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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. II. Band.

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Reueste Erzählungsliteratur.
i.
Louise von Gall.

Fast scheint es, als sei es neuerdings die Aufgabe der literari-
schen Frauen geworden, den jährlichen Neubeginn der Erzählungslite¬
ratur einzuleiten. So kam vorm Jahr, mitten in eben so bücher¬
leerer Periode, "Anna" von Adele Schopenhauer und dicht hinter die¬
ser kamen Jda Hahn-Hahn und Jda von Düringsftld. In weißem
Atlaspapier, verziert mit schweren blau, roth und goldenen Arabesken,
die Titel im unecht gothischen Style des Renaissancegeschmackes, prang¬
ten ihre Bücher. Man hätte glauben mögen, der königl. preuß. Hof¬
buchhändler Duncker habe für seine Schriftenheere eine Uniform er¬
funden, oder er habe durch diese Art der Brochirung darauf hindeuten
wollen, wie jene beiden Bücher recht eigentlich nur. Eigenthum, weil
vollblütige Kinder, der Gesellschaft seien. Neben diesen prächtigen Toi¬
letten der Dunckerschen Damennovellistik nehmen sich die Frauenno¬
vellen von Louise v. G... (Gall), welche dieser Tage die Roman- und
Novellcnsaison eingeläutet haben, sehr einfach aus, und dennoch denkt
man unwillkürlich daran, wie in strahlend geputzter Salons-Gesellschaft
jene stillen Frauen im einfach grauseidenen Ueberwurfe oft ein weit
höheres Interesse einflößen, als manche Andere in flatternden Gewändern,
mit blau und rothem Ausputz und mancherlei goldenen Schmucksachen.
Gräfin Hahn-Hahn, trotz ihrer Mängel und Schroffheiten, ja selbst
um dieser willen, wie Jda von Düringsftld sind allerdings literarische
Erscheinungen von Interesse und Reiz. Aber dieser Reiz ist der Lese¬
welt nicht mehr neu und sie stellt hier höhere Anforderungen, weil
ihr entschiedene Geltungsansprüche entgegengebracht worden. Louise
von G. ist dagegen den weitern Kreisen des Publicums eine völlig
neue Persönlichkeit und selbst der literarischen Welt nur aus einzelnen
flüchtigen Begegnungen bekannt. Es mögen ungefähr sechs Jahre her


Wrmzivten, Isi". II. V
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Reueste Erzählungsliteratur.
i.
Louise von Gall.

Fast scheint es, als sei es neuerdings die Aufgabe der literari-
schen Frauen geworden, den jährlichen Neubeginn der Erzählungslite¬
ratur einzuleiten. So kam vorm Jahr, mitten in eben so bücher¬
leerer Periode, „Anna" von Adele Schopenhauer und dicht hinter die¬
ser kamen Jda Hahn-Hahn und Jda von Düringsftld. In weißem
Atlaspapier, verziert mit schweren blau, roth und goldenen Arabesken,
die Titel im unecht gothischen Style des Renaissancegeschmackes, prang¬
ten ihre Bücher. Man hätte glauben mögen, der königl. preuß. Hof¬
buchhändler Duncker habe für seine Schriftenheere eine Uniform er¬
funden, oder er habe durch diese Art der Brochirung darauf hindeuten
wollen, wie jene beiden Bücher recht eigentlich nur. Eigenthum, weil
vollblütige Kinder, der Gesellschaft seien. Neben diesen prächtigen Toi¬
letten der Dunckerschen Damennovellistik nehmen sich die Frauenno¬
vellen von Louise v. G... (Gall), welche dieser Tage die Roman- und
Novellcnsaison eingeläutet haben, sehr einfach aus, und dennoch denkt
man unwillkürlich daran, wie in strahlend geputzter Salons-Gesellschaft
jene stillen Frauen im einfach grauseidenen Ueberwurfe oft ein weit
höheres Interesse einflößen, als manche Andere in flatternden Gewändern,
mit blau und rothem Ausputz und mancherlei goldenen Schmucksachen.
Gräfin Hahn-Hahn, trotz ihrer Mängel und Schroffheiten, ja selbst
um dieser willen, wie Jda von Düringsftld sind allerdings literarische
Erscheinungen von Interesse und Reiz. Aber dieser Reiz ist der Lese¬
welt nicht mehr neu und sie stellt hier höhere Anforderungen, weil
ihr entschiedene Geltungsansprüche entgegengebracht worden. Louise
von G. ist dagegen den weitern Kreisen des Publicums eine völlig
neue Persönlichkeit und selbst der literarischen Welt nur aus einzelnen
flüchtigen Begegnungen bekannt. Es mögen ungefähr sechs Jahre her


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[0077] T a g e b u es. Reueste Erzählungsliteratur. i. Louise von Gall. Fast scheint es, als sei es neuerdings die Aufgabe der literari- schen Frauen geworden, den jährlichen Neubeginn der Erzählungslite¬ ratur einzuleiten. So kam vorm Jahr, mitten in eben so bücher¬ leerer Periode, „Anna" von Adele Schopenhauer und dicht hinter die¬ ser kamen Jda Hahn-Hahn und Jda von Düringsftld. In weißem Atlaspapier, verziert mit schweren blau, roth und goldenen Arabesken, die Titel im unecht gothischen Style des Renaissancegeschmackes, prang¬ ten ihre Bücher. Man hätte glauben mögen, der königl. preuß. Hof¬ buchhändler Duncker habe für seine Schriftenheere eine Uniform er¬ funden, oder er habe durch diese Art der Brochirung darauf hindeuten wollen, wie jene beiden Bücher recht eigentlich nur. Eigenthum, weil vollblütige Kinder, der Gesellschaft seien. Neben diesen prächtigen Toi¬ letten der Dunckerschen Damennovellistik nehmen sich die Frauenno¬ vellen von Louise v. G... (Gall), welche dieser Tage die Roman- und Novellcnsaison eingeläutet haben, sehr einfach aus, und dennoch denkt man unwillkürlich daran, wie in strahlend geputzter Salons-Gesellschaft jene stillen Frauen im einfach grauseidenen Ueberwurfe oft ein weit höheres Interesse einflößen, als manche Andere in flatternden Gewändern, mit blau und rothem Ausputz und mancherlei goldenen Schmucksachen. Gräfin Hahn-Hahn, trotz ihrer Mängel und Schroffheiten, ja selbst um dieser willen, wie Jda von Düringsftld sind allerdings literarische Erscheinungen von Interesse und Reiz. Aber dieser Reiz ist der Lese¬ welt nicht mehr neu und sie stellt hier höhere Anforderungen, weil ihr entschiedene Geltungsansprüche entgegengebracht worden. Louise von G. ist dagegen den weitern Kreisen des Publicums eine völlig neue Persönlichkeit und selbst der literarischen Welt nur aus einzelnen flüchtigen Begegnungen bekannt. Es mögen ungefähr sechs Jahre her Wrmzivten, Isi«. II. V

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_365120/77>, abgerufen am 24.11.2024.