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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. II. Band.

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Gebete haben mag! Sie sind doch nicht einmal Christen! Sagt
Eure Gebete 'mal her, -- fuhr er die Zigeuner an.

-- Ach, gnädigster, bester Herr, -- bat der Alte, -- es sind
eigentlich keine Gebete, es sind Reimereien, so ganz schnurrige Wör¬
ter, die wir den Leuten vorbete". Der junge Bursch da kann solche
Wörter, die ihm sein Vater, ehe er starb, vorgesagt hat.

Der junge Zigeuner, aufgefordert seine Verse zu recitiren, sagte
mit monotonem Vortrage und in einem fürchterlichen Jargon unge¬
fähr folgende Strophen her:


Die Sonne, sie schien des Morgens so roth,
Sie schien dem König drei Töchterlein todt.
Der König, der herrschte im Morgenland,
Sein prächtiges Schloß lag am Meeresstrand.
Die Wellen rauschten, es wogte die Fluth,
Und drüber glänzte der Sonne Gluth.
Sie schien in die Fenster des Palasts hinein,
Da starben dem König die Töchterlein.
Der Liebste der Ersten, der siel in der Schlacht,
Und das hat dem Mädchen den Tod gebracht.
Der Braut'gain der Zweiten, sie liebt ihn so sehr,
Er ging zu 'ner Andern, weit über das Meer.
Die Dritte, sie war so still, so bleich,
Und doch war ihr Herz an Lieb' so reich.
Sie hätte so gerne geliebt und gefreit,
Doch achtete Niemand die blasse Maid.
Sie weinte bei Tag, sie weinte bei Nacht,
Hat immer umsonst auf den Liebsten gewacht.
Da schien die Sonne des Morgens so roth,
Sie küßte das bleiche Mädchen todt.
Der König, der König vom Morgenland,
Laut weint er des Abends am Meeresstrand.

Gebete haben mag! Sie sind doch nicht einmal Christen! Sagt
Eure Gebete 'mal her, — fuhr er die Zigeuner an.

— Ach, gnädigster, bester Herr, — bat der Alte, — es sind
eigentlich keine Gebete, es sind Reimereien, so ganz schnurrige Wör¬
ter, die wir den Leuten vorbete». Der junge Bursch da kann solche
Wörter, die ihm sein Vater, ehe er starb, vorgesagt hat.

Der junge Zigeuner, aufgefordert seine Verse zu recitiren, sagte
mit monotonem Vortrage und in einem fürchterlichen Jargon unge¬
fähr folgende Strophen her:


Die Sonne, sie schien des Morgens so roth,
Sie schien dem König drei Töchterlein todt.
Der König, der herrschte im Morgenland,
Sein prächtiges Schloß lag am Meeresstrand.
Die Wellen rauschten, es wogte die Fluth,
Und drüber glänzte der Sonne Gluth.
Sie schien in die Fenster des Palasts hinein,
Da starben dem König die Töchterlein.
Der Liebste der Ersten, der siel in der Schlacht,
Und das hat dem Mädchen den Tod gebracht.
Der Braut'gain der Zweiten, sie liebt ihn so sehr,
Er ging zu 'ner Andern, weit über das Meer.
Die Dritte, sie war so still, so bleich,
Und doch war ihr Herz an Lieb' so reich.
Sie hätte so gerne geliebt und gefreit,
Doch achtete Niemand die blasse Maid.
Sie weinte bei Tag, sie weinte bei Nacht,
Hat immer umsonst auf den Liebsten gewacht.
Da schien die Sonne des Morgens so roth,
Sie küßte das bleiche Mädchen todt.
Der König, der König vom Morgenland,
Laut weint er des Abends am Meeresstrand.

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[0057] Gebete haben mag! Sie sind doch nicht einmal Christen! Sagt Eure Gebete 'mal her, — fuhr er die Zigeuner an. — Ach, gnädigster, bester Herr, — bat der Alte, — es sind eigentlich keine Gebete, es sind Reimereien, so ganz schnurrige Wör¬ ter, die wir den Leuten vorbete». Der junge Bursch da kann solche Wörter, die ihm sein Vater, ehe er starb, vorgesagt hat. Der junge Zigeuner, aufgefordert seine Verse zu recitiren, sagte mit monotonem Vortrage und in einem fürchterlichen Jargon unge¬ fähr folgende Strophen her: Die Sonne, sie schien des Morgens so roth, Sie schien dem König drei Töchterlein todt. Der König, der herrschte im Morgenland, Sein prächtiges Schloß lag am Meeresstrand. Die Wellen rauschten, es wogte die Fluth, Und drüber glänzte der Sonne Gluth. Sie schien in die Fenster des Palasts hinein, Da starben dem König die Töchterlein. Der Liebste der Ersten, der siel in der Schlacht, Und das hat dem Mädchen den Tod gebracht. Der Braut'gain der Zweiten, sie liebt ihn so sehr, Er ging zu 'ner Andern, weit über das Meer. Die Dritte, sie war so still, so bleich, Und doch war ihr Herz an Lieb' so reich. Sie hätte so gerne geliebt und gefreit, Doch achtete Niemand die blasse Maid. Sie weinte bei Tag, sie weinte bei Nacht, Hat immer umsonst auf den Liebsten gewacht. Da schien die Sonne des Morgens so roth, Sie küßte das bleiche Mädchen todt. Der König, der König vom Morgenland, Laut weint er des Abends am Meeresstrand.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_365120/57>, abgerufen am 24.11.2024.