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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. II. Band.

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bindungen mit einem galizischen Grafen unterhielten, sondern noch
mehr aus dem Selbstmord des Priors vom hiesigen Convent der Li-
guorianer, der sich an einem steinernen Kreuz im Kloster aufgehängt
hat. Dieser Mann soll, wie glaubwürdiger Weise versichert wird,
mit den Jesuiten in Galizien in Verbindung gestanden und zur Un¬
terstützung der Jnsurrectionsversuche namhafte Summen gespendet ha¬
ben, die theils aus dem Ordensvermögen, theils aus den Vertrauens¬
geldern genommen waren, die er von menschenfreundlichen Gebern
zu wohlthätigen Zwecken empfing. Freilich will man den ganzen Vor¬
fall verheimlichen, und jetzt, wo die Sache bereits in's Publicum
gedrungen, möchte man den Selbstmord des erwähnten Priors als
eine Handlung hoffnungsloser Verzweiflung wegen eines unheilbaren
physischen Uebels ausgeben.

In diesen Tagen hat man hier die traurige Entdeckung gemacht,
daß die auf die Befriedigung erotischer Gelüste speculirende Industrie
sogar den Zustand der Wittwentrauer und den Schmerz der Verlasse¬
nen auszubeuten sich erfrecht, und die heilige Stätte des Lcichenge-
sildes durch Verhöhnung alles sittlichen Gefühls zu entweihen wagt.
Verworfene Geschöpfe schleichen auf den Friedhöfen, die alle sehr ein¬
sam vor den Thoren der Stadt liegen, umher, und spähen nach weib¬
lichen Gestalten, die in schwarze Trauergewander gehüllt, den jungen
Schmerz an dem frischen Grabeshügel eines geliebten Wesens auswei¬
nen wollen, und wissen in der Gestalt hilfreicher Trösterinnen die
vertrauensvolle Stimmung der erschütterten Gemüther durch heuchle¬
rische Theilnahme zu gewinnen, um das auf so schändliche Weise er¬
rungene Zutrauen zum eigenen Vortheil zu benutzen, da die hoff¬
nungslose Lage manches verwaisten Mädchens in diesem Moment oft
jede weitere Bedenklichkeit besiegt.

Die galizischen Unruhen bringen die Regierung, trotz der schnel¬
len Unterdrückung des revolutionären Geistes und der Volksbeihilfe,
in nicht geringe Verlegenheiten; ja Manche wollen behaupten, ein voll-
ständiger Aufstand in Galizien hätte kaum eine schlimmere Situation
geboren, als diese "glücklich" gescheiterte; denn zuletzt wäre der Aufstand
doch durch das bewaffnete Einschreiten der drei Theilungsmächte ver¬
eitelt worden, und ein mehrmonatlicher Feldzug hätte höchstens einige
Millionen Gulden verschlungen. Dafür hätte man es dann mit einem
besiegten Volke, mit einer durch Waffengewalt unterworfenen Provinz
zu thun gehabt, wo Alles als eine Gnade empfangen werden mußte
und man gänzlich freie Hand behielt. Jetzt aber fühlt man sich dem
Landvolk gegenüber zu Dank verpflichtet, und weiß nicht, wie man
ihn abtragen soll, ohne das bisher befolgte System von Grund aus
umzustoßen und den übrigen Provinzen ein verführerisches Beispiel
zu geben. Wollte man auch in Galizien, in Betracht der Umstände,
ein Uebriges thun, so wäre man doch auch wieder genöthigt in Bos-


bindungen mit einem galizischen Grafen unterhielten, sondern noch
mehr aus dem Selbstmord des Priors vom hiesigen Convent der Li-
guorianer, der sich an einem steinernen Kreuz im Kloster aufgehängt
hat. Dieser Mann soll, wie glaubwürdiger Weise versichert wird,
mit den Jesuiten in Galizien in Verbindung gestanden und zur Un¬
terstützung der Jnsurrectionsversuche namhafte Summen gespendet ha¬
ben, die theils aus dem Ordensvermögen, theils aus den Vertrauens¬
geldern genommen waren, die er von menschenfreundlichen Gebern
zu wohlthätigen Zwecken empfing. Freilich will man den ganzen Vor¬
fall verheimlichen, und jetzt, wo die Sache bereits in's Publicum
gedrungen, möchte man den Selbstmord des erwähnten Priors als
eine Handlung hoffnungsloser Verzweiflung wegen eines unheilbaren
physischen Uebels ausgeben.

In diesen Tagen hat man hier die traurige Entdeckung gemacht,
daß die auf die Befriedigung erotischer Gelüste speculirende Industrie
sogar den Zustand der Wittwentrauer und den Schmerz der Verlasse¬
nen auszubeuten sich erfrecht, und die heilige Stätte des Lcichenge-
sildes durch Verhöhnung alles sittlichen Gefühls zu entweihen wagt.
Verworfene Geschöpfe schleichen auf den Friedhöfen, die alle sehr ein¬
sam vor den Thoren der Stadt liegen, umher, und spähen nach weib¬
lichen Gestalten, die in schwarze Trauergewander gehüllt, den jungen
Schmerz an dem frischen Grabeshügel eines geliebten Wesens auswei¬
nen wollen, und wissen in der Gestalt hilfreicher Trösterinnen die
vertrauensvolle Stimmung der erschütterten Gemüther durch heuchle¬
rische Theilnahme zu gewinnen, um das auf so schändliche Weise er¬
rungene Zutrauen zum eigenen Vortheil zu benutzen, da die hoff¬
nungslose Lage manches verwaisten Mädchens in diesem Moment oft
jede weitere Bedenklichkeit besiegt.

Die galizischen Unruhen bringen die Regierung, trotz der schnel¬
len Unterdrückung des revolutionären Geistes und der Volksbeihilfe,
in nicht geringe Verlegenheiten; ja Manche wollen behaupten, ein voll-
ständiger Aufstand in Galizien hätte kaum eine schlimmere Situation
geboren, als diese „glücklich" gescheiterte; denn zuletzt wäre der Aufstand
doch durch das bewaffnete Einschreiten der drei Theilungsmächte ver¬
eitelt worden, und ein mehrmonatlicher Feldzug hätte höchstens einige
Millionen Gulden verschlungen. Dafür hätte man es dann mit einem
besiegten Volke, mit einer durch Waffengewalt unterworfenen Provinz
zu thun gehabt, wo Alles als eine Gnade empfangen werden mußte
und man gänzlich freie Hand behielt. Jetzt aber fühlt man sich dem
Landvolk gegenüber zu Dank verpflichtet, und weiß nicht, wie man
ihn abtragen soll, ohne das bisher befolgte System von Grund aus
umzustoßen und den übrigen Provinzen ein verführerisches Beispiel
zu geben. Wollte man auch in Galizien, in Betracht der Umstände,
ein Uebriges thun, so wäre man doch auch wieder genöthigt in Bos-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_365120/88>, abgerufen am 24.11.2024.