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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. II. Band.

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Denn als wir weil draußen waren vor der Stadt, sprang Zerina
plötzlich von meiner Seite hinweg über den kleinen Graben der Straße.
Sie bog das Gebüsch, das an beiden Seiten als dichte Hecke hinläuft
und die Straße von den Feldern trennt, auseinander und winkte mir,
ihr zu folgen. Das Gebüsch schlug wie ein dicker Vorhang hinter uns
zusammen und wir befanden uns mitten unter blühenden, hochwogenden
Feldern allein, ungesehen von irgend einem menschlichen Auge. Nur
der Mond sah uns etwas sentimental zu. Es war ein herrlicher ita¬
lienischer Abend und ich feierte ihn auf echt italienische Weise. Es
wurde sehr spät. -- Ach der Tano wäre wüthend, rief Zerina immer
lachend.


III

Und so wurde es noch oft sehr spät; so rief Zerina noch sehr
ofr und so vergingen die letzten Tage in Italien im glühendsten Rau¬
sche. In einem Rausche, in dem ich es vergaß, welche Schlange ich
in Armen hielt. Immer mehr lernte ich die Reize Zerina's kennen
und immer stiller wurden die Vorwürfe, die ich ihr und mir machte.
Sie war bald Mignon, bald Vampyr, bald ein stilles, frommes Lämm¬
lein, bald eine wilde Tigerin und diese Abwechselung, in der sie immer
neuer, immer ein frisches, unauflösliches Räthsel erschien, ließen mich
nicht zur Besinnung kommen. Stundenlang saß ich oft ans ihrer klei¬
nen einsamen Stube und sah entzückt ihren Tändeleien zu, wie sie mir
die Lieder ihrer Heimath sang, oder den wilden Tarantellatanz mit
unbeschreiblicher Anmuth vortanzte. Es war mir wie ein Traum, wenn
ich spät nach Mitternacht die dunkle Treppe hinuntertapptc und in
der einsamen Straße noch ihren lispelnden Nachtgruß hörte. Ich
träumte nur von ihr und machte Pläne, wie ich sie nach Deutschland
mitnehmen konnte. Aber so oft ich darüber nur ein Wörtchen fallen
ließ, lachte sie mich unbarmherzig aus und behauptete, nur die Gebirge
Neapels seien ihre Heimath, wo sie sich wohl fühlen könne und fragte
mich, ob ich ihr nicht dorthin folgen wolle. Von Tano war nur noch
selten die Rede. Nur manchmal warnte sie mich lachend vor ihm und
seinem Dolche, da er unsere ununterbrochene Zusammenkunft ahnte.
Auch hatte ich ihn seit jenem ersten Zusammentreffen nur ein Mal
gesehen und zwar mitten unter Spaziergängern an der Porta orien-
tale. Als er mich erblickte, schlug er düster die Allgen nieder und
ballte die Faust.

Endlich kam die Zeit des Abschiednehmens heran. Zerina machte


Denn als wir weil draußen waren vor der Stadt, sprang Zerina
plötzlich von meiner Seite hinweg über den kleinen Graben der Straße.
Sie bog das Gebüsch, das an beiden Seiten als dichte Hecke hinläuft
und die Straße von den Feldern trennt, auseinander und winkte mir,
ihr zu folgen. Das Gebüsch schlug wie ein dicker Vorhang hinter uns
zusammen und wir befanden uns mitten unter blühenden, hochwogenden
Feldern allein, ungesehen von irgend einem menschlichen Auge. Nur
der Mond sah uns etwas sentimental zu. Es war ein herrlicher ita¬
lienischer Abend und ich feierte ihn auf echt italienische Weise. Es
wurde sehr spät. — Ach der Tano wäre wüthend, rief Zerina immer
lachend.


III

Und so wurde es noch oft sehr spät; so rief Zerina noch sehr
ofr und so vergingen die letzten Tage in Italien im glühendsten Rau¬
sche. In einem Rausche, in dem ich es vergaß, welche Schlange ich
in Armen hielt. Immer mehr lernte ich die Reize Zerina's kennen
und immer stiller wurden die Vorwürfe, die ich ihr und mir machte.
Sie war bald Mignon, bald Vampyr, bald ein stilles, frommes Lämm¬
lein, bald eine wilde Tigerin und diese Abwechselung, in der sie immer
neuer, immer ein frisches, unauflösliches Räthsel erschien, ließen mich
nicht zur Besinnung kommen. Stundenlang saß ich oft ans ihrer klei¬
nen einsamen Stube und sah entzückt ihren Tändeleien zu, wie sie mir
die Lieder ihrer Heimath sang, oder den wilden Tarantellatanz mit
unbeschreiblicher Anmuth vortanzte. Es war mir wie ein Traum, wenn
ich spät nach Mitternacht die dunkle Treppe hinuntertapptc und in
der einsamen Straße noch ihren lispelnden Nachtgruß hörte. Ich
träumte nur von ihr und machte Pläne, wie ich sie nach Deutschland
mitnehmen konnte. Aber so oft ich darüber nur ein Wörtchen fallen
ließ, lachte sie mich unbarmherzig aus und behauptete, nur die Gebirge
Neapels seien ihre Heimath, wo sie sich wohl fühlen könne und fragte
mich, ob ich ihr nicht dorthin folgen wolle. Von Tano war nur noch
selten die Rede. Nur manchmal warnte sie mich lachend vor ihm und
seinem Dolche, da er unsere ununterbrochene Zusammenkunft ahnte.
Auch hatte ich ihn seit jenem ersten Zusammentreffen nur ein Mal
gesehen und zwar mitten unter Spaziergängern an der Porta orien-
tale. Als er mich erblickte, schlug er düster die Allgen nieder und
ballte die Faust.

Endlich kam die Zeit des Abschiednehmens heran. Zerina machte


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[0444] Denn als wir weil draußen waren vor der Stadt, sprang Zerina plötzlich von meiner Seite hinweg über den kleinen Graben der Straße. Sie bog das Gebüsch, das an beiden Seiten als dichte Hecke hinläuft und die Straße von den Feldern trennt, auseinander und winkte mir, ihr zu folgen. Das Gebüsch schlug wie ein dicker Vorhang hinter uns zusammen und wir befanden uns mitten unter blühenden, hochwogenden Feldern allein, ungesehen von irgend einem menschlichen Auge. Nur der Mond sah uns etwas sentimental zu. Es war ein herrlicher ita¬ lienischer Abend und ich feierte ihn auf echt italienische Weise. Es wurde sehr spät. — Ach der Tano wäre wüthend, rief Zerina immer lachend. III Und so wurde es noch oft sehr spät; so rief Zerina noch sehr ofr und so vergingen die letzten Tage in Italien im glühendsten Rau¬ sche. In einem Rausche, in dem ich es vergaß, welche Schlange ich in Armen hielt. Immer mehr lernte ich die Reize Zerina's kennen und immer stiller wurden die Vorwürfe, die ich ihr und mir machte. Sie war bald Mignon, bald Vampyr, bald ein stilles, frommes Lämm¬ lein, bald eine wilde Tigerin und diese Abwechselung, in der sie immer neuer, immer ein frisches, unauflösliches Räthsel erschien, ließen mich nicht zur Besinnung kommen. Stundenlang saß ich oft ans ihrer klei¬ nen einsamen Stube und sah entzückt ihren Tändeleien zu, wie sie mir die Lieder ihrer Heimath sang, oder den wilden Tarantellatanz mit unbeschreiblicher Anmuth vortanzte. Es war mir wie ein Traum, wenn ich spät nach Mitternacht die dunkle Treppe hinuntertapptc und in der einsamen Straße noch ihren lispelnden Nachtgruß hörte. Ich träumte nur von ihr und machte Pläne, wie ich sie nach Deutschland mitnehmen konnte. Aber so oft ich darüber nur ein Wörtchen fallen ließ, lachte sie mich unbarmherzig aus und behauptete, nur die Gebirge Neapels seien ihre Heimath, wo sie sich wohl fühlen könne und fragte mich, ob ich ihr nicht dorthin folgen wolle. Von Tano war nur noch selten die Rede. Nur manchmal warnte sie mich lachend vor ihm und seinem Dolche, da er unsere ununterbrochene Zusammenkunft ahnte. Auch hatte ich ihn seit jenem ersten Zusammentreffen nur ein Mal gesehen und zwar mitten unter Spaziergängern an der Porta orien- tale. Als er mich erblickte, schlug er düster die Allgen nieder und ballte die Faust. Endlich kam die Zeit des Abschiednehmens heran. Zerina machte

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_365120/444>, abgerufen am 24.11.2024.