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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. II. Band.

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wußte ich, nach welcher Seite ich springen sollte, um ihm auszuwei¬
chen. Ich hoffte so, ihn an mir vorüber rennen zu lassen und wollte
dann nach der entgegengesetzten Seite vielleicht entfliehen. Aber Tano
hatte ein gutes Gehör und blieb kaum zwei Schritte weit von mir
stehen. Ich merkte, wie er mit beiden Armen nach mir aufgriff und
bog nach der entgegengesetzten Seite aus. Aber eben diese Bewegung
verrieth mich ihm und er stieß nach mir. In diesem Augenblicke sah
ich seinen blanken Dolch durch die Nacht leuchten. Ich parirte ihn
mit meinem Stocke, der aber sogleich vom gewaltigen Stoße in Split¬
ter brach und meiner Hand entfiel. Nun war ich ganz waffenlos.
Mit einem einzigen Sprunge war ich weit weg von meinem Gegner
und in eine Nebengasse, die durch einige entfernte helle Glasthüren
spärlich beleuchtet war. Aber lange noch bevor ich eine der hellen
Thüren erreichen konnte, hatte mich Tano wieder erreicht. Mit der
linken Hand faßte er mich gewaltig bei der Kehle und holte mit der
rechten zum Stoße aus. Doch mit der Kraft, die nur die Todesangst
gibt, entwand ich mich mit einer einzigen Bewegung seinen eisig star¬
ken Armen, die vor Wuth zitterten und wollte um Hilfe rufen. Aber
eben so schnell hatte er mich wieder gefaßt, und den Ruf nach Hilfe
mit zugekrampfter Hand in meiner Kehle erstickt. Mit überlegener
Gewalt drückte er meinen Oberkörper zurück und hob den rechten Arm,
den ich aber eben so schnell mit beiden Händen zurückdrängte. Da
fühlte ich, wie mein Kopf unter seiner drosselnden Hand zu schwindeln
begann und daß ich nicht lange mehr seinen Dolch zurückhalten könne.
So standen wir einige Secunden; ich vergeblich bemüht, meine gedros¬
selte Kehle zu befreien, er sich anstrengend, seinen rechten Arm aus
meinen zusammengekrampften Händen zu reißen. -- Da, bei Gott, es
war zur rechten Zeit, öffnet sich eine der Glasthüren und ich höre
einen -- böhmischen Fluch von dort herüberschalle". Diese Laute mei¬
ner Heimath und die Hoffnung auf Rettung geben mir meine ganze
Kraft wieder. Mit einem Ruck befreie ich meine Kehle und lasse
den böhmischen Hilferuf: "gisste "luscKi" ertönen. Schnell wie ein Blitz
eilt mein Landsmann herbei. Wer ruft um Hilfe, schreit er. Einer,
den man ermorden will, antworte ich in derselben Sprache. Schon
war er da, schon floh Gaetano. -- Das war Hilfe in der Noth.
Wo ist der Mörder? ruft mein Landsmann, ihm nach. -- Laß ihn
laufen, sage ich, indem ich meinem Retter die Hand drückte, und wir
ließen ihn laufen.

Zur Erklärung muß ich meinen Lesern hinzufügen, daß mein Red-


wußte ich, nach welcher Seite ich springen sollte, um ihm auszuwei¬
chen. Ich hoffte so, ihn an mir vorüber rennen zu lassen und wollte
dann nach der entgegengesetzten Seite vielleicht entfliehen. Aber Tano
hatte ein gutes Gehör und blieb kaum zwei Schritte weit von mir
stehen. Ich merkte, wie er mit beiden Armen nach mir aufgriff und
bog nach der entgegengesetzten Seite aus. Aber eben diese Bewegung
verrieth mich ihm und er stieß nach mir. In diesem Augenblicke sah
ich seinen blanken Dolch durch die Nacht leuchten. Ich parirte ihn
mit meinem Stocke, der aber sogleich vom gewaltigen Stoße in Split¬
ter brach und meiner Hand entfiel. Nun war ich ganz waffenlos.
Mit einem einzigen Sprunge war ich weit weg von meinem Gegner
und in eine Nebengasse, die durch einige entfernte helle Glasthüren
spärlich beleuchtet war. Aber lange noch bevor ich eine der hellen
Thüren erreichen konnte, hatte mich Tano wieder erreicht. Mit der
linken Hand faßte er mich gewaltig bei der Kehle und holte mit der
rechten zum Stoße aus. Doch mit der Kraft, die nur die Todesangst
gibt, entwand ich mich mit einer einzigen Bewegung seinen eisig star¬
ken Armen, die vor Wuth zitterten und wollte um Hilfe rufen. Aber
eben so schnell hatte er mich wieder gefaßt, und den Ruf nach Hilfe
mit zugekrampfter Hand in meiner Kehle erstickt. Mit überlegener
Gewalt drückte er meinen Oberkörper zurück und hob den rechten Arm,
den ich aber eben so schnell mit beiden Händen zurückdrängte. Da
fühlte ich, wie mein Kopf unter seiner drosselnden Hand zu schwindeln
begann und daß ich nicht lange mehr seinen Dolch zurückhalten könne.
So standen wir einige Secunden; ich vergeblich bemüht, meine gedros¬
selte Kehle zu befreien, er sich anstrengend, seinen rechten Arm aus
meinen zusammengekrampften Händen zu reißen. — Da, bei Gott, es
war zur rechten Zeit, öffnet sich eine der Glasthüren und ich höre
einen — böhmischen Fluch von dort herüberschalle». Diese Laute mei¬
ner Heimath und die Hoffnung auf Rettung geben mir meine ganze
Kraft wieder. Mit einem Ruck befreie ich meine Kehle und lasse
den böhmischen Hilferuf: „gisste «luscKi" ertönen. Schnell wie ein Blitz
eilt mein Landsmann herbei. Wer ruft um Hilfe, schreit er. Einer,
den man ermorden will, antworte ich in derselben Sprache. Schon
war er da, schon floh Gaetano. — Das war Hilfe in der Noth.
Wo ist der Mörder? ruft mein Landsmann, ihm nach. — Laß ihn
laufen, sage ich, indem ich meinem Retter die Hand drückte, und wir
ließen ihn laufen.

Zur Erklärung muß ich meinen Lesern hinzufügen, daß mein Red-


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[0448] wußte ich, nach welcher Seite ich springen sollte, um ihm auszuwei¬ chen. Ich hoffte so, ihn an mir vorüber rennen zu lassen und wollte dann nach der entgegengesetzten Seite vielleicht entfliehen. Aber Tano hatte ein gutes Gehör und blieb kaum zwei Schritte weit von mir stehen. Ich merkte, wie er mit beiden Armen nach mir aufgriff und bog nach der entgegengesetzten Seite aus. Aber eben diese Bewegung verrieth mich ihm und er stieß nach mir. In diesem Augenblicke sah ich seinen blanken Dolch durch die Nacht leuchten. Ich parirte ihn mit meinem Stocke, der aber sogleich vom gewaltigen Stoße in Split¬ ter brach und meiner Hand entfiel. Nun war ich ganz waffenlos. Mit einem einzigen Sprunge war ich weit weg von meinem Gegner und in eine Nebengasse, die durch einige entfernte helle Glasthüren spärlich beleuchtet war. Aber lange noch bevor ich eine der hellen Thüren erreichen konnte, hatte mich Tano wieder erreicht. Mit der linken Hand faßte er mich gewaltig bei der Kehle und holte mit der rechten zum Stoße aus. Doch mit der Kraft, die nur die Todesangst gibt, entwand ich mich mit einer einzigen Bewegung seinen eisig star¬ ken Armen, die vor Wuth zitterten und wollte um Hilfe rufen. Aber eben so schnell hatte er mich wieder gefaßt, und den Ruf nach Hilfe mit zugekrampfter Hand in meiner Kehle erstickt. Mit überlegener Gewalt drückte er meinen Oberkörper zurück und hob den rechten Arm, den ich aber eben so schnell mit beiden Händen zurückdrängte. Da fühlte ich, wie mein Kopf unter seiner drosselnden Hand zu schwindeln begann und daß ich nicht lange mehr seinen Dolch zurückhalten könne. So standen wir einige Secunden; ich vergeblich bemüht, meine gedros¬ selte Kehle zu befreien, er sich anstrengend, seinen rechten Arm aus meinen zusammengekrampften Händen zu reißen. — Da, bei Gott, es war zur rechten Zeit, öffnet sich eine der Glasthüren und ich höre einen — böhmischen Fluch von dort herüberschalle». Diese Laute mei¬ ner Heimath und die Hoffnung auf Rettung geben mir meine ganze Kraft wieder. Mit einem Ruck befreie ich meine Kehle und lasse den böhmischen Hilferuf: „gisste «luscKi" ertönen. Schnell wie ein Blitz eilt mein Landsmann herbei. Wer ruft um Hilfe, schreit er. Einer, den man ermorden will, antworte ich in derselben Sprache. Schon war er da, schon floh Gaetano. — Das war Hilfe in der Noth. Wo ist der Mörder? ruft mein Landsmann, ihm nach. — Laß ihn laufen, sage ich, indem ich meinem Retter die Hand drückte, und wir ließen ihn laufen. Zur Erklärung muß ich meinen Lesern hinzufügen, daß mein Red-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_365120/448>, abgerufen am 24.11.2024.