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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. II. Band.

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Eine Pfründe



Erster Brief.
Gräfin P. an Baronin von G.

Ich habe versprochen, Dir zu schreiben, liebe Sophie, und ich
halte Wort; auch habe ich an diesen langen Abenden nichts Besseres
zu thun. Aus meinem letzten Briefe wirst Du ersehen haben, wie ich,
auf einmal aus fröhlichem Taumel erwacht, zu dein Bewußtsein kam,
daß unsere Güter sequestrirt und daß ich -- dreißig Jahre alt gewor¬
den! Für das letzte Uebel gibt es kein Mittel. In das erstere fügen
wir uns ziemlich schlecht, aber wir ergeben uns doch darein. Um un¬
sere Angelegenheiten zu verbessern, müssen wir wenigstens zwei Jahre
auf dem düstern Schloß, aus dem ich Dir schreibe, zubringen. Ich
habe mich bei dieser Gelegenheit wahrhaft erhaben gezeigt. Sobald
ich den Zustand unserer Finanzen erfuhr, schlug ich Heinrich vor, auf
dem Lande das Verlorene wieder einzubringen, und acht Tage darauf
waren wir in Etvöos. Ich übergehe die Reise. Seit vielen Jahren
war ich mit meinem Manne so lange Zeit nicht allein gewesen. Na¬
türlich waren wir Beide ziemlich übel gelaunt; doch da ich vollkom¬
men entschlossen war, gute Miene zum bösen Spiel zu machen, so
ging Alles gut. Du kennst die Festigkeit meiner Entschlüsse, und
weißt, ob ich sie halte. So sind wir jetzt hier eingebürgert. Etvöos
läßt, was das Malerische betrifft, nichts zu wünschen übrig. ES gibt
hier Wälder, Berge und eine Viertelmeile von uns fließt wild und
rauschend die Donau. Wir haben vier Thürme, deren Mauern fünf¬
zehn Fuß Dicke haben. Ich habe mein Arbeitscabinet in einer Fen-


Grcnzbotcn. II. I"4".
Eine Pfründe



Erster Brief.
Gräfin P. an Baronin von G.

Ich habe versprochen, Dir zu schreiben, liebe Sophie, und ich
halte Wort; auch habe ich an diesen langen Abenden nichts Besseres
zu thun. Aus meinem letzten Briefe wirst Du ersehen haben, wie ich,
auf einmal aus fröhlichem Taumel erwacht, zu dein Bewußtsein kam,
daß unsere Güter sequestrirt und daß ich — dreißig Jahre alt gewor¬
den! Für das letzte Uebel gibt es kein Mittel. In das erstere fügen
wir uns ziemlich schlecht, aber wir ergeben uns doch darein. Um un¬
sere Angelegenheiten zu verbessern, müssen wir wenigstens zwei Jahre
auf dem düstern Schloß, aus dem ich Dir schreibe, zubringen. Ich
habe mich bei dieser Gelegenheit wahrhaft erhaben gezeigt. Sobald
ich den Zustand unserer Finanzen erfuhr, schlug ich Heinrich vor, auf
dem Lande das Verlorene wieder einzubringen, und acht Tage darauf
waren wir in Etvöos. Ich übergehe die Reise. Seit vielen Jahren
war ich mit meinem Manne so lange Zeit nicht allein gewesen. Na¬
türlich waren wir Beide ziemlich übel gelaunt; doch da ich vollkom¬
men entschlossen war, gute Miene zum bösen Spiel zu machen, so
ging Alles gut. Du kennst die Festigkeit meiner Entschlüsse, und
weißt, ob ich sie halte. So sind wir jetzt hier eingebürgert. Etvöos
läßt, was das Malerische betrifft, nichts zu wünschen übrig. ES gibt
hier Wälder, Berge und eine Viertelmeile von uns fließt wild und
rauschend die Donau. Wir haben vier Thürme, deren Mauern fünf¬
zehn Fuß Dicke haben. Ich habe mein Arbeitscabinet in einer Fen-


Grcnzbotcn. II. I»4».
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[0461] Eine Pfründe Erster Brief. Gräfin P. an Baronin von G. Ich habe versprochen, Dir zu schreiben, liebe Sophie, und ich halte Wort; auch habe ich an diesen langen Abenden nichts Besseres zu thun. Aus meinem letzten Briefe wirst Du ersehen haben, wie ich, auf einmal aus fröhlichem Taumel erwacht, zu dein Bewußtsein kam, daß unsere Güter sequestrirt und daß ich — dreißig Jahre alt gewor¬ den! Für das letzte Uebel gibt es kein Mittel. In das erstere fügen wir uns ziemlich schlecht, aber wir ergeben uns doch darein. Um un¬ sere Angelegenheiten zu verbessern, müssen wir wenigstens zwei Jahre auf dem düstern Schloß, aus dem ich Dir schreibe, zubringen. Ich habe mich bei dieser Gelegenheit wahrhaft erhaben gezeigt. Sobald ich den Zustand unserer Finanzen erfuhr, schlug ich Heinrich vor, auf dem Lande das Verlorene wieder einzubringen, und acht Tage darauf waren wir in Etvöos. Ich übergehe die Reise. Seit vielen Jahren war ich mit meinem Manne so lange Zeit nicht allein gewesen. Na¬ türlich waren wir Beide ziemlich übel gelaunt; doch da ich vollkom¬ men entschlossen war, gute Miene zum bösen Spiel zu machen, so ging Alles gut. Du kennst die Festigkeit meiner Entschlüsse, und weißt, ob ich sie halte. So sind wir jetzt hier eingebürgert. Etvöos läßt, was das Malerische betrifft, nichts zu wünschen übrig. ES gibt hier Wälder, Berge und eine Viertelmeile von uns fließt wild und rauschend die Donau. Wir haben vier Thürme, deren Mauern fünf¬ zehn Fuß Dicke haben. Ich habe mein Arbeitscabinet in einer Fen- Grcnzbotcn. II. I»4».

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_365120/461>, abgerufen am 24.11.2024.