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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. II. Band.

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Von Moritz Hartmann.



I

Monate lang war ich in Italien, die Kreuz, die Quer, herauf,
herunter, herumgezogen; in wenigen Tagen sollte ich den Fuß wie¬
der auf deutsche Erde setzen -- und kein Abenteuer, nicht das aller-
unbedeutendste Abenteuer I Und wie hatte ich mir sonst dieses roman¬
tische Land vorgestellt; bei jedem Schritt und Tritt, glaubte ich, müsse
man auf Banditen, geheimnißvolle Unbekannte, schöne Verschleierte,
auf Dolche, Giftphiolen und dergl. stoßen -- kein Abend, träumte ich,
dürfe vorübergehen, ohne romantischen Ueberfall, ohne Serenaden vor
alten Marmorpalästen und ohne Stelldichein auf Römergräbern --
und nichts von Allem diesen. Zwei und zwanzig Jahre alt, Italien
zu Fuße durchwandert wie Seume und kein Abenteuer I Es war zum
Verzweifeln!-- Ich verwünschte alle Romanschreiber und lügnerischen
Touristen, die mir solche Gedanken in den Kopf gesetzt und schämte
mich im Voraus vor meinen Freunden, denen ich für den kommenden
Winter hundert romantische Geschichten aus Italien versprochen hatte.
-- So grollend stieg ich die Treppen zu den Gallerien des Mailän¬
der Domes hinan, um mir von da noch ein Mal das sonnige Bild
des herrlichen Landes einzuprägen, und als ich da oben unter den
marmornen Blumenguirlanden wie in einem versteinerten Feengarten
umherging und mich aus weiter Ferne die schneebedeckte Jungfrau
grüßte, vergaß ich meinen Groll und den Verdruß, den mir die pro¬
saischen Menschen des neunzehnten Jahrhunderts anthaten, über den


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Von Moritz Hartmann.



I

Monate lang war ich in Italien, die Kreuz, die Quer, herauf,
herunter, herumgezogen; in wenigen Tagen sollte ich den Fuß wie¬
der auf deutsche Erde setzen — und kein Abenteuer, nicht das aller-
unbedeutendste Abenteuer I Und wie hatte ich mir sonst dieses roman¬
tische Land vorgestellt; bei jedem Schritt und Tritt, glaubte ich, müsse
man auf Banditen, geheimnißvolle Unbekannte, schöne Verschleierte,
auf Dolche, Giftphiolen und dergl. stoßen — kein Abend, träumte ich,
dürfe vorübergehen, ohne romantischen Ueberfall, ohne Serenaden vor
alten Marmorpalästen und ohne Stelldichein auf Römergräbern —
und nichts von Allem diesen. Zwei und zwanzig Jahre alt, Italien
zu Fuße durchwandert wie Seume und kein Abenteuer I Es war zum
Verzweifeln!— Ich verwünschte alle Romanschreiber und lügnerischen
Touristen, die mir solche Gedanken in den Kopf gesetzt und schämte
mich im Voraus vor meinen Freunden, denen ich für den kommenden
Winter hundert romantische Geschichten aus Italien versprochen hatte.
— So grollend stieg ich die Treppen zu den Gallerien des Mailän¬
der Domes hinan, um mir von da noch ein Mal das sonnige Bild
des herrlichen Landes einzuprägen, und als ich da oben unter den
marmornen Blumenguirlanden wie in einem versteinerten Feengarten
umherging und mich aus weiter Ferne die schneebedeckte Jungfrau
grüßte, vergaß ich meinen Groll und den Verdruß, den mir die pro¬
saischen Menschen des neunzehnten Jahrhunderts anthaten, über den


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[0434] Ä e r i n «,. Von Moritz Hartmann. I Monate lang war ich in Italien, die Kreuz, die Quer, herauf, herunter, herumgezogen; in wenigen Tagen sollte ich den Fuß wie¬ der auf deutsche Erde setzen — und kein Abenteuer, nicht das aller- unbedeutendste Abenteuer I Und wie hatte ich mir sonst dieses roman¬ tische Land vorgestellt; bei jedem Schritt und Tritt, glaubte ich, müsse man auf Banditen, geheimnißvolle Unbekannte, schöne Verschleierte, auf Dolche, Giftphiolen und dergl. stoßen — kein Abend, träumte ich, dürfe vorübergehen, ohne romantischen Ueberfall, ohne Serenaden vor alten Marmorpalästen und ohne Stelldichein auf Römergräbern — und nichts von Allem diesen. Zwei und zwanzig Jahre alt, Italien zu Fuße durchwandert wie Seume und kein Abenteuer I Es war zum Verzweifeln!— Ich verwünschte alle Romanschreiber und lügnerischen Touristen, die mir solche Gedanken in den Kopf gesetzt und schämte mich im Voraus vor meinen Freunden, denen ich für den kommenden Winter hundert romantische Geschichten aus Italien versprochen hatte. — So grollend stieg ich die Treppen zu den Gallerien des Mailän¬ der Domes hinan, um mir von da noch ein Mal das sonnige Bild des herrlichen Landes einzuprägen, und als ich da oben unter den marmornen Blumenguirlanden wie in einem versteinerten Feengarten umherging und mich aus weiter Ferne die schneebedeckte Jungfrau grüßte, vergaß ich meinen Groll und den Verdruß, den mir die pro¬ saischen Menschen des neunzehnten Jahrhunderts anthaten, über den

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_365120/434>, abgerufen am 27.11.2024.