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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. II. Band.

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zahl dienstbarer Geister, alle ganz einfach mit schwarzer Hose und
Frack, weißer Weste und weißem Halstuch bekleidet. Mein Vor--
ganger übergibt seinen Mantel und Hut einem derselben, ich thue ein
Gleiches und folge beständig dem mir voraneilender Wandelstern.
Der Herr ist nicht maskirt, ich bemerkte es kaum. Wir treten in
eine Gallerie, sie ist spärlich beleuchtet und kein Mensch zu sehen. Ich
maskire mich und folge wieder in gemessener Entfernung meinem Men¬
tor. Dieser'bleibt jedoch an einem Pfeilertisch stehen, wühlt in den
darauf liegeichen Büchern und Kupferstichen und fängt zu lesen an.
Ich warte und warte. Der Fremde scheint durch die Lectüre immer
gespannter zu werden, ich erlaube mir daher, ihm meine Gegenwart
durch ein vernehmbares Husten anzuzeigen. Er dreht sich und er¬
schrickt sichtlich. In meinem damaligen Zustande siel mir dieses Er¬
schrecken weniger Fuf, ich schrieb es meiner imponirenden Gestalt und
meiner düstern Maske zu. "

"Sie entschuldigen, "Min ich Sie stören muß," begann,ich mit ei¬
ner tiefen Verbeugung, "aber ich bin zum erstell Male in diesem Ho¬
tel, und kann den Weg zum Ballsaal nicht finden."

Der Fremde drehte sogleich seinen Rücken zur Wand, als ob er
einen Allgriff von mir befürchtete und griff nach einer auf dem Tisch
liegenden Handklingel. Ich erinnere mich dieser Umstände jetzt genau,
obgleich sie mir damals nicht im Mindesten auffielen.

"Ehe ich Ihnen Antwort gebe, mein Herr," erwiederte der Un¬
bekannte, "bijte ich, daß Sie Ihre Maske ablegen , ich liebe es, dem
in'S Gesicht zu sehen, "uti.sein ich spreche."

schleunigst entfernte ich also meine Maske und zeigte dem Frem¬
den den edlen Typus meiner Physiognomie. Jener lächelt -- wahr¬
scheinlich aus Wohlgefallen, denn man sieht so selten ein schönes Ge-
ficht -- und greift nach seiner Uhr.

"Erst sieben Uhr," spricht er hierauf, "Sie werden noch Nieman¬
den finden, der Ball beginnt erst in einer Stunde."

"Was soll man in der Zwischenzeit anfangen?" fragte ich.

"Wir können die paar Minuten noch verplaudern, lassen Sie
uns in's Nebenzimmer treten, und um 8 Uhr will ich Sie in den
Ballsaal führen."

Von so viel Zuvorkommenheit gerührt willige ich ein, wir treten in das
Nebenzimmer, eine einfenstrige Stube mit grüner Tapete und von ei¬
nem schönen Lüstre hinreichend erleuchtet. Der Fremde hatte bereits
geklingelt, einer der oben beschriebenen Schwarz und Weißen tritt ein


zahl dienstbarer Geister, alle ganz einfach mit schwarzer Hose und
Frack, weißer Weste und weißem Halstuch bekleidet. Mein Vor--
ganger übergibt seinen Mantel und Hut einem derselben, ich thue ein
Gleiches und folge beständig dem mir voraneilender Wandelstern.
Der Herr ist nicht maskirt, ich bemerkte es kaum. Wir treten in
eine Gallerie, sie ist spärlich beleuchtet und kein Mensch zu sehen. Ich
maskire mich und folge wieder in gemessener Entfernung meinem Men¬
tor. Dieser'bleibt jedoch an einem Pfeilertisch stehen, wühlt in den
darauf liegeichen Büchern und Kupferstichen und fängt zu lesen an.
Ich warte und warte. Der Fremde scheint durch die Lectüre immer
gespannter zu werden, ich erlaube mir daher, ihm meine Gegenwart
durch ein vernehmbares Husten anzuzeigen. Er dreht sich und er¬
schrickt sichtlich. In meinem damaligen Zustande siel mir dieses Er¬
schrecken weniger Fuf, ich schrieb es meiner imponirenden Gestalt und
meiner düstern Maske zu. »

„Sie entschuldigen, »Min ich Sie stören muß," begann,ich mit ei¬
ner tiefen Verbeugung, „aber ich bin zum erstell Male in diesem Ho¬
tel, und kann den Weg zum Ballsaal nicht finden."

Der Fremde drehte sogleich seinen Rücken zur Wand, als ob er
einen Allgriff von mir befürchtete und griff nach einer auf dem Tisch
liegenden Handklingel. Ich erinnere mich dieser Umstände jetzt genau,
obgleich sie mir damals nicht im Mindesten auffielen.

„Ehe ich Ihnen Antwort gebe, mein Herr," erwiederte der Un¬
bekannte, „bijte ich, daß Sie Ihre Maske ablegen , ich liebe es, dem
in'S Gesicht zu sehen, «uti.sein ich spreche."

schleunigst entfernte ich also meine Maske und zeigte dem Frem¬
den den edlen Typus meiner Physiognomie. Jener lächelt — wahr¬
scheinlich aus Wohlgefallen, denn man sieht so selten ein schönes Ge-
ficht — und greift nach seiner Uhr.

„Erst sieben Uhr," spricht er hierauf, „Sie werden noch Nieman¬
den finden, der Ball beginnt erst in einer Stunde."

„Was soll man in der Zwischenzeit anfangen?" fragte ich.

„Wir können die paar Minuten noch verplaudern, lassen Sie
uns in's Nebenzimmer treten, und um 8 Uhr will ich Sie in den
Ballsaal führen."

Von so viel Zuvorkommenheit gerührt willige ich ein, wir treten in das
Nebenzimmer, eine einfenstrige Stube mit grüner Tapete und von ei¬
nem schönen Lüstre hinreichend erleuchtet. Der Fremde hatte bereits
geklingelt, einer der oben beschriebenen Schwarz und Weißen tritt ein


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_365120/559>, abgerufen am 24.11.2024.