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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. II. Band.

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er nur fein unterthänig um Gnade hätte bitten wollen! Soll ich Ihnen
von Thiers und Guizot schreiben? Die beiden Herren scheinen vergessen
zu haben, daß die Deputirtenkammer eigentlich bestimmt ist, ein Rcprä-
sentationshaus zu sein und zanken sich so bequem herum, als wäre das
schöne Haus mit den Säulen und mit den vier Statuen davor nur zu
diesem Zwecke da. Das Gries'sche "Bist du grob, so bin ich gröber"
ist ihr Grundsatz geworden. Heute sagt Herr Thiers Herrn Guizot eine
geistreiche Grobheit -- morgen antwortet Herr Guizot mit einer gründ¬
lichen -- und so mit Grazie in Jnsinitum. Nur der Abwechslung we¬
gen wird hier und da eine Eisenbahn votirt, oder werden Friedensrichter,
Geistliche und Rabbiner mit einer Gehaltszulage bedacht.

Während ich hier schreibe, läuft alle Welt in die Akademie. Herr
Mignet wird eine schöne Rede halten, dann wird der Rapport über die
eingelaufenen Preisbewerbungm und über die Preisvertheilung verlesen.
Das Thema war: Eine Abhandlung über die Gewißheit. Nichts Ge¬
wisses weiß man nicht! sagen die Wiener. Es scheint, als singe die Aka¬
demie, die unfehlbare, selbst an an sich zu zweifeln und wolle sich durch
gläubige, junge Seelen beweisen lassen, daß es noch etwas Gewisses gebe.
Man wird aber auch verdammt skeptisch, wenn man, wie ich zum Bei¬
spiel, erst vorgestern Herrn Viennet, membro 6" 1'instttut, Nachfolger
Lafontaine's, Verfasser verschiedener Dramen in Alexandrinern, eine indu¬
strielle Gesellschaft präsidiren sieht und eine so vortreffliche Rede über
Steinkohlen und Steinkohlengruben halten hört, als wäre er tausend
Klafter tief unter der Erde im Ruß und Dampf und nicht am Olymp,
im himmlischen Aether aufgewachsen und groß geworden. Da bleibt sich
doch Herr Chateaubriand cousequenter. Er präsidirte auch gestern, aber
keiner Steinkohlengrubengesellschaft, sondern der Assemblve der Redacteure
legitimistischcr Blatter, um die Manöver für die kommenden Wahlen
zu berathschlagen. Die Sitzung soll mit einem Te Deum geschlossen
worden sein. Don Quirote hat in seinen letzten Stunden wenigstens
wehmüthig ausgerufen: Wie viele Thorheiten habe ich doch in meinem
Leben gemacht! -- Chateaubriand scheint auch in seinen spätern Tagen
nicht zu dieser Erkenntniß zu kommen. -- Da ist Beryvr doch viel ein¬
sichtsvoller. Als er sich den Legitimisten verkaufte, rief er: Nun wohl,
ich weil, ich werde Dummheiten machen.

Ueber das kleine Zerwürfniß zwischen Oesterreich und Sardinien
s^"" französischen Blatter mit großer Gierde her und ziehen Com-
eten und malen sich die Folgen so schön aus, wie sie es eben brau-
st^7"^.°due in ihrem Eifer zu bemerken, daß zwischen zwei
besse!/" .'^ ^"löse äußere und mehr noch innere Verwandtschaften
w den P^" ^res keine Eisenbahnstreitigkeit aufgelöst oder nur gestört
werden können. Sie sprechen zwar von einem freien, unabhängigen
Italien, putzen den König von Sardinien mit liberalen (!) Fahnenstücken
auf ), aber im Grunde ist es nur der alte Traum, den die Franzosen



In Sardinien ist das Journal des Dvbats, das dock sogar in Oesterreich
D. R. erlaubt ist. aus das Strengste verboten.
G
ienzbot-N. II. 184". 57

er nur fein unterthänig um Gnade hätte bitten wollen! Soll ich Ihnen
von Thiers und Guizot schreiben? Die beiden Herren scheinen vergessen
zu haben, daß die Deputirtenkammer eigentlich bestimmt ist, ein Rcprä-
sentationshaus zu sein und zanken sich so bequem herum, als wäre das
schöne Haus mit den Säulen und mit den vier Statuen davor nur zu
diesem Zwecke da. Das Gries'sche „Bist du grob, so bin ich gröber"
ist ihr Grundsatz geworden. Heute sagt Herr Thiers Herrn Guizot eine
geistreiche Grobheit — morgen antwortet Herr Guizot mit einer gründ¬
lichen — und so mit Grazie in Jnsinitum. Nur der Abwechslung we¬
gen wird hier und da eine Eisenbahn votirt, oder werden Friedensrichter,
Geistliche und Rabbiner mit einer Gehaltszulage bedacht.

Während ich hier schreibe, läuft alle Welt in die Akademie. Herr
Mignet wird eine schöne Rede halten, dann wird der Rapport über die
eingelaufenen Preisbewerbungm und über die Preisvertheilung verlesen.
Das Thema war: Eine Abhandlung über die Gewißheit. Nichts Ge¬
wisses weiß man nicht! sagen die Wiener. Es scheint, als singe die Aka¬
demie, die unfehlbare, selbst an an sich zu zweifeln und wolle sich durch
gläubige, junge Seelen beweisen lassen, daß es noch etwas Gewisses gebe.
Man wird aber auch verdammt skeptisch, wenn man, wie ich zum Bei¬
spiel, erst vorgestern Herrn Viennet, membro 6« 1'instttut, Nachfolger
Lafontaine's, Verfasser verschiedener Dramen in Alexandrinern, eine indu¬
strielle Gesellschaft präsidiren sieht und eine so vortreffliche Rede über
Steinkohlen und Steinkohlengruben halten hört, als wäre er tausend
Klafter tief unter der Erde im Ruß und Dampf und nicht am Olymp,
im himmlischen Aether aufgewachsen und groß geworden. Da bleibt sich
doch Herr Chateaubriand cousequenter. Er präsidirte auch gestern, aber
keiner Steinkohlengrubengesellschaft, sondern der Assemblve der Redacteure
legitimistischcr Blatter, um die Manöver für die kommenden Wahlen
zu berathschlagen. Die Sitzung soll mit einem Te Deum geschlossen
worden sein. Don Quirote hat in seinen letzten Stunden wenigstens
wehmüthig ausgerufen: Wie viele Thorheiten habe ich doch in meinem
Leben gemacht! — Chateaubriand scheint auch in seinen spätern Tagen
nicht zu dieser Erkenntniß zu kommen. — Da ist Beryvr doch viel ein¬
sichtsvoller. Als er sich den Legitimisten verkaufte, rief er: Nun wohl,
ich weil, ich werde Dummheiten machen.

Ueber das kleine Zerwürfniß zwischen Oesterreich und Sardinien
s^«" französischen Blatter mit großer Gierde her und ziehen Com-
eten und malen sich die Folgen so schön aus, wie sie es eben brau-
st^7»^.°due in ihrem Eifer zu bemerken, daß zwischen zwei
besse!/« .'^ ^"löse äußere und mehr noch innere Verwandtschaften
w den P^» ^res keine Eisenbahnstreitigkeit aufgelöst oder nur gestört
werden können. Sie sprechen zwar von einem freien, unabhängigen
Italien, putzen den König von Sardinien mit liberalen (!) Fahnenstücken
auf ), aber im Grunde ist es nur der alte Traum, den die Franzosen



In Sardinien ist das Journal des Dvbats, das dock sogar in Oesterreich
D. R. erlaubt ist. aus das Strengste verboten.
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[0457] er nur fein unterthänig um Gnade hätte bitten wollen! Soll ich Ihnen von Thiers und Guizot schreiben? Die beiden Herren scheinen vergessen zu haben, daß die Deputirtenkammer eigentlich bestimmt ist, ein Rcprä- sentationshaus zu sein und zanken sich so bequem herum, als wäre das schöne Haus mit den Säulen und mit den vier Statuen davor nur zu diesem Zwecke da. Das Gries'sche „Bist du grob, so bin ich gröber" ist ihr Grundsatz geworden. Heute sagt Herr Thiers Herrn Guizot eine geistreiche Grobheit — morgen antwortet Herr Guizot mit einer gründ¬ lichen — und so mit Grazie in Jnsinitum. Nur der Abwechslung we¬ gen wird hier und da eine Eisenbahn votirt, oder werden Friedensrichter, Geistliche und Rabbiner mit einer Gehaltszulage bedacht. Während ich hier schreibe, läuft alle Welt in die Akademie. Herr Mignet wird eine schöne Rede halten, dann wird der Rapport über die eingelaufenen Preisbewerbungm und über die Preisvertheilung verlesen. Das Thema war: Eine Abhandlung über die Gewißheit. Nichts Ge¬ wisses weiß man nicht! sagen die Wiener. Es scheint, als singe die Aka¬ demie, die unfehlbare, selbst an an sich zu zweifeln und wolle sich durch gläubige, junge Seelen beweisen lassen, daß es noch etwas Gewisses gebe. Man wird aber auch verdammt skeptisch, wenn man, wie ich zum Bei¬ spiel, erst vorgestern Herrn Viennet, membro 6« 1'instttut, Nachfolger Lafontaine's, Verfasser verschiedener Dramen in Alexandrinern, eine indu¬ strielle Gesellschaft präsidiren sieht und eine so vortreffliche Rede über Steinkohlen und Steinkohlengruben halten hört, als wäre er tausend Klafter tief unter der Erde im Ruß und Dampf und nicht am Olymp, im himmlischen Aether aufgewachsen und groß geworden. Da bleibt sich doch Herr Chateaubriand cousequenter. Er präsidirte auch gestern, aber keiner Steinkohlengrubengesellschaft, sondern der Assemblve der Redacteure legitimistischcr Blatter, um die Manöver für die kommenden Wahlen zu berathschlagen. Die Sitzung soll mit einem Te Deum geschlossen worden sein. Don Quirote hat in seinen letzten Stunden wenigstens wehmüthig ausgerufen: Wie viele Thorheiten habe ich doch in meinem Leben gemacht! — Chateaubriand scheint auch in seinen spätern Tagen nicht zu dieser Erkenntniß zu kommen. — Da ist Beryvr doch viel ein¬ sichtsvoller. Als er sich den Legitimisten verkaufte, rief er: Nun wohl, ich weil, ich werde Dummheiten machen. Ueber das kleine Zerwürfniß zwischen Oesterreich und Sardinien s^«" französischen Blatter mit großer Gierde her und ziehen Com- eten und malen sich die Folgen so schön aus, wie sie es eben brau- st^7»^.°due in ihrem Eifer zu bemerken, daß zwischen zwei besse!/« .'^ ^"löse äußere und mehr noch innere Verwandtschaften w den P^» ^res keine Eisenbahnstreitigkeit aufgelöst oder nur gestört werden können. Sie sprechen zwar von einem freien, unabhängigen Italien, putzen den König von Sardinien mit liberalen (!) Fahnenstücken auf ), aber im Grunde ist es nur der alte Traum, den die Franzosen In Sardinien ist das Journal des Dvbats, das dock sogar in Oesterreich D. R. erlaubt ist. aus das Strengste verboten. G ienzbot-N. II. 184«. 57

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_365120/457>, abgerufen am 24.11.2024.