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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. II. Band.

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zeigten. Es mußte deshalb auf die Criminaltabellen, die bei den kö¬
niglichen Obergerichten der Monarchie alljährlich zusammengestellt wer¬
den, und welche jene Mängel überall nicht theilen, zurückgegangen wer¬
den, und ich habe über diese Basis aller unten folgenden Tabellen und die
darauf gegründeten Folgerungen zunächst Folgendes zu bemerken:

1. Es sind von uns überall nur die Verbrechen gegen Perso¬
nen mit Ausschluß aller Verbrechen gegen Sachen in Betracht gezo¬
gen worden. Letztere hängen eines Theils, wie das Häufigste von
Allen, der Diebstahl, zu sehr von Zufälligkeiten ab, z. B. hohen Ge¬
treidepreisen, Mangel an Arbeit, harten" und langem Winter, Zusam¬
menfluß vieler Menschen auf Märkten, Messen u. tgi. und haben auch
zum andern und großen Theil gar kein, oder wenigstens im Vergleich
zu den erster" Verbrechen nur ein sehr untergeordnetes psychologisches
Interesse. Zu den Verbrechen gegen Personen aber sind hier, den ge¬
setzlichen Anordnungen entsprechend, gerechnet: Tödtung, Selbstmord,
Kindermord und fleischliche Verbrechen (unter welche Rubrik das
preußische Strafrecht sA. L. R.Tit. 20, Th. II. Abschn. XII.) zusam¬
menfaßt: Hurerei, Verführung, Blutschande, Nothzucht, Ehebruch, Bi¬
gamie und "unnatürliche Sünden.")

2. Allerdings ist nicht zu verkennen, daß, wenn wir die Crimi¬
naltabellen der Gerichte unserer Untersuchung zu Grunde legen, hier
nur diejenigen Verbrechen in Betracht gezogen werden konnten, die zur
richterlichen, oder (in Betreff der Selbstmorde) zur polizeilichen Kennt¬
niß (resp. Untersuchung) gelangt waren, was natürlich nicht gleich
sein kann der absoluten Zahl der wirklich vorgekommenen Verbrechen.
Indeß einerseits ist hierbei zu erwägen, daß die Verbrechen aus der
Rubrik: Morde und Todtschlag wohl nur in äußerst seltenen, die
Selbstmorde, wenigstens nicht in häufigen Fällen, nicht zur öffentlichen
Kunde gelangen: während allerdings Ktndermorde und fleischliche Ver¬
brechen sich gewiß gar nicht selten dem Ruchbarwerden zu entziehen
wissen; andrerseits aber findet ganz dasselbe Verhältniß unstreitig wie
bei uns, so auch in allen Ländern statt, und die psychologisch-crimi-
nelle Statistik, wollte sie auf diesen Uebelstand ein ungebührliches Ge¬
wicht legen, würde ein für alle Mal auf ein tieferes Eindringen
in diese Frage verzichten müssen. Wie vielmehr dies noch von andern,
hier nicht beleuchteten Verbrechen: Diebstahl, Brandstiftung, Betrug
u. s. w. gilt, ist einleuchtend, und doch hat man mit größtem Rechte
in neuerer Zeit auch alle diese Verbrechen in den Kreis Wissenschaft-
lich-statistischer Untersuchungen gezogen, denn in allen diesen, für die


zeigten. Es mußte deshalb auf die Criminaltabellen, die bei den kö¬
niglichen Obergerichten der Monarchie alljährlich zusammengestellt wer¬
den, und welche jene Mängel überall nicht theilen, zurückgegangen wer¬
den, und ich habe über diese Basis aller unten folgenden Tabellen und die
darauf gegründeten Folgerungen zunächst Folgendes zu bemerken:

1. Es sind von uns überall nur die Verbrechen gegen Perso¬
nen mit Ausschluß aller Verbrechen gegen Sachen in Betracht gezo¬
gen worden. Letztere hängen eines Theils, wie das Häufigste von
Allen, der Diebstahl, zu sehr von Zufälligkeiten ab, z. B. hohen Ge¬
treidepreisen, Mangel an Arbeit, harten» und langem Winter, Zusam¬
menfluß vieler Menschen auf Märkten, Messen u. tgi. und haben auch
zum andern und großen Theil gar kein, oder wenigstens im Vergleich
zu den erster» Verbrechen nur ein sehr untergeordnetes psychologisches
Interesse. Zu den Verbrechen gegen Personen aber sind hier, den ge¬
setzlichen Anordnungen entsprechend, gerechnet: Tödtung, Selbstmord,
Kindermord und fleischliche Verbrechen (unter welche Rubrik das
preußische Strafrecht sA. L. R.Tit. 20, Th. II. Abschn. XII.) zusam¬
menfaßt: Hurerei, Verführung, Blutschande, Nothzucht, Ehebruch, Bi¬
gamie und „unnatürliche Sünden.")

2. Allerdings ist nicht zu verkennen, daß, wenn wir die Crimi¬
naltabellen der Gerichte unserer Untersuchung zu Grunde legen, hier
nur diejenigen Verbrechen in Betracht gezogen werden konnten, die zur
richterlichen, oder (in Betreff der Selbstmorde) zur polizeilichen Kennt¬
niß (resp. Untersuchung) gelangt waren, was natürlich nicht gleich
sein kann der absoluten Zahl der wirklich vorgekommenen Verbrechen.
Indeß einerseits ist hierbei zu erwägen, daß die Verbrechen aus der
Rubrik: Morde und Todtschlag wohl nur in äußerst seltenen, die
Selbstmorde, wenigstens nicht in häufigen Fällen, nicht zur öffentlichen
Kunde gelangen: während allerdings Ktndermorde und fleischliche Ver¬
brechen sich gewiß gar nicht selten dem Ruchbarwerden zu entziehen
wissen; andrerseits aber findet ganz dasselbe Verhältniß unstreitig wie
bei uns, so auch in allen Ländern statt, und die psychologisch-crimi-
nelle Statistik, wollte sie auf diesen Uebelstand ein ungebührliches Ge¬
wicht legen, würde ein für alle Mal auf ein tieferes Eindringen
in diese Frage verzichten müssen. Wie vielmehr dies noch von andern,
hier nicht beleuchteten Verbrechen: Diebstahl, Brandstiftung, Betrug
u. s. w. gilt, ist einleuchtend, und doch hat man mit größtem Rechte
in neuerer Zeit auch alle diese Verbrechen in den Kreis Wissenschaft-
lich-statistischer Untersuchungen gezogen, denn in allen diesen, für die


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_365120/420>, abgerufen am 24.11.2024.