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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. II. Band.

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war Abend; der Nordwind strich über die moosbewachsene Kirchhof¬
mauer, durch die entblätterten Linden und Ypern und um den krei¬
schenden Wetterhahn des Thurmes schwirrten Fledermäuse und Käuze.
Da brachten je vier Männer eine ungehobelte Kiste von dünnen Tan-
nenbretern; sie gingen damit auf die Abseite zwischen die Bäume
und Mauern hin. In den Kisten lagen eine Kindesmörderin und
ein Schauspieler. Jene war vielleicht eine Bürgerstochter, die von
diesem geliebt, hingerissen und verführt ward; dieser war ihr vielleicht
aus Gram und Verzweiflung, im Uebermaß' des Trunkes und der
romantischen Stimmung in den Tod gefolgt. Ihre Gräber bezeich¬
nete kein Stein, kein Kreuz, nicht einmal ein Hügel, den im Früh¬
ling alljährlich neues Grün umkleidete, denn sie waren unehrlich, die
Kirche duldete sie ebenso wenig in ihrem Kreise wie die Gesellschaft.
Sie waren unehrlich! schaudervolles Wort. Ausgestoßen, verworfen
zu sein vor und von Allen! Ist es noch nöthig, gegen diese Nacht¬
scenen den Schauspieler von heute hinzustellen, wie er lebt und schlemmt
wie ein Fürst, wie er mit Blicken der Liebe und Sehnsucht ver¬
folgt wird, von den Frauen und Töchtern der ersten Stände, wie er
das poetische Genie zu seinen Füßen um Gnade für die Berücksichti¬
gung seiner Dramen sich anflehen sieht, wie Tausende ihm bewilligt
werden und bewilligt werden müssen, während er einst froh war,
wenn er die Woche für wenige Gulden spielen durfte!

Das erste Gefühl, welches die starre Rinde der Gesellschaft durch¬
brach, war das des Selbstbewußtseins und der Menschenwürde. Der erste
Schauspieler, welcher für seinen Stand eine Wandelschassung der so¬
cialen Verhältnisse herbeiführte, war ein sittliches Genie und die Kunst
in ihrer Läuterung und Selbstbestimmung war es, welche ihm dafür
mit Wohlwollen und Wohlgefallen die Hand reichte. Der Schauspie¬
ler hätte es nie vergessen sollen, daß der Dichter es war. welcher an
ihm zum plastischen Künstler, zum Dädalus wurde, welcher seine im
Schlamm versunkenen Beine lösete und ihn gehen lehrte auf den mi-
krokosmifchen Bretern! Der erste Schauspieler, welcher sich sagte,
daß er mehr werden könne, mehr sei, als Zigeuner, Taschenspieler
und Feuerfresser, mußte eine starke sittliche Seele sein, die nicht un¬
tergegangen in dem wilden, verworrenen Wust stürmischer, vagabon-
dirender Erfahrungen. Diese ethische Kraft eben ist es, welche die
Basis des alten Schauspielerrufes und Ruhmes bildet, welche
einen Engel begeisterte, seine Mimik zu schreiben, welche dem Schau¬
spieler überhaupt die Kunst vindicirte. Allein jene ethische Kraft
durchdrang und erhob nur die Auserwählten, einen Reinecke, Fleck,
Schröder, Eckhoff! Kaum hatten diese Männer mit Stolz und Würde
die Breterbudcn, welche sie mit Luftspringern und Feuerfrcssern bis
dahin theilten, verlassen und zerschellt, als ein ödes, morsches Wrack
auf dem Meer der Civilisation, und ihrer Kunst feste, steinerne


war Abend; der Nordwind strich über die moosbewachsene Kirchhof¬
mauer, durch die entblätterten Linden und Ypern und um den krei¬
schenden Wetterhahn des Thurmes schwirrten Fledermäuse und Käuze.
Da brachten je vier Männer eine ungehobelte Kiste von dünnen Tan-
nenbretern; sie gingen damit auf die Abseite zwischen die Bäume
und Mauern hin. In den Kisten lagen eine Kindesmörderin und
ein Schauspieler. Jene war vielleicht eine Bürgerstochter, die von
diesem geliebt, hingerissen und verführt ward; dieser war ihr vielleicht
aus Gram und Verzweiflung, im Uebermaß' des Trunkes und der
romantischen Stimmung in den Tod gefolgt. Ihre Gräber bezeich¬
nete kein Stein, kein Kreuz, nicht einmal ein Hügel, den im Früh¬
ling alljährlich neues Grün umkleidete, denn sie waren unehrlich, die
Kirche duldete sie ebenso wenig in ihrem Kreise wie die Gesellschaft.
Sie waren unehrlich! schaudervolles Wort. Ausgestoßen, verworfen
zu sein vor und von Allen! Ist es noch nöthig, gegen diese Nacht¬
scenen den Schauspieler von heute hinzustellen, wie er lebt und schlemmt
wie ein Fürst, wie er mit Blicken der Liebe und Sehnsucht ver¬
folgt wird, von den Frauen und Töchtern der ersten Stände, wie er
das poetische Genie zu seinen Füßen um Gnade für die Berücksichti¬
gung seiner Dramen sich anflehen sieht, wie Tausende ihm bewilligt
werden und bewilligt werden müssen, während er einst froh war,
wenn er die Woche für wenige Gulden spielen durfte!

Das erste Gefühl, welches die starre Rinde der Gesellschaft durch¬
brach, war das des Selbstbewußtseins und der Menschenwürde. Der erste
Schauspieler, welcher für seinen Stand eine Wandelschassung der so¬
cialen Verhältnisse herbeiführte, war ein sittliches Genie und die Kunst
in ihrer Läuterung und Selbstbestimmung war es, welche ihm dafür
mit Wohlwollen und Wohlgefallen die Hand reichte. Der Schauspie¬
ler hätte es nie vergessen sollen, daß der Dichter es war. welcher an
ihm zum plastischen Künstler, zum Dädalus wurde, welcher seine im
Schlamm versunkenen Beine lösete und ihn gehen lehrte auf den mi-
krokosmifchen Bretern! Der erste Schauspieler, welcher sich sagte,
daß er mehr werden könne, mehr sei, als Zigeuner, Taschenspieler
und Feuerfresser, mußte eine starke sittliche Seele sein, die nicht un¬
tergegangen in dem wilden, verworrenen Wust stürmischer, vagabon-
dirender Erfahrungen. Diese ethische Kraft eben ist es, welche die
Basis des alten Schauspielerrufes und Ruhmes bildet, welche
einen Engel begeisterte, seine Mimik zu schreiben, welche dem Schau¬
spieler überhaupt die Kunst vindicirte. Allein jene ethische Kraft
durchdrang und erhob nur die Auserwählten, einen Reinecke, Fleck,
Schröder, Eckhoff! Kaum hatten diese Männer mit Stolz und Würde
die Breterbudcn, welche sie mit Luftspringern und Feuerfrcssern bis
dahin theilten, verlassen und zerschellt, als ein ödes, morsches Wrack
auf dem Meer der Civilisation, und ihrer Kunst feste, steinerne


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_365120/86>, abgerufen am 24.11.2024.