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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. II. Band.

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im Voraus verrathen, daß sie zwei große, dunkle Augen mir gezeigt
hat, deren Farbe ich freilich nicht genau unterscheiden konnte. Zu den
Füßen dieser bezaubernden Fee aber knieete ein Mann mit rothem auf¬
gedunsenen Gesicht und starkem Backenbarte, er trug eine schwarze
Hose, einen Frack von derselben Farbe, eine weiße Weste und ein wei¬
ßes Halstuch. Verzeihe mir diese Details, sie sind aber von zu gro¬
ßer Wichtigkeit, als daß ich sie übergehen könnte. Am Boden lag ein
Fächer halb aufgeschlagen, auf einem Tische, der die Mitte der Stube
einnahm, stand eine Caraffe mit Wasser, ein Glas und mehrere Fläsch-
chen mit Odeurs. Der knieende Amadis hatte mein Eintreten nicht
bemerkt, er setzte also seine Anrede an die scheintodte Schöne unver¬
drossen fort.

"Theuerste Magdalena, Ihr hartnäckiges Schweigen zwingt mich,
das äußerste Mittel zu ergreifen, da Sie meine Worte nicht verstehen
wollen, müssen Sie meine Küsse belehren, wie tief, wie innig ich für
Sie fühle I"

Der genossene Wein wirkte schon bedeutend in mir, ich war, wollte
ich meiner Maske treu bleiben, ein Cavalier, ja selbst wenn ich bei
gesunden Sinnen gewesen wäre, hätte ich nicht mit ansehen dürfen,
wie indiscret ein Mann den hilflosen Zustand einer jungen, schönen
Dame zu benutzen im Begriff war. Seiner Kleidung nach schien er
mir ein Kellner des Hotels zu sein, ja sein Gesicht hatte sogar eine
frappante Aehnlichkeit mit der Physiognomie des Individuums, das
meinen saubern Dr. jm-is aus der Residenz bedient hatte. Sobald ich
also sah, daß jener Kellner, oder wer es sein mochte, Anstalt machte,
seine Drohung zu erfüllen und sich bereits in verführerischer Nähe dem
schönen Munde befand, sprang ich auf ihn zu, packte ihn am Kragen
und schleuderte ihn zu Boden. In demselben Augenblicke erwachte die
Schöne auf der Ottomanne und stürzte mit dem Geschrei: "Zu Hilfe!
Mörder! Mörder!" durch eine andere Thüre, als durch welche ich ge¬
kommen, zum Zimmer hinaus. Ich befand mich jetzt mit dem zu Bo¬
den Geworfenen allein. Dieser war aber augenblicklich wieder ausge¬
sprungen, die Röthe seines Gesichtes war gewichen, seine Glieder zit¬
terten.

"Mein Herr," rief er mit bebender Stimme, "was wollen Sie?
wen suchen Sie hier?"

"Ich will Dich lehren, schändlicher Bube," rief ich wild stampfend
und indem ich von Neuem auf den Erschrockenen eindrang, "ich will


im Voraus verrathen, daß sie zwei große, dunkle Augen mir gezeigt
hat, deren Farbe ich freilich nicht genau unterscheiden konnte. Zu den
Füßen dieser bezaubernden Fee aber knieete ein Mann mit rothem auf¬
gedunsenen Gesicht und starkem Backenbarte, er trug eine schwarze
Hose, einen Frack von derselben Farbe, eine weiße Weste und ein wei¬
ßes Halstuch. Verzeihe mir diese Details, sie sind aber von zu gro¬
ßer Wichtigkeit, als daß ich sie übergehen könnte. Am Boden lag ein
Fächer halb aufgeschlagen, auf einem Tische, der die Mitte der Stube
einnahm, stand eine Caraffe mit Wasser, ein Glas und mehrere Fläsch-
chen mit Odeurs. Der knieende Amadis hatte mein Eintreten nicht
bemerkt, er setzte also seine Anrede an die scheintodte Schöne unver¬
drossen fort.

„Theuerste Magdalena, Ihr hartnäckiges Schweigen zwingt mich,
das äußerste Mittel zu ergreifen, da Sie meine Worte nicht verstehen
wollen, müssen Sie meine Küsse belehren, wie tief, wie innig ich für
Sie fühle I"

Der genossene Wein wirkte schon bedeutend in mir, ich war, wollte
ich meiner Maske treu bleiben, ein Cavalier, ja selbst wenn ich bei
gesunden Sinnen gewesen wäre, hätte ich nicht mit ansehen dürfen,
wie indiscret ein Mann den hilflosen Zustand einer jungen, schönen
Dame zu benutzen im Begriff war. Seiner Kleidung nach schien er
mir ein Kellner des Hotels zu sein, ja sein Gesicht hatte sogar eine
frappante Aehnlichkeit mit der Physiognomie des Individuums, das
meinen saubern Dr. jm-is aus der Residenz bedient hatte. Sobald ich
also sah, daß jener Kellner, oder wer es sein mochte, Anstalt machte,
seine Drohung zu erfüllen und sich bereits in verführerischer Nähe dem
schönen Munde befand, sprang ich auf ihn zu, packte ihn am Kragen
und schleuderte ihn zu Boden. In demselben Augenblicke erwachte die
Schöne auf der Ottomanne und stürzte mit dem Geschrei: „Zu Hilfe!
Mörder! Mörder!" durch eine andere Thüre, als durch welche ich ge¬
kommen, zum Zimmer hinaus. Ich befand mich jetzt mit dem zu Bo¬
den Geworfenen allein. Dieser war aber augenblicklich wieder ausge¬
sprungen, die Röthe seines Gesichtes war gewichen, seine Glieder zit¬
terten.

„Mein Herr," rief er mit bebender Stimme, „was wollen Sie?
wen suchen Sie hier?"

„Ich will Dich lehren, schändlicher Bube," rief ich wild stampfend
und indem ich von Neuem auf den Erschrockenen eindrang, „ich will


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[0564] im Voraus verrathen, daß sie zwei große, dunkle Augen mir gezeigt hat, deren Farbe ich freilich nicht genau unterscheiden konnte. Zu den Füßen dieser bezaubernden Fee aber knieete ein Mann mit rothem auf¬ gedunsenen Gesicht und starkem Backenbarte, er trug eine schwarze Hose, einen Frack von derselben Farbe, eine weiße Weste und ein wei¬ ßes Halstuch. Verzeihe mir diese Details, sie sind aber von zu gro¬ ßer Wichtigkeit, als daß ich sie übergehen könnte. Am Boden lag ein Fächer halb aufgeschlagen, auf einem Tische, der die Mitte der Stube einnahm, stand eine Caraffe mit Wasser, ein Glas und mehrere Fläsch- chen mit Odeurs. Der knieende Amadis hatte mein Eintreten nicht bemerkt, er setzte also seine Anrede an die scheintodte Schöne unver¬ drossen fort. „Theuerste Magdalena, Ihr hartnäckiges Schweigen zwingt mich, das äußerste Mittel zu ergreifen, da Sie meine Worte nicht verstehen wollen, müssen Sie meine Küsse belehren, wie tief, wie innig ich für Sie fühle I" Der genossene Wein wirkte schon bedeutend in mir, ich war, wollte ich meiner Maske treu bleiben, ein Cavalier, ja selbst wenn ich bei gesunden Sinnen gewesen wäre, hätte ich nicht mit ansehen dürfen, wie indiscret ein Mann den hilflosen Zustand einer jungen, schönen Dame zu benutzen im Begriff war. Seiner Kleidung nach schien er mir ein Kellner des Hotels zu sein, ja sein Gesicht hatte sogar eine frappante Aehnlichkeit mit der Physiognomie des Individuums, das meinen saubern Dr. jm-is aus der Residenz bedient hatte. Sobald ich also sah, daß jener Kellner, oder wer es sein mochte, Anstalt machte, seine Drohung zu erfüllen und sich bereits in verführerischer Nähe dem schönen Munde befand, sprang ich auf ihn zu, packte ihn am Kragen und schleuderte ihn zu Boden. In demselben Augenblicke erwachte die Schöne auf der Ottomanne und stürzte mit dem Geschrei: „Zu Hilfe! Mörder! Mörder!" durch eine andere Thüre, als durch welche ich ge¬ kommen, zum Zimmer hinaus. Ich befand mich jetzt mit dem zu Bo¬ den Geworfenen allein. Dieser war aber augenblicklich wieder ausge¬ sprungen, die Röthe seines Gesichtes war gewichen, seine Glieder zit¬ terten. „Mein Herr," rief er mit bebender Stimme, „was wollen Sie? wen suchen Sie hier?" „Ich will Dich lehren, schändlicher Bube," rief ich wild stampfend und indem ich von Neuem auf den Erschrockenen eindrang, „ich will

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_365120/564>, abgerufen am 24.11.2024.