Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. II. Band.me der Donnerstagösitzungen, in welchen nur die Beschlüsse verlesen In dieser Kammer kommen freilich die wichtigsten socialen me der Donnerstagösitzungen, in welchen nur die Beschlüsse verlesen In dieser Kammer kommen freilich die wichtigsten socialen <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0065" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/182488"/> <p xml:id="ID_165" prev="#ID_164"> me der Donnerstagösitzungen, in welchen nur die Beschlüsse verlesen<lb/> werden, die natürlich alsbald auch gedruckt erscheinen. Es ist auch<lb/> sonst mit der Oeffentlichkeit in Paris eine eigene Sache, die Räume<lb/> entsprechen dem Publicum nicht; z. B. in der Deputirtenkammer<lb/> können, abgesehen von den Einlaßkarten zu den abgesperrten Gale¬<lb/> rien, nur dreißig Zuhörer Platz finden. Die wahre Oeffentlichkeit<lb/> beruht also auf der Presse, auf dem Druck der Verhandlungen.<lb/> Aber was nicht öffentlich verhandelt wird, kommt auch nicht in die<lb/> Journale. — In Bezug auf alle solche Mißstände schien der Mann<lb/> der loyalen Opposition ganz einverstanden mit dem ehrlichen Herrn<lb/> Vir?art; er gab zu, daß die Regierung in solchen Fragen<lb/> vielleicht gut gesinnt, jedenfalls aber übel berathen und von falschen<lb/> Gründen geängstigt, und scheu gemacht sei. Nach einigen Tage!:<lb/> war ich erstaunt, denselben Gelehrten unter vier Augen mit einem<lb/> deutschen Confrater in i.ur<z ganz anders reden zu hören, wobei<lb/> er namentlich das hervorhob, daß die Regierung in den Concessionen<lb/> an eine so gefährliche Partei gar nicht weiter gehen dürfe. Erin¬<lb/> nert nicht dieses Benehmen sehr deutlich an die Declamationen des<lb/> liberalen Frankreichs zu Gunsten Polens? — Ueberhaupt impo-<lb/> nirt die französische Kammer-Opposition sehr wenig durch französi¬<lb/> sche Größe; Rotüriers, die seit gestern ihr Glück an der Börse, ge¬<lb/> macht, sprechen heute gegen Aktien-Schwindel; man verwunderte<lb/> sich förmlich, daß bei der Frage: ob die Eisenbahnen vom Staat<lb/> oder von Compagnien gebaut werden sollten, etwelche Deputirte<lb/> von der Partei des National den unverschämten Anerbietungen<lb/> Rothschild's Widerstand geleistet haben. Die diplomatisirende Op¬<lb/> position gesteht es, daß sie den „kleinen" Thiers, von dem<lb/> sie doch schon mehrmals angeführt worden, nicht entbehren<lb/> kann; immer vertheidigt sie ihn, obzwar mit bittrer Miene, und<lb/> schließt sich nothgedrungen an ihn an. Einige wackere und unab¬<lb/> hängige Männer, wie Arago, dem so viel Einfluß zu wünschen<lb/> wäre, als er moralische Ueberzeugungen besitzt, und Lamartine,<lb/> der so viel Tiefe des politischen Gedankens haben sollte, als er<lb/> glänzende Beredsamkeit aufzuweisen hat, sind die geringe Minorität<lb/> in dieser Beziehung.</p><lb/> <p xml:id="ID_166" next="#ID_167"> In dieser Kammer kommen freilich die wichtigsten socialen<lb/> Fragen niemals vor. Gibt es z. B. etwas Scheußlicheres, als</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0065]
me der Donnerstagösitzungen, in welchen nur die Beschlüsse verlesen
werden, die natürlich alsbald auch gedruckt erscheinen. Es ist auch
sonst mit der Oeffentlichkeit in Paris eine eigene Sache, die Räume
entsprechen dem Publicum nicht; z. B. in der Deputirtenkammer
können, abgesehen von den Einlaßkarten zu den abgesperrten Gale¬
rien, nur dreißig Zuhörer Platz finden. Die wahre Oeffentlichkeit
beruht also auf der Presse, auf dem Druck der Verhandlungen.
Aber was nicht öffentlich verhandelt wird, kommt auch nicht in die
Journale. — In Bezug auf alle solche Mißstände schien der Mann
der loyalen Opposition ganz einverstanden mit dem ehrlichen Herrn
Vir?art; er gab zu, daß die Regierung in solchen Fragen
vielleicht gut gesinnt, jedenfalls aber übel berathen und von falschen
Gründen geängstigt, und scheu gemacht sei. Nach einigen Tage!:
war ich erstaunt, denselben Gelehrten unter vier Augen mit einem
deutschen Confrater in i.ur<z ganz anders reden zu hören, wobei
er namentlich das hervorhob, daß die Regierung in den Concessionen
an eine so gefährliche Partei gar nicht weiter gehen dürfe. Erin¬
nert nicht dieses Benehmen sehr deutlich an die Declamationen des
liberalen Frankreichs zu Gunsten Polens? — Ueberhaupt impo-
nirt die französische Kammer-Opposition sehr wenig durch französi¬
sche Größe; Rotüriers, die seit gestern ihr Glück an der Börse, ge¬
macht, sprechen heute gegen Aktien-Schwindel; man verwunderte
sich förmlich, daß bei der Frage: ob die Eisenbahnen vom Staat
oder von Compagnien gebaut werden sollten, etwelche Deputirte
von der Partei des National den unverschämten Anerbietungen
Rothschild's Widerstand geleistet haben. Die diplomatisirende Op¬
position gesteht es, daß sie den „kleinen" Thiers, von dem
sie doch schon mehrmals angeführt worden, nicht entbehren
kann; immer vertheidigt sie ihn, obzwar mit bittrer Miene, und
schließt sich nothgedrungen an ihn an. Einige wackere und unab¬
hängige Männer, wie Arago, dem so viel Einfluß zu wünschen
wäre, als er moralische Ueberzeugungen besitzt, und Lamartine,
der so viel Tiefe des politischen Gedankens haben sollte, als er
glänzende Beredsamkeit aufzuweisen hat, sind die geringe Minorität
in dieser Beziehung.
In dieser Kammer kommen freilich die wichtigsten socialen
Fragen niemals vor. Gibt es z. B. etwas Scheußlicheres, als
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