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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. II. Band.

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froh, endlich aus einer unangenehmen Lage befreit zu sein, begab ich
mich in meinen Gasthof, half mir mit der angegebenen Lüge durch
alle neugierigen Fragen und hatte schon binnen einer Stunde die
Residenz im Rücken,

Du kannst Dir, lieber Carl, leicht die Unruhe denken, mit welcher
ich, in meinem Neste angekommen, dem Befehle treu, zur Eröffnung
des versiegelten Schreibens schritt. Meine Angst verwandelte sich aber
sogleich in das freudigste Staunen, als ich aus der Schrift ersah, daß
man die seit geraumer Zeit offene Bürgermeisterstelle des Städtchens
mit meiner Person zu besetzen gedachte. Indessen empfahl man mir
in einem zweiten Schreiben dringend, nicht allein jene bürgerlichen Con-
föderationen zu meiden, sondern auch, wo ich wüßte und könnte, ihnen
zu steuern und die Mitglieder der Regierung anzuzeigen.

Die Fama war mir indessen schon vorausgeeilt, man wußte all¬
gemein, daß ich Bürgermeister geworden und die Leute zerbrachen sich
fast die Köpfe, welchen Glücksfällen ich meine Amtserhebung zu ver¬
danken hätte. Ich schwieg gerne, das mystische Licht, was über meinen
Fahrten schwebte, verbreitete einen wahren Wunderschein um meine
Locken und neugierig gafften mich alle Bekannte und Unbekannte an.
Ich will Dir nicht alles das alberne Zeug schreiben, was die guten
Kleinstädter über mich schwatzten, ich will Dir nur mittheilen, daß der
Bürgermeister durch eine dritte Person von mir den Rath erhielt, sie
möchten ihre Sache so betreibe", daß ein kurzsichtiger Bürgermeister
sie übersehen könnte, sonst möchten sie sich ganz in Betreff meiner beru¬
higen, meine Handlungsweise würde zwar durch die Pflichten meines
Amtes geregelt werden, meine Denkungsweise sei dieselbe geblieben.

Das nächste, was mir nun zu thun oblag, war, daß ich mein
Bräutchen hübsch galant am Arme führte und schleunig die üblichen
Aufgebote bestellte. Und so bin ich denn seit vorgestern ein glücklicher
Ehemann und die Fran Bürgermeisterin läßt mir kaum Ruhe, den
Brief zu vollenden und jetzt kommt doch das Wichtigste, nämlich --
Licht.

Am Tage meiner Vermählung bringt mir der Postbote einen
platten, viereckigen Kasten. Ich wittere ein Hochzeitsgeschenk und öffne
sogleich die hölzerne Hülle. Das erste, was mir in die Hand fällt,
ist ein Zeitungsblatt, auf dem man einen Artikel angestrichen hat, ich
lese sogleich und erfahre, daß mein Widersacher und Ankläger, Se.
Excellenz, ihr Portefeuille niedergelegt habe und es einem Andern über-


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froh, endlich aus einer unangenehmen Lage befreit zu sein, begab ich
mich in meinen Gasthof, half mir mit der angegebenen Lüge durch
alle neugierigen Fragen und hatte schon binnen einer Stunde die
Residenz im Rücken,

Du kannst Dir, lieber Carl, leicht die Unruhe denken, mit welcher
ich, in meinem Neste angekommen, dem Befehle treu, zur Eröffnung
des versiegelten Schreibens schritt. Meine Angst verwandelte sich aber
sogleich in das freudigste Staunen, als ich aus der Schrift ersah, daß
man die seit geraumer Zeit offene Bürgermeisterstelle des Städtchens
mit meiner Person zu besetzen gedachte. Indessen empfahl man mir
in einem zweiten Schreiben dringend, nicht allein jene bürgerlichen Con-
föderationen zu meiden, sondern auch, wo ich wüßte und könnte, ihnen
zu steuern und die Mitglieder der Regierung anzuzeigen.

Die Fama war mir indessen schon vorausgeeilt, man wußte all¬
gemein, daß ich Bürgermeister geworden und die Leute zerbrachen sich
fast die Köpfe, welchen Glücksfällen ich meine Amtserhebung zu ver¬
danken hätte. Ich schwieg gerne, das mystische Licht, was über meinen
Fahrten schwebte, verbreitete einen wahren Wunderschein um meine
Locken und neugierig gafften mich alle Bekannte und Unbekannte an.
Ich will Dir nicht alles das alberne Zeug schreiben, was die guten
Kleinstädter über mich schwatzten, ich will Dir nur mittheilen, daß der
Bürgermeister durch eine dritte Person von mir den Rath erhielt, sie
möchten ihre Sache so betreibe», daß ein kurzsichtiger Bürgermeister
sie übersehen könnte, sonst möchten sie sich ganz in Betreff meiner beru¬
higen, meine Handlungsweise würde zwar durch die Pflichten meines
Amtes geregelt werden, meine Denkungsweise sei dieselbe geblieben.

Das nächste, was mir nun zu thun oblag, war, daß ich mein
Bräutchen hübsch galant am Arme führte und schleunig die üblichen
Aufgebote bestellte. Und so bin ich denn seit vorgestern ein glücklicher
Ehemann und die Fran Bürgermeisterin läßt mir kaum Ruhe, den
Brief zu vollenden und jetzt kommt doch das Wichtigste, nämlich —
Licht.

Am Tage meiner Vermählung bringt mir der Postbote einen
platten, viereckigen Kasten. Ich wittere ein Hochzeitsgeschenk und öffne
sogleich die hölzerne Hülle. Das erste, was mir in die Hand fällt,
ist ein Zeitungsblatt, auf dem man einen Artikel angestrichen hat, ich
lese sogleich und erfahre, daß mein Widersacher und Ankläger, Se.
Excellenz, ihr Portefeuille niedergelegt habe und es einem Andern über-


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[0569] froh, endlich aus einer unangenehmen Lage befreit zu sein, begab ich mich in meinen Gasthof, half mir mit der angegebenen Lüge durch alle neugierigen Fragen und hatte schon binnen einer Stunde die Residenz im Rücken, Du kannst Dir, lieber Carl, leicht die Unruhe denken, mit welcher ich, in meinem Neste angekommen, dem Befehle treu, zur Eröffnung des versiegelten Schreibens schritt. Meine Angst verwandelte sich aber sogleich in das freudigste Staunen, als ich aus der Schrift ersah, daß man die seit geraumer Zeit offene Bürgermeisterstelle des Städtchens mit meiner Person zu besetzen gedachte. Indessen empfahl man mir in einem zweiten Schreiben dringend, nicht allein jene bürgerlichen Con- föderationen zu meiden, sondern auch, wo ich wüßte und könnte, ihnen zu steuern und die Mitglieder der Regierung anzuzeigen. Die Fama war mir indessen schon vorausgeeilt, man wußte all¬ gemein, daß ich Bürgermeister geworden und die Leute zerbrachen sich fast die Köpfe, welchen Glücksfällen ich meine Amtserhebung zu ver¬ danken hätte. Ich schwieg gerne, das mystische Licht, was über meinen Fahrten schwebte, verbreitete einen wahren Wunderschein um meine Locken und neugierig gafften mich alle Bekannte und Unbekannte an. Ich will Dir nicht alles das alberne Zeug schreiben, was die guten Kleinstädter über mich schwatzten, ich will Dir nur mittheilen, daß der Bürgermeister durch eine dritte Person von mir den Rath erhielt, sie möchten ihre Sache so betreibe», daß ein kurzsichtiger Bürgermeister sie übersehen könnte, sonst möchten sie sich ganz in Betreff meiner beru¬ higen, meine Handlungsweise würde zwar durch die Pflichten meines Amtes geregelt werden, meine Denkungsweise sei dieselbe geblieben. Das nächste, was mir nun zu thun oblag, war, daß ich mein Bräutchen hübsch galant am Arme führte und schleunig die üblichen Aufgebote bestellte. Und so bin ich denn seit vorgestern ein glücklicher Ehemann und die Fran Bürgermeisterin läßt mir kaum Ruhe, den Brief zu vollenden und jetzt kommt doch das Wichtigste, nämlich — Licht. Am Tage meiner Vermählung bringt mir der Postbote einen platten, viereckigen Kasten. Ich wittere ein Hochzeitsgeschenk und öffne sogleich die hölzerne Hülle. Das erste, was mir in die Hand fällt, ist ein Zeitungsblatt, auf dem man einen Artikel angestrichen hat, ich lese sogleich und erfahre, daß mein Widersacher und Ankläger, Se. Excellenz, ihr Portefeuille niedergelegt habe und es einem Andern über- Grcnzboten. II. 72

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_365120/569>, abgerufen am 24.11.2024.