern hetzt; die Bezeichnung der Spur genügt.

Man wird sehr häusig finden, daß, wenn man mit einem Men¬
schen fremder Zunge seine selbsteigene Sprache spricht, man leicht
durch Schreien und Radebrechen sich verständlich zu machen
sucht. Gleicherweise glauben Viele, die durch die Schrift zum
Volke reden, die Worte für ein und dieselbe Sache häufen und
noch mit centnergewichtigen Beiwörtern belasten, oder andrerseits
radebrechen zu müssen. Die Volkssprache ist aber keine fremde
Sprache, es sind dieselben Worte und Zeichen, nur ursprünglicher,
und von der Anschauung ausgehend.

Wie bei der Dichtung aus dem Volke manche ausgeprägte,
gangbare Begriffe und Ausdrücke wieder eingeschmolzen und flüssig ge¬
macht werden müssen, so noch weit mehr in der Schrift für das
Volk. Wir glauben z. B. ganz volksthümlich zu reden, wenn wir
von "Gedanken, Gefühlen, Empfindungen, Bestrebungen" u. s. w.
sprechen. Volksthümlich aber ist es nur, wenn wir die Sache,
auf die oder von welcher diese Seelenzustände ausgehen, anschaulich
vorführen und dabei sagen "nun denken, fühlen :c. wir/'


Volk. Man braucht nicht zu stottern und allerlei Theile auszulassen,
um sich einem schwer Hörenden und Sprechenden verständlich zu
machen; dieser versteht gerade den am besten, der am vollsten und
rundesten spricht.

Die Volksschrift muß auch das mit dem Volksliede gemein
haben, daß sie wie dieses nicht unmittelbar für die stummen Zeilen
des Drucks zubereitet sei. Wie das Volkslied erst gesungen und
später erst aufgeschrieben wurde, so muß auch die Volksschrift ge¬
wissermaßen erst mundlich erzählt und dann erst aufgezeichnet wer¬
den. Dadurch zeigt sie sich auch um so angemessener, wie das
meistentheils geschieht, laut gelesen zu werden. Auch ist nicht nö¬
thig, daß Alles gleich beim ersten Lesen so plan und platt sei, daß
keine Nachlese mehr gehalten werden kann; gerade diese erfreut oft
am meisten, weil sie die Thätigkeit des Suchens und die Ueber-
raschung des Findens gewährt. Im Volke wird eine Geschichte
mehr als einmal gelesen und da ist es gut, wenn man davon noch
eine besondere Ausbeute hat. Diese wird aber nicht dadurch für
den glücklichen Finder versteckt, wenn man wie namentlich häufig
die Herren Pfarrer thun, auf jedes Hauptwort eine ganze Meute
von Beiwörtern hetzt; die Bezeichnung der Spur genügt.

Man wird sehr häusig finden, daß, wenn man mit einem Men¬
schen fremder Zunge seine selbsteigene Sprache spricht, man leicht
durch Schreien und Radebrechen sich verständlich zu machen
sucht. Gleicherweise glauben Viele, die durch die Schrift zum
Volke reden, die Worte für ein und dieselbe Sache häufen und
noch mit centnergewichtigen Beiwörtern belasten, oder andrerseits
radebrechen zu müssen. Die Volkssprache ist aber keine fremde
Sprache, es sind dieselben Worte und Zeichen, nur ursprünglicher,
und von der Anschauung ausgehend.

Wie bei der Dichtung aus dem Volke manche ausgeprägte,
gangbare Begriffe und Ausdrücke wieder eingeschmolzen und flüssig ge¬
macht werden müssen, so noch weit mehr in der Schrift für das
Volk. Wir glauben z. B. ganz volksthümlich zu reden, wenn wir
von „Gedanken, Gefühlen, Empfindungen, Bestrebungen" u. s. w.
sprechen. Volksthümlich aber ist es nur, wenn wir die Sache,
auf die oder von welcher diese Seelenzustände ausgehen, anschaulich
vorführen und dabei sagen „nun denken, fühlen :c. wir/'


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[0097] Volk. Man braucht nicht zu stottern und allerlei Theile auszulassen, um sich einem schwer Hörenden und Sprechenden verständlich zu machen; dieser versteht gerade den am besten, der am vollsten und rundesten spricht. Die Volksschrift muß auch das mit dem Volksliede gemein haben, daß sie wie dieses nicht unmittelbar für die stummen Zeilen des Drucks zubereitet sei. Wie das Volkslied erst gesungen und später erst aufgeschrieben wurde, so muß auch die Volksschrift ge¬ wissermaßen erst mundlich erzählt und dann erst aufgezeichnet wer¬ den. Dadurch zeigt sie sich auch um so angemessener, wie das meistentheils geschieht, laut gelesen zu werden. Auch ist nicht nö¬ thig, daß Alles gleich beim ersten Lesen so plan und platt sei, daß keine Nachlese mehr gehalten werden kann; gerade diese erfreut oft am meisten, weil sie die Thätigkeit des Suchens und die Ueber- raschung des Findens gewährt. Im Volke wird eine Geschichte mehr als einmal gelesen und da ist es gut, wenn man davon noch eine besondere Ausbeute hat. Diese wird aber nicht dadurch für den glücklichen Finder versteckt, wenn man wie namentlich häufig die Herren Pfarrer thun, auf jedes Hauptwort eine ganze Meute von Beiwörtern hetzt; die Bezeichnung der Spur genügt. Man wird sehr häusig finden, daß, wenn man mit einem Men¬ schen fremder Zunge seine selbsteigene Sprache spricht, man leicht durch Schreien und Radebrechen sich verständlich zu machen sucht. Gleicherweise glauben Viele, die durch die Schrift zum Volke reden, die Worte für ein und dieselbe Sache häufen und noch mit centnergewichtigen Beiwörtern belasten, oder andrerseits radebrechen zu müssen. Die Volkssprache ist aber keine fremde Sprache, es sind dieselben Worte und Zeichen, nur ursprünglicher, und von der Anschauung ausgehend. Wie bei der Dichtung aus dem Volke manche ausgeprägte, gangbare Begriffe und Ausdrücke wieder eingeschmolzen und flüssig ge¬ macht werden müssen, so noch weit mehr in der Schrift für das Volk. Wir glauben z. B. ganz volksthümlich zu reden, wenn wir von „Gedanken, Gefühlen, Empfindungen, Bestrebungen" u. s. w. sprechen. Volksthümlich aber ist es nur, wenn wir die Sache, auf die oder von welcher diese Seelenzustände ausgehen, anschaulich vorführen und dabei sagen „nun denken, fühlen :c. wir/'

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_365120/97>, abgerufen am 24.11.2024.