Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. II. Band.dein Kaplan unseres Dorfs, gesprochen? Es ist ein junger Priester, Aber welche Wohnung, großer Gott! Und da halten wir uns dein Kaplan unseres Dorfs, gesprochen? Es ist ein junger Priester, Aber welche Wohnung, großer Gott! Und da halten wir uns <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0464" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/182887"/> <p xml:id="ID_1361" prev="#ID_1360"> dein Kaplan unseres Dorfs, gesprochen? Es ist ein junger Priester,<lb/> der mir ziemlich wohl gefällt. Er hat Bildung, spricht gut deutsch<lb/> und weiß mit Personen vom Stande zu sprechen. An seine großen<lb/> schwarzen Augen und an seiner blassen und melancholischen Miene<lb/> sehe ich übrigens, daß er eine interessante Geschichte hat, und ich ge¬<lb/> denke, mir sie erzählen zu lassen. Wir hab.en von Meer und Poesie<lb/> geplaudert und, was Dich bei einem Geistlichen von Etvöos überra¬<lb/> schen wird, er spricht sehr gut darüber. Dann führte er mich in die<lb/> Ruinen eines alten Klosters und zeigte mir ein großes Portal, das<lb/> mit wunderschönen Thierfratzen ganz bedeckt ist. Ach! wenn ich Geld<lb/> hätte, wie würde ich dies Alles wieder herstellen. Dann bestand ich,<lb/> trotz der Einwendungen Heinrichs, der zu Tische wollte, darauf, in die<lb/> Sacristei zu gehen, um ein merkwürdiges Reliquienkästchen zu sehen,<lb/> das der Kaplan bei einem Bauer gefunden. Es ist in der That sehr<lb/> schön i ein Kästchen von böhmischen Glas, das ein köstliches Juwe-<lb/> lenkästchen abgeben würde.</p><lb/> <p xml:id="ID_1362" next="#ID_1363"> Aber welche Wohnung, großer Gott! Und da halten wir uns<lb/> noch für'arm! Stelle Dir ein kleines Zimmer im Erdgeschoß vor,<lb/> schlecht gedielt, weiß angestrichen, mit einem Tisch und vier Stühlen<lb/> möblirt, nebst einem Lehnsessel von Stroh mit einem harten Kissen<lb/> drauf, das mit wer weiß was für Pfirsichkörnern ausgestopft ist. Auf<lb/> dem Tisch lagen drei bis vier griechische oder lateinische Folianten.<lb/> Es sind Kirchenväter, lind darunter fand ich wie versteckt Goethes<lb/> Faust. Er erröthete. Uebrigens verstand er es sehr gut, die Hon-<lb/> neurs in seinem elenden Loche zu machen. Da war weder Stolz<lb/> noch falsche Scham. Ich vermuthete, daß er eine romanhafte Ge¬<lb/> schichte hinter sich habe. Ich habe sogar den Beweis davon. In<lb/> dem byzantinischen Kästchen, das er uns zeigte, lag ein verwelktes<lb/> Bouauet, das wenigstens fünf oder sechs Jahre alt war. Ist das<lb/> eine Reliquie? fragte ich ihn. „Nein," antwortete er etwas verwirrt.<lb/> „Ich weiß nicht, wie das hier hineinkommt." Dann nahm er das<lb/> Bouquet und schloß es sorgfältig in seine Tischlade. Verstehst Du<lb/> das?.... Ich kehrte verstimmt und ermuthigt in's Schloß zurück:<lb/> verstimmt, daß ich so viel Armuth gesehen, ermuthigt zum Ertragen<lb/> der meinigen, die für ihn astatische Ueppigkeit wäre. Du hättest sei»<lb/> Erstaunen sehen sollen, als Heinrich ihm zehn Gulden für eine arme<lb/> Frau gab, die er uns empfahl. Ich muß ihm ein Geschenk machen.<lb/> Dieser Strohstuhl, auf dem ich saß, ist zu hart. Ich will ihm einen<lb/> jener elastischen Lehnsessel geben, wie die, welche in unserem grünen</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0464]
dein Kaplan unseres Dorfs, gesprochen? Es ist ein junger Priester,
der mir ziemlich wohl gefällt. Er hat Bildung, spricht gut deutsch
und weiß mit Personen vom Stande zu sprechen. An seine großen
schwarzen Augen und an seiner blassen und melancholischen Miene
sehe ich übrigens, daß er eine interessante Geschichte hat, und ich ge¬
denke, mir sie erzählen zu lassen. Wir hab.en von Meer und Poesie
geplaudert und, was Dich bei einem Geistlichen von Etvöos überra¬
schen wird, er spricht sehr gut darüber. Dann führte er mich in die
Ruinen eines alten Klosters und zeigte mir ein großes Portal, das
mit wunderschönen Thierfratzen ganz bedeckt ist. Ach! wenn ich Geld
hätte, wie würde ich dies Alles wieder herstellen. Dann bestand ich,
trotz der Einwendungen Heinrichs, der zu Tische wollte, darauf, in die
Sacristei zu gehen, um ein merkwürdiges Reliquienkästchen zu sehen,
das der Kaplan bei einem Bauer gefunden. Es ist in der That sehr
schön i ein Kästchen von böhmischen Glas, das ein köstliches Juwe-
lenkästchen abgeben würde.
Aber welche Wohnung, großer Gott! Und da halten wir uns
noch für'arm! Stelle Dir ein kleines Zimmer im Erdgeschoß vor,
schlecht gedielt, weiß angestrichen, mit einem Tisch und vier Stühlen
möblirt, nebst einem Lehnsessel von Stroh mit einem harten Kissen
drauf, das mit wer weiß was für Pfirsichkörnern ausgestopft ist. Auf
dem Tisch lagen drei bis vier griechische oder lateinische Folianten.
Es sind Kirchenväter, lind darunter fand ich wie versteckt Goethes
Faust. Er erröthete. Uebrigens verstand er es sehr gut, die Hon-
neurs in seinem elenden Loche zu machen. Da war weder Stolz
noch falsche Scham. Ich vermuthete, daß er eine romanhafte Ge¬
schichte hinter sich habe. Ich habe sogar den Beweis davon. In
dem byzantinischen Kästchen, das er uns zeigte, lag ein verwelktes
Bouauet, das wenigstens fünf oder sechs Jahre alt war. Ist das
eine Reliquie? fragte ich ihn. „Nein," antwortete er etwas verwirrt.
„Ich weiß nicht, wie das hier hineinkommt." Dann nahm er das
Bouquet und schloß es sorgfältig in seine Tischlade. Verstehst Du
das?.... Ich kehrte verstimmt und ermuthigt in's Schloß zurück:
verstimmt, daß ich so viel Armuth gesehen, ermuthigt zum Ertragen
der meinigen, die für ihn astatische Ueppigkeit wäre. Du hättest sei»
Erstaunen sehen sollen, als Heinrich ihm zehn Gulden für eine arme
Frau gab, die er uns empfahl. Ich muß ihm ein Geschenk machen.
Dieser Strohstuhl, auf dem ich saß, ist zu hart. Ich will ihm einen
jener elastischen Lehnsessel geben, wie die, welche in unserem grünen
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