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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. II. Band.

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des Baugerüstes an einem fertigen Bauwerk zurückgeblieben sind: ein
vollendetes Bild darf sich nicht die Studien nachweisen lassen, welche
der Künstler im Einzelnen dafür genandt hat. Wie aber der Verf. in
den spätern Theilen des Buches mitten in seinen Stoff hineingekommen
ist, da ist auch der Fluß der Rede freier, fertiger, hinreißender; der
Leser wird hier erwarmen an Dem, was mit unverkennbar begeister¬
ter, inniger Durchdrungenheit vor ihm entfaltet wird. Vorzüglich sind
Hutten's freundschaftliche Beziehungen zu Franz von Sickingen, sein
Aufenthalt auf der Ebernburg und dann seine letzten Kämpfe gegen
Erasmus von Rotterdam auf das Ansprechendste geschildert.

Jedenfalls erschienen aber auch grade die letzten sechs Jahre aus
des Ritters Leben, von der Zeit an, wo er im Jahre 1518 in die
Dienste des geistlichen Kurfürsten Albrecht von Mainz trat, als die
historisch bei Weitem wichtigsten. Denn nachdem er noch in einem
Schreiben an den Grafen Nuenar zu Köln die ersten Reformations¬
bestrebungen Martin Luther'S nur als ein "Schreien, Heulen und
Klage" von Mönchen" bezeichnet, nachdem er in Bezug auf die witten-
berger Vorfälle zu einem Bettelmönche gesagt hatte: Vernichtet nur,
damit auch ihr vernichtet werdet! wurde er endlich durch die widrige
Erscheinung des Ablaßkrames selbst zur Reaction gegen die pfäffischen
Uebergriffe aufgestachelt und schloß sich seitdem mit dem eigenthümli¬
chen Feuereifer der Sache Luther's an. Aus dem augsburger Reichs¬
tage, zu welchem er im Jahre 1518 seinen geistlichen Herrn begleitet
hatte, war es, wo er in begeisterter Rede über den auf Leo's X. Be¬
trieb von Maximilian, dem greisen, deutschen Könige zu veranstalten¬
den Türkenkrieg den deutschen Fürsten wahre, noch immer wahre Worte
entgegenwarf, wo er ihnen ihre nichtigen Streitigkeiten vorhält: "Da
klagt der Eine, daß Jener sich in fremde Händel gemischt, ein Anderer,
daß ihm sein Bauer geschlagen worden sei; wieder ein Anderer klagt
über die Anmaßung eines Titels, ein Dritter hadert wegen des Ran¬
ges, der ihm gebühre, wegen der Nichtanerkennung seines Stamm¬
baums." Dann citirt er Vollöstimmen: "Einmal werden wir zurück¬
gehen auf die Quellen, woraus uns jenes Verderben erwächst: Ein¬
mal werden wir uns gegen die morschen Häupter, woraus jene ver¬
derblichen Krankheiten entspringet?, mit Kraft und mit Gewalt erheben.
Wenn man einmal zu Grunde gehen muß, so wird es ein Trost sein,
zugleich mit denen, welche die Ursache des Untergangs sind, zu Grunde
zu gehen." Und darauf bricht er in die denkwürdigen Worte aus:
"Die Deutschen sind ein Bundesvolk. Es gibt keine Nation, die sich


des Baugerüstes an einem fertigen Bauwerk zurückgeblieben sind: ein
vollendetes Bild darf sich nicht die Studien nachweisen lassen, welche
der Künstler im Einzelnen dafür genandt hat. Wie aber der Verf. in
den spätern Theilen des Buches mitten in seinen Stoff hineingekommen
ist, da ist auch der Fluß der Rede freier, fertiger, hinreißender; der
Leser wird hier erwarmen an Dem, was mit unverkennbar begeister¬
ter, inniger Durchdrungenheit vor ihm entfaltet wird. Vorzüglich sind
Hutten's freundschaftliche Beziehungen zu Franz von Sickingen, sein
Aufenthalt auf der Ebernburg und dann seine letzten Kämpfe gegen
Erasmus von Rotterdam auf das Ansprechendste geschildert.

Jedenfalls erschienen aber auch grade die letzten sechs Jahre aus
des Ritters Leben, von der Zeit an, wo er im Jahre 1518 in die
Dienste des geistlichen Kurfürsten Albrecht von Mainz trat, als die
historisch bei Weitem wichtigsten. Denn nachdem er noch in einem
Schreiben an den Grafen Nuenar zu Köln die ersten Reformations¬
bestrebungen Martin Luther'S nur als ein „Schreien, Heulen und
Klage» von Mönchen" bezeichnet, nachdem er in Bezug auf die witten-
berger Vorfälle zu einem Bettelmönche gesagt hatte: Vernichtet nur,
damit auch ihr vernichtet werdet! wurde er endlich durch die widrige
Erscheinung des Ablaßkrames selbst zur Reaction gegen die pfäffischen
Uebergriffe aufgestachelt und schloß sich seitdem mit dem eigenthümli¬
chen Feuereifer der Sache Luther's an. Aus dem augsburger Reichs¬
tage, zu welchem er im Jahre 1518 seinen geistlichen Herrn begleitet
hatte, war es, wo er in begeisterter Rede über den auf Leo's X. Be¬
trieb von Maximilian, dem greisen, deutschen Könige zu veranstalten¬
den Türkenkrieg den deutschen Fürsten wahre, noch immer wahre Worte
entgegenwarf, wo er ihnen ihre nichtigen Streitigkeiten vorhält: „Da
klagt der Eine, daß Jener sich in fremde Händel gemischt, ein Anderer,
daß ihm sein Bauer geschlagen worden sei; wieder ein Anderer klagt
über die Anmaßung eines Titels, ein Dritter hadert wegen des Ran¬
ges, der ihm gebühre, wegen der Nichtanerkennung seines Stamm¬
baums." Dann citirt er Vollöstimmen: „Einmal werden wir zurück¬
gehen auf die Quellen, woraus uns jenes Verderben erwächst: Ein¬
mal werden wir uns gegen die morschen Häupter, woraus jene ver¬
derblichen Krankheiten entspringet?, mit Kraft und mit Gewalt erheben.
Wenn man einmal zu Grunde gehen muß, so wird es ein Trost sein,
zugleich mit denen, welche die Ursache des Untergangs sind, zu Grunde
zu gehen." Und darauf bricht er in die denkwürdigen Worte aus:
„Die Deutschen sind ein Bundesvolk. Es gibt keine Nation, die sich


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[0575] des Baugerüstes an einem fertigen Bauwerk zurückgeblieben sind: ein vollendetes Bild darf sich nicht die Studien nachweisen lassen, welche der Künstler im Einzelnen dafür genandt hat. Wie aber der Verf. in den spätern Theilen des Buches mitten in seinen Stoff hineingekommen ist, da ist auch der Fluß der Rede freier, fertiger, hinreißender; der Leser wird hier erwarmen an Dem, was mit unverkennbar begeister¬ ter, inniger Durchdrungenheit vor ihm entfaltet wird. Vorzüglich sind Hutten's freundschaftliche Beziehungen zu Franz von Sickingen, sein Aufenthalt auf der Ebernburg und dann seine letzten Kämpfe gegen Erasmus von Rotterdam auf das Ansprechendste geschildert. Jedenfalls erschienen aber auch grade die letzten sechs Jahre aus des Ritters Leben, von der Zeit an, wo er im Jahre 1518 in die Dienste des geistlichen Kurfürsten Albrecht von Mainz trat, als die historisch bei Weitem wichtigsten. Denn nachdem er noch in einem Schreiben an den Grafen Nuenar zu Köln die ersten Reformations¬ bestrebungen Martin Luther'S nur als ein „Schreien, Heulen und Klage» von Mönchen" bezeichnet, nachdem er in Bezug auf die witten- berger Vorfälle zu einem Bettelmönche gesagt hatte: Vernichtet nur, damit auch ihr vernichtet werdet! wurde er endlich durch die widrige Erscheinung des Ablaßkrames selbst zur Reaction gegen die pfäffischen Uebergriffe aufgestachelt und schloß sich seitdem mit dem eigenthümli¬ chen Feuereifer der Sache Luther's an. Aus dem augsburger Reichs¬ tage, zu welchem er im Jahre 1518 seinen geistlichen Herrn begleitet hatte, war es, wo er in begeisterter Rede über den auf Leo's X. Be¬ trieb von Maximilian, dem greisen, deutschen Könige zu veranstalten¬ den Türkenkrieg den deutschen Fürsten wahre, noch immer wahre Worte entgegenwarf, wo er ihnen ihre nichtigen Streitigkeiten vorhält: „Da klagt der Eine, daß Jener sich in fremde Händel gemischt, ein Anderer, daß ihm sein Bauer geschlagen worden sei; wieder ein Anderer klagt über die Anmaßung eines Titels, ein Dritter hadert wegen des Ran¬ ges, der ihm gebühre, wegen der Nichtanerkennung seines Stamm¬ baums." Dann citirt er Vollöstimmen: „Einmal werden wir zurück¬ gehen auf die Quellen, woraus uns jenes Verderben erwächst: Ein¬ mal werden wir uns gegen die morschen Häupter, woraus jene ver¬ derblichen Krankheiten entspringet?, mit Kraft und mit Gewalt erheben. Wenn man einmal zu Grunde gehen muß, so wird es ein Trost sein, zugleich mit denen, welche die Ursache des Untergangs sind, zu Grunde zu gehen." Und darauf bricht er in die denkwürdigen Worte aus: „Die Deutschen sind ein Bundesvolk. Es gibt keine Nation, die sich

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_365120/575>, abgerufen am 23.07.2024.