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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. II. Band.

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der bessern La Valette) sich anzuschließen, wenn sie es vorzögen, ihr
Publicum im Königstädter-, im Leopoldstädter-, im Jsarrhortheater auf¬
zusuchen? Und hat der höhere Schauspieler nicht ähnliche Pflicht? Ist
es nicht ein schnöder Handel, wenn ein berühmter, im höhern Drama
sich bewegender Schauspieler, Regisseur einer großen deutschen Hofbühne,
auf deren Leitung er einen wichtigen Einfluß übt, ein Mann, dem es
also doppelt Pflicht ist, ein gutes Beispiel zu geben, plötzlich, um einige
Säcke voll Thaler mehr zu gewinnen, hinauszieht an eine Bühne, deren
Repertoir, deren Schauspieler, deren Geschmacksrichtung den Ansprüchen
der höhern Bildung zuwider laufen? Wir würden Herrn Emil Devrient
es nicht verargen, wenn er auf dem Theater von Bückeburg oder Schöp-
penstädt gastiren würde, denn dort gibt es keine Wahl und warum soll
Herr Devrient auf die Bückeburger und Schöppenstädter Verzicht leisten?
Aber in einer Stadt, wo es zwei Bühnen gibt, muß der Schauspieler sich
entscheiden, ob er das Handwerk eines Komödianten oder eines Künstlers
ausüben will. Er muß, je höher er steht, je entschiedener das Beispiel
geben, welcher Richtung er angehört. Auch ein Schauspieler soll Ge¬
sinnung haben, wenigstens in seiner Kunstrichtung und so wie den
Schriftsteller, der sich verkauft, der Bannstrahl der öffentlichen Mei¬
nung trifft, so treffe er auch jenen. Zwar gibt Herr Emil Devrient vor,
er spiele hauptsächlich deshalb an der königstädter Bühne, weil er an der
Hofbühne in seinen besten Rotten sich nicht zeigen könnte. Schlimm
genug für sein Talent, wenn es sich am behaglichsten in solchen Rollen
entwickelt, welche dem höhern Geschmack und den strengeren Anforderungen
an das Drama so wenig genügen, daß sie sogar von der wahrlich
nicht durch besonders strenge und geschmackvolle glänzende Hofbühne aus¬
geschlossen sind. Wir haben nie gehört, daß die Rachel, um die Man-
nichfaltigkeit ihres Talentes zu documentiren, an einem Boulevardtheater
in Don Cäsar de Bazar oder als "Weib aus dem Volke" gastirr hätte.
Ebenso wenig ist es Iffland, Seidelmann oder dem großen Devrient
nöthig erschienen, von einem Hühnersteig zum andern zu fliegen, Behufs
der Probeablegung ihrer Vielseitigkeit. Ich muß Herrn Emil um Ent¬
schuldigung bitten, daß ich ihn mit diesen Mannern vergleiche und bemerke
gleichzeitig, daß ich keineswegs gesagt haben will, er sei ein Jffland, ein
Seidelmann oder ein großer Devrient. Denn grade daß er es nicht ist, ent¬
schuldigt ihn einigermaßen. Nur der wahrhaft große Schauspieler, dessen
Genie ein wesentliches Element in der Entwickelungsgeschichte des Theaters
bildet und dessen tieferer Geist mit dem Geist der Poesie und der drama¬
tischen Produktion in innigem Zusammenhange steht, nur der hat Pflich¬
ten der gesammten Nationalbühne gegenüber, nur von ihm darf man
fordern, daß er unwürdige theatralische Machwerke durch das Gewicht
seines Talentes nicht unterstütze, daß er eine Bühne, welche nur Hand¬
werk treibt und um die höhern Interessen der Kunst sich nicht kümmert,
den Rücken wende und so den jüngern nachstrebenden Schauspielern, den
Directoren, ja dem Publicum selbst ein Beispiel gebe, daß zwischen Kunst
und Handwerk, zwischen Schauspieler und Komödianten, zwischen drama¬
tischen Bestrebungen und trivialen Jux ein scharfer Strich zu machen


der bessern La Valette) sich anzuschließen, wenn sie es vorzögen, ihr
Publicum im Königstädter-, im Leopoldstädter-, im Jsarrhortheater auf¬
zusuchen? Und hat der höhere Schauspieler nicht ähnliche Pflicht? Ist
es nicht ein schnöder Handel, wenn ein berühmter, im höhern Drama
sich bewegender Schauspieler, Regisseur einer großen deutschen Hofbühne,
auf deren Leitung er einen wichtigen Einfluß übt, ein Mann, dem es
also doppelt Pflicht ist, ein gutes Beispiel zu geben, plötzlich, um einige
Säcke voll Thaler mehr zu gewinnen, hinauszieht an eine Bühne, deren
Repertoir, deren Schauspieler, deren Geschmacksrichtung den Ansprüchen
der höhern Bildung zuwider laufen? Wir würden Herrn Emil Devrient
es nicht verargen, wenn er auf dem Theater von Bückeburg oder Schöp-
penstädt gastiren würde, denn dort gibt es keine Wahl und warum soll
Herr Devrient auf die Bückeburger und Schöppenstädter Verzicht leisten?
Aber in einer Stadt, wo es zwei Bühnen gibt, muß der Schauspieler sich
entscheiden, ob er das Handwerk eines Komödianten oder eines Künstlers
ausüben will. Er muß, je höher er steht, je entschiedener das Beispiel
geben, welcher Richtung er angehört. Auch ein Schauspieler soll Ge¬
sinnung haben, wenigstens in seiner Kunstrichtung und so wie den
Schriftsteller, der sich verkauft, der Bannstrahl der öffentlichen Mei¬
nung trifft, so treffe er auch jenen. Zwar gibt Herr Emil Devrient vor,
er spiele hauptsächlich deshalb an der königstädter Bühne, weil er an der
Hofbühne in seinen besten Rotten sich nicht zeigen könnte. Schlimm
genug für sein Talent, wenn es sich am behaglichsten in solchen Rollen
entwickelt, welche dem höhern Geschmack und den strengeren Anforderungen
an das Drama so wenig genügen, daß sie sogar von der wahrlich
nicht durch besonders strenge und geschmackvolle glänzende Hofbühne aus¬
geschlossen sind. Wir haben nie gehört, daß die Rachel, um die Man-
nichfaltigkeit ihres Talentes zu documentiren, an einem Boulevardtheater
in Don Cäsar de Bazar oder als „Weib aus dem Volke" gastirr hätte.
Ebenso wenig ist es Iffland, Seidelmann oder dem großen Devrient
nöthig erschienen, von einem Hühnersteig zum andern zu fliegen, Behufs
der Probeablegung ihrer Vielseitigkeit. Ich muß Herrn Emil um Ent¬
schuldigung bitten, daß ich ihn mit diesen Mannern vergleiche und bemerke
gleichzeitig, daß ich keineswegs gesagt haben will, er sei ein Jffland, ein
Seidelmann oder ein großer Devrient. Denn grade daß er es nicht ist, ent¬
schuldigt ihn einigermaßen. Nur der wahrhaft große Schauspieler, dessen
Genie ein wesentliches Element in der Entwickelungsgeschichte des Theaters
bildet und dessen tieferer Geist mit dem Geist der Poesie und der drama¬
tischen Produktion in innigem Zusammenhange steht, nur der hat Pflich¬
ten der gesammten Nationalbühne gegenüber, nur von ihm darf man
fordern, daß er unwürdige theatralische Machwerke durch das Gewicht
seines Talentes nicht unterstütze, daß er eine Bühne, welche nur Hand¬
werk treibt und um die höhern Interessen der Kunst sich nicht kümmert,
den Rücken wende und so den jüngern nachstrebenden Schauspielern, den
Directoren, ja dem Publicum selbst ein Beispiel gebe, daß zwischen Kunst
und Handwerk, zwischen Schauspieler und Komödianten, zwischen drama¬
tischen Bestrebungen und trivialen Jux ein scharfer Strich zu machen


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[0507] der bessern La Valette) sich anzuschließen, wenn sie es vorzögen, ihr Publicum im Königstädter-, im Leopoldstädter-, im Jsarrhortheater auf¬ zusuchen? Und hat der höhere Schauspieler nicht ähnliche Pflicht? Ist es nicht ein schnöder Handel, wenn ein berühmter, im höhern Drama sich bewegender Schauspieler, Regisseur einer großen deutschen Hofbühne, auf deren Leitung er einen wichtigen Einfluß übt, ein Mann, dem es also doppelt Pflicht ist, ein gutes Beispiel zu geben, plötzlich, um einige Säcke voll Thaler mehr zu gewinnen, hinauszieht an eine Bühne, deren Repertoir, deren Schauspieler, deren Geschmacksrichtung den Ansprüchen der höhern Bildung zuwider laufen? Wir würden Herrn Emil Devrient es nicht verargen, wenn er auf dem Theater von Bückeburg oder Schöp- penstädt gastiren würde, denn dort gibt es keine Wahl und warum soll Herr Devrient auf die Bückeburger und Schöppenstädter Verzicht leisten? Aber in einer Stadt, wo es zwei Bühnen gibt, muß der Schauspieler sich entscheiden, ob er das Handwerk eines Komödianten oder eines Künstlers ausüben will. Er muß, je höher er steht, je entschiedener das Beispiel geben, welcher Richtung er angehört. Auch ein Schauspieler soll Ge¬ sinnung haben, wenigstens in seiner Kunstrichtung und so wie den Schriftsteller, der sich verkauft, der Bannstrahl der öffentlichen Mei¬ nung trifft, so treffe er auch jenen. Zwar gibt Herr Emil Devrient vor, er spiele hauptsächlich deshalb an der königstädter Bühne, weil er an der Hofbühne in seinen besten Rotten sich nicht zeigen könnte. Schlimm genug für sein Talent, wenn es sich am behaglichsten in solchen Rollen entwickelt, welche dem höhern Geschmack und den strengeren Anforderungen an das Drama so wenig genügen, daß sie sogar von der wahrlich nicht durch besonders strenge und geschmackvolle glänzende Hofbühne aus¬ geschlossen sind. Wir haben nie gehört, daß die Rachel, um die Man- nichfaltigkeit ihres Talentes zu documentiren, an einem Boulevardtheater in Don Cäsar de Bazar oder als „Weib aus dem Volke" gastirr hätte. Ebenso wenig ist es Iffland, Seidelmann oder dem großen Devrient nöthig erschienen, von einem Hühnersteig zum andern zu fliegen, Behufs der Probeablegung ihrer Vielseitigkeit. Ich muß Herrn Emil um Ent¬ schuldigung bitten, daß ich ihn mit diesen Mannern vergleiche und bemerke gleichzeitig, daß ich keineswegs gesagt haben will, er sei ein Jffland, ein Seidelmann oder ein großer Devrient. Denn grade daß er es nicht ist, ent¬ schuldigt ihn einigermaßen. Nur der wahrhaft große Schauspieler, dessen Genie ein wesentliches Element in der Entwickelungsgeschichte des Theaters bildet und dessen tieferer Geist mit dem Geist der Poesie und der drama¬ tischen Produktion in innigem Zusammenhange steht, nur der hat Pflich¬ ten der gesammten Nationalbühne gegenüber, nur von ihm darf man fordern, daß er unwürdige theatralische Machwerke durch das Gewicht seines Talentes nicht unterstütze, daß er eine Bühne, welche nur Hand¬ werk treibt und um die höhern Interessen der Kunst sich nicht kümmert, den Rücken wende und so den jüngern nachstrebenden Schauspielern, den Directoren, ja dem Publicum selbst ein Beispiel gebe, daß zwischen Kunst und Handwerk, zwischen Schauspieler und Komödianten, zwischen drama¬ tischen Bestrebungen und trivialen Jux ein scharfer Strich zu machen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_365120/507>, abgerufen am 24.11.2024.