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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. II. Band.

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den socialistische Richtung unserer Zeit in dem Kreise einer gestaltungs-
vollcn, recht lebendigen Produktivität entgegen. Es sucht sich in ihnen
die Kunstform der Erzählung, der Novelle mit dem neuen Stoss auszu¬
gleichen, es sucht sich der alte Schlauch an den neuen Wein zu gewöh¬
nen. Die Form wird nicht vernachlässigt über dem neuen Inhalt, aber
der Inhalt wird auch nicht beeinträchtigt durch den Zwang einer kalten,
kunstgerechten, ästhetischen Form. Indem diese berliner Skizzen in den
bewegten Lebenskrater unserer großen Stadt greifen und die Verworren¬
heit der menschlichen Existenzen, den unterwühlten Austand, die Schwä¬
chen und die selbstsüchtigen Motive der Gesellschaft in künstlerischer Form
nachzuweisen suchen, hüten sie sich wohl vor der rohen Manier, welche
eben blos erzählt, phantasirt, darstellt, um zu erzählen, es ist ein sicheres
Moment, es ist ein geschichtlicher Hintergrund in ihnen und es ist dieses
das Moment des Socialismus. Die Verfasser dieser Skizzen -- eigent¬
lich kann nur von Fränkel die Rede sein, denn Koppen bat nur ein ein¬
ziges Bild geliefert -- sind aber nicht mit einer abstracten, socialistischen
Tendenz, wonach die Personen und die Zustände zurecht gemacht werden,
an ihre Arbeit gegangen, es springen vielmehr durch ihre Schilderungen
selbst und durch die naturgetreue Zeichnung der Figuren die Verworren¬
heiten und die Verderbnisse unseres gesellschaftlichen Zustandes in die Au¬
gen; es bedarf dann nur eines leichten Hinweises, einer fein eingestreu¬
ten Bemerkung, um die Dauer dieses Zustandes auch principiell als un¬
möglich hinzustellen und sich dem Systeme des Socialismus direct hin¬
zuneigen. Die Verfasser haben ein neues Gebiet betreten, sie befinden
sich in den Ansängen einer für Deutschland noch ziemlich neuen produc-
tiven Literatur und, wenn sie auch nichts Vollkommenes geleistet, so
scheinen sie doch mit Glück und Bewußtsein den vielen Irrwegen auszu¬
weichen, welche dieser neuen Productionsweise sehr gefährlich werden kön¬
nen und zum Theil schon z. B. in Dronte's "Aus dem Volke" gefähr¬
lich geworden find.
'

In dem Kißschen Atelier ist gegenwärtig das Modell zu der Rei¬
terstatue des verstorbenen Königs, welche für Königsberg bestimmt ist,
zur Ansicht ausgestellt worden. Das Haupt des Königs wird von einem
schweren Lorbeerkranze bedeckt, sein Hermelin fallt auf das Hintertheil des
Pferdes dick und voll herab und verkürzt dasselbe auf eine beinahe un¬
schöne Weise. Der König hat eine ruhige Haltung, sein Angesicht ist
Zwar historisch-getreu, aber es fehlt ein erhabener, idealisirter Ausdruck,
der aus jene Periode des preußischen Staates hindeuten könnte, als Kö¬
nigsberg der Zufluchtsort der Monarchie war. Man wird unwillkürlich
an die preußischen Thalerstücke erinnert, übrigens liefert Kiß an dem
Pferde, namentlich an dem Vordertheile desselben, wieder einen vollen
B ^ eweis seines großartigen Bildnertalcntes.


2.
Ein Prophet.

In einigen Kreisen macht hier ein in französischer Sprache geschrie¬
benes fratzenhaftes, komisch wirkendes und doch ernsthaft gemeintes Buch-


den socialistische Richtung unserer Zeit in dem Kreise einer gestaltungs-
vollcn, recht lebendigen Produktivität entgegen. Es sucht sich in ihnen
die Kunstform der Erzählung, der Novelle mit dem neuen Stoss auszu¬
gleichen, es sucht sich der alte Schlauch an den neuen Wein zu gewöh¬
nen. Die Form wird nicht vernachlässigt über dem neuen Inhalt, aber
der Inhalt wird auch nicht beeinträchtigt durch den Zwang einer kalten,
kunstgerechten, ästhetischen Form. Indem diese berliner Skizzen in den
bewegten Lebenskrater unserer großen Stadt greifen und die Verworren¬
heit der menschlichen Existenzen, den unterwühlten Austand, die Schwä¬
chen und die selbstsüchtigen Motive der Gesellschaft in künstlerischer Form
nachzuweisen suchen, hüten sie sich wohl vor der rohen Manier, welche
eben blos erzählt, phantasirt, darstellt, um zu erzählen, es ist ein sicheres
Moment, es ist ein geschichtlicher Hintergrund in ihnen und es ist dieses
das Moment des Socialismus. Die Verfasser dieser Skizzen — eigent¬
lich kann nur von Fränkel die Rede sein, denn Koppen bat nur ein ein¬
ziges Bild geliefert — sind aber nicht mit einer abstracten, socialistischen
Tendenz, wonach die Personen und die Zustände zurecht gemacht werden,
an ihre Arbeit gegangen, es springen vielmehr durch ihre Schilderungen
selbst und durch die naturgetreue Zeichnung der Figuren die Verworren¬
heiten und die Verderbnisse unseres gesellschaftlichen Zustandes in die Au¬
gen; es bedarf dann nur eines leichten Hinweises, einer fein eingestreu¬
ten Bemerkung, um die Dauer dieses Zustandes auch principiell als un¬
möglich hinzustellen und sich dem Systeme des Socialismus direct hin¬
zuneigen. Die Verfasser haben ein neues Gebiet betreten, sie befinden
sich in den Ansängen einer für Deutschland noch ziemlich neuen produc-
tiven Literatur und, wenn sie auch nichts Vollkommenes geleistet, so
scheinen sie doch mit Glück und Bewußtsein den vielen Irrwegen auszu¬
weichen, welche dieser neuen Productionsweise sehr gefährlich werden kön¬
nen und zum Theil schon z. B. in Dronte's „Aus dem Volke" gefähr¬
lich geworden find.
'

In dem Kißschen Atelier ist gegenwärtig das Modell zu der Rei¬
terstatue des verstorbenen Königs, welche für Königsberg bestimmt ist,
zur Ansicht ausgestellt worden. Das Haupt des Königs wird von einem
schweren Lorbeerkranze bedeckt, sein Hermelin fallt auf das Hintertheil des
Pferdes dick und voll herab und verkürzt dasselbe auf eine beinahe un¬
schöne Weise. Der König hat eine ruhige Haltung, sein Angesicht ist
Zwar historisch-getreu, aber es fehlt ein erhabener, idealisirter Ausdruck,
der aus jene Periode des preußischen Staates hindeuten könnte, als Kö¬
nigsberg der Zufluchtsort der Monarchie war. Man wird unwillkürlich
an die preußischen Thalerstücke erinnert, übrigens liefert Kiß an dem
Pferde, namentlich an dem Vordertheile desselben, wieder einen vollen
B ^ eweis seines großartigen Bildnertalcntes.


2.
Ein Prophet.

In einigen Kreisen macht hier ein in französischer Sprache geschrie¬
benes fratzenhaftes, komisch wirkendes und doch ernsthaft gemeintes Buch-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_365120/581>, abgerufen am 24.11.2024.