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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. II. Band.

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"Lassen Sie sich umarme", Herzensdoctor, Sie sind ein trefflicher
Mann!" rief ich mit Enthusiasmus.

"Noch sind Sie nicht frei, mein Herr Kommilitone, Alles hängt
davon ab, wie Sie die Supplik abfassen. Erzählen Sie darin Allee^
verschweigen Sie selbst nicht die kleinsten Umstände, nur nennen Sie
meine Person nicht, ich bin ein "unbekannter Herr", verstehen Sie wohl?
Der alte König ist ein schnurriger Herr, Ihr Abenteuer ist ein gött¬
licher Spaß, vielleicht muß er über die ganze Sache lachen und dann
ist Ihr Spiel gewonnen. Aber jetzt muß ich fort, Herr Commilitone>
ich hoffe Sie bald wieder auf freiem Fuß zu sehen und dann wollen
wir wieder eins miteinander trinken."

Mein Protektor aus der Residenz entfernte sich, der Gefängni߬
wärter brachte die versprochenen Schreibmaterialien und vor meinem
Schemmel knieend entwarf ich ein Bild meiner sonderbaren Fahrten.
Am andern Mittag nahm der Wärter die Supplik in Empfang und
nichts störte wieder eine halbe Woche lang mein einsames Gesängniß-
leben, als die jedesmalige Frage beim Oeffnen des Schiebers: "Ist
noch keine Hoffnung auf Erlösung vorhanden?" und jedes Mal schüt¬
telte der Schließer den Kopf und schob die Klappe wieder zu.

Nach drei langen Tagen endlich öffnete sich zum zweiten Mal
die Kerkerthür und ein Polizeibeamter trat ein. Er brachte mir meine
gewöhnlichen Kleidungsstücke, nebst der verhängnißvollen Brieftasche
und hielt ein gewichtiges, langes, versiegeltes Schreiben in der HaKd.

"Man hat Ihrem Gesuch willfahrtet," sprach er zu mir, "Sie
sind jetzt völlig frei. Ich habe Ihre Kleidungsstücke kommen lassen,
damit Sie Ihre Maske ablegen können. Hier ist ein Schreiben aus
dem Ministerium, es soll aber nicht eher eröffnet werden, als bis Sie
in Ihre Stadt wieder zurückgekehrt sind. Doch merken Sie wohl auf,
man knüpft an diese Gnade zwei Bedingungen, erstens daß Sie binnen
zwei Stunden sich aus der Residenz entfernen und zweitens über die ganze
Sache so lange streng schweigen, bis man Ihnen eine Weisung zu¬
kommen läßt, daß es nicht mehr nöthig sei. Sollte man Sie mit neu¬
gierigen Fragen bestürmen, wo Sie gewesen, so sagen Sie nur ganz
geheimnißvoll, daß man Sie in einer dringenden Sache als Courier
an den Botschafter am B.schen Hof gesendet hätte. Das nämliche
sagen Sie Ihrem Gastwirthe, Sie können aus demselben Grunde er¬
klären, daß man auf Ihre Sachen das Siegel gelegt, weil es Ihnen
unmöglich gewesen, sie vor jener Reise in Gewahrsam zu bringen." '

Der Polizeibeamte verließ mich hierauf, ich kleidete mich um und


„Lassen Sie sich umarme», Herzensdoctor, Sie sind ein trefflicher
Mann!" rief ich mit Enthusiasmus.

„Noch sind Sie nicht frei, mein Herr Kommilitone, Alles hängt
davon ab, wie Sie die Supplik abfassen. Erzählen Sie darin Allee^
verschweigen Sie selbst nicht die kleinsten Umstände, nur nennen Sie
meine Person nicht, ich bin ein „unbekannter Herr", verstehen Sie wohl?
Der alte König ist ein schnurriger Herr, Ihr Abenteuer ist ein gött¬
licher Spaß, vielleicht muß er über die ganze Sache lachen und dann
ist Ihr Spiel gewonnen. Aber jetzt muß ich fort, Herr Commilitone>
ich hoffe Sie bald wieder auf freiem Fuß zu sehen und dann wollen
wir wieder eins miteinander trinken."

Mein Protektor aus der Residenz entfernte sich, der Gefängni߬
wärter brachte die versprochenen Schreibmaterialien und vor meinem
Schemmel knieend entwarf ich ein Bild meiner sonderbaren Fahrten.
Am andern Mittag nahm der Wärter die Supplik in Empfang und
nichts störte wieder eine halbe Woche lang mein einsames Gesängniß-
leben, als die jedesmalige Frage beim Oeffnen des Schiebers: „Ist
noch keine Hoffnung auf Erlösung vorhanden?" und jedes Mal schüt¬
telte der Schließer den Kopf und schob die Klappe wieder zu.

Nach drei langen Tagen endlich öffnete sich zum zweiten Mal
die Kerkerthür und ein Polizeibeamter trat ein. Er brachte mir meine
gewöhnlichen Kleidungsstücke, nebst der verhängnißvollen Brieftasche
und hielt ein gewichtiges, langes, versiegeltes Schreiben in der HaKd.

„Man hat Ihrem Gesuch willfahrtet," sprach er zu mir, „Sie
sind jetzt völlig frei. Ich habe Ihre Kleidungsstücke kommen lassen,
damit Sie Ihre Maske ablegen können. Hier ist ein Schreiben aus
dem Ministerium, es soll aber nicht eher eröffnet werden, als bis Sie
in Ihre Stadt wieder zurückgekehrt sind. Doch merken Sie wohl auf,
man knüpft an diese Gnade zwei Bedingungen, erstens daß Sie binnen
zwei Stunden sich aus der Residenz entfernen und zweitens über die ganze
Sache so lange streng schweigen, bis man Ihnen eine Weisung zu¬
kommen läßt, daß es nicht mehr nöthig sei. Sollte man Sie mit neu¬
gierigen Fragen bestürmen, wo Sie gewesen, so sagen Sie nur ganz
geheimnißvoll, daß man Sie in einer dringenden Sache als Courier
an den Botschafter am B.schen Hof gesendet hätte. Das nämliche
sagen Sie Ihrem Gastwirthe, Sie können aus demselben Grunde er¬
klären, daß man auf Ihre Sachen das Siegel gelegt, weil es Ihnen
unmöglich gewesen, sie vor jener Reise in Gewahrsam zu bringen." '

Der Polizeibeamte verließ mich hierauf, ich kleidete mich um und


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[0568] „Lassen Sie sich umarme», Herzensdoctor, Sie sind ein trefflicher Mann!" rief ich mit Enthusiasmus. „Noch sind Sie nicht frei, mein Herr Kommilitone, Alles hängt davon ab, wie Sie die Supplik abfassen. Erzählen Sie darin Allee^ verschweigen Sie selbst nicht die kleinsten Umstände, nur nennen Sie meine Person nicht, ich bin ein „unbekannter Herr", verstehen Sie wohl? Der alte König ist ein schnurriger Herr, Ihr Abenteuer ist ein gött¬ licher Spaß, vielleicht muß er über die ganze Sache lachen und dann ist Ihr Spiel gewonnen. Aber jetzt muß ich fort, Herr Commilitone> ich hoffe Sie bald wieder auf freiem Fuß zu sehen und dann wollen wir wieder eins miteinander trinken." Mein Protektor aus der Residenz entfernte sich, der Gefängni߬ wärter brachte die versprochenen Schreibmaterialien und vor meinem Schemmel knieend entwarf ich ein Bild meiner sonderbaren Fahrten. Am andern Mittag nahm der Wärter die Supplik in Empfang und nichts störte wieder eine halbe Woche lang mein einsames Gesängniß- leben, als die jedesmalige Frage beim Oeffnen des Schiebers: „Ist noch keine Hoffnung auf Erlösung vorhanden?" und jedes Mal schüt¬ telte der Schließer den Kopf und schob die Klappe wieder zu. Nach drei langen Tagen endlich öffnete sich zum zweiten Mal die Kerkerthür und ein Polizeibeamter trat ein. Er brachte mir meine gewöhnlichen Kleidungsstücke, nebst der verhängnißvollen Brieftasche und hielt ein gewichtiges, langes, versiegeltes Schreiben in der HaKd. „Man hat Ihrem Gesuch willfahrtet," sprach er zu mir, „Sie sind jetzt völlig frei. Ich habe Ihre Kleidungsstücke kommen lassen, damit Sie Ihre Maske ablegen können. Hier ist ein Schreiben aus dem Ministerium, es soll aber nicht eher eröffnet werden, als bis Sie in Ihre Stadt wieder zurückgekehrt sind. Doch merken Sie wohl auf, man knüpft an diese Gnade zwei Bedingungen, erstens daß Sie binnen zwei Stunden sich aus der Residenz entfernen und zweitens über die ganze Sache so lange streng schweigen, bis man Ihnen eine Weisung zu¬ kommen läßt, daß es nicht mehr nöthig sei. Sollte man Sie mit neu¬ gierigen Fragen bestürmen, wo Sie gewesen, so sagen Sie nur ganz geheimnißvoll, daß man Sie in einer dringenden Sache als Courier an den Botschafter am B.schen Hof gesendet hätte. Das nämliche sagen Sie Ihrem Gastwirthe, Sie können aus demselben Grunde er¬ klären, daß man auf Ihre Sachen das Siegel gelegt, weil es Ihnen unmöglich gewesen, sie vor jener Reise in Gewahrsam zu bringen." ' Der Polizeibeamte verließ mich hierauf, ich kleidete mich um und

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_365120/568>, abgerufen am 24.11.2024.