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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. II. Band.

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guien Bahn antrieb. Der Redner, dessen Namen ich nicht weiß, soll
in Tübingen studiren und so legte er denn auch, episodisch, den Schwei¬
zern dringlich an's Herz, den erhabenen Aufschwung des deutschen
Geistes der Neuzeit in Wissenschaft und Kunst nicht unbeachtet zu
lassen, sondern sich geistig dem alten Brudervolke zuzugefellen, um ge¬
meinsam das hohe Ziel der Humanität und Aufklärung zu erstreben.

Dann nahm ein Redner aus der Handwcrkerklasse und zwar aus
einem der jesuitisch beherrschten Urcantone gekommen, das Wort und
so war der Abend, mit ihm die Zeit zum Abschiede und zur Rückfahrt
herangekommen. Da bestieg Herr Pfarrer Sprüngli noch einmal die
Tribüne und forderte mit innigen, lieberfüllten Worten die Versamm¬
lung auf, die Anwesenheit eines edlen Gastes, eines lange abwesend
gewesenen Schweizers, durch ein Lebehoch zu feiern. Dieser Gast war
der berühmte Komponist, Herr Schneider, genannt von Wartensen (bei
Luzern), welcher 30 Jahre in Frankfurt verweilt hat. Der ehrfurcht¬
gebietende Greis trat auf die Tribüne wie ein Patriarch, der lange
von seinen, bis in's fünfte Glied vermehrten Kindern abwesend gewe¬
sen. Liebevoll versicherte er die Landsleute, daß er, obgleich lange
entfernt, dennoch im Herzen treuer und freier Schweizer geblieben sei;
geistreich verglich er das Zusammensein der Versammlung mit einem
harmonischen Tonstück, welches seine ganze Kraft nur durch Einheit,
Einigkeit und Harmonie entfaltet.

Und an seinen Namen schloß sich endlich noch der des Herrn Abt
in Zürich, eines andern schweizerischen Komponisten, an, welcher die
neuere Lyrik durch seine sinnigen Composttionen verherrlicht hat.

Wenn wir einen Blick auf dies Volksfest zurückwerfen, so muß
vor Allem der allgemeine Charakter, der vorherrschende Ton hervor¬
gehoben werden, wodurch es die Weihe sittlicher Würde athmete. Hier
waren, neben einer gebildeten Versammlung, aber auch die niedrigsten
Klassen des Volkes versammelt, sich um ihre Vertreter drängend, sich
theilnehmend unter sie mischend) rings ertönte lauter Gesang, die Musik
forderte zu lautem Jubel auf, die Kanonen donnerten, nicht vor Zorn,
sondern vor Freude, und was thaten diese Haufen versammelten Vol¬
kes statt Alles dessen, was man gewöhnlich von ihnen voraussetzt, was
man in andern Staaten durch bewaffnete Polizei in Schranke", hält:
-- rohe, wilde Ergüsse zügelloser Leidenschaft, Excesse gegen Anstand
und Sitte, Schlägereien, Diebereien? -- Ohne den verwundenden,
reizenden Zügel der Polizei nehmen sie froh, aber gesetzt, ja still an
dem Feste Theil. Auch nicht ein Trunkener ist mir zu Gesicht gelon--


guien Bahn antrieb. Der Redner, dessen Namen ich nicht weiß, soll
in Tübingen studiren und so legte er denn auch, episodisch, den Schwei¬
zern dringlich an's Herz, den erhabenen Aufschwung des deutschen
Geistes der Neuzeit in Wissenschaft und Kunst nicht unbeachtet zu
lassen, sondern sich geistig dem alten Brudervolke zuzugefellen, um ge¬
meinsam das hohe Ziel der Humanität und Aufklärung zu erstreben.

Dann nahm ein Redner aus der Handwcrkerklasse und zwar aus
einem der jesuitisch beherrschten Urcantone gekommen, das Wort und
so war der Abend, mit ihm die Zeit zum Abschiede und zur Rückfahrt
herangekommen. Da bestieg Herr Pfarrer Sprüngli noch einmal die
Tribüne und forderte mit innigen, lieberfüllten Worten die Versamm¬
lung auf, die Anwesenheit eines edlen Gastes, eines lange abwesend
gewesenen Schweizers, durch ein Lebehoch zu feiern. Dieser Gast war
der berühmte Komponist, Herr Schneider, genannt von Wartensen (bei
Luzern), welcher 30 Jahre in Frankfurt verweilt hat. Der ehrfurcht¬
gebietende Greis trat auf die Tribüne wie ein Patriarch, der lange
von seinen, bis in's fünfte Glied vermehrten Kindern abwesend gewe¬
sen. Liebevoll versicherte er die Landsleute, daß er, obgleich lange
entfernt, dennoch im Herzen treuer und freier Schweizer geblieben sei;
geistreich verglich er das Zusammensein der Versammlung mit einem
harmonischen Tonstück, welches seine ganze Kraft nur durch Einheit,
Einigkeit und Harmonie entfaltet.

Und an seinen Namen schloß sich endlich noch der des Herrn Abt
in Zürich, eines andern schweizerischen Komponisten, an, welcher die
neuere Lyrik durch seine sinnigen Composttionen verherrlicht hat.

Wenn wir einen Blick auf dies Volksfest zurückwerfen, so muß
vor Allem der allgemeine Charakter, der vorherrschende Ton hervor¬
gehoben werden, wodurch es die Weihe sittlicher Würde athmete. Hier
waren, neben einer gebildeten Versammlung, aber auch die niedrigsten
Klassen des Volkes versammelt, sich um ihre Vertreter drängend, sich
theilnehmend unter sie mischend) rings ertönte lauter Gesang, die Musik
forderte zu lautem Jubel auf, die Kanonen donnerten, nicht vor Zorn,
sondern vor Freude, und was thaten diese Haufen versammelten Vol¬
kes statt Alles dessen, was man gewöhnlich von ihnen voraussetzt, was
man in andern Staaten durch bewaffnete Polizei in Schranke«, hält:
— rohe, wilde Ergüsse zügelloser Leidenschaft, Excesse gegen Anstand
und Sitte, Schlägereien, Diebereien? — Ohne den verwundenden,
reizenden Zügel der Polizei nehmen sie froh, aber gesetzt, ja still an
dem Feste Theil. Auch nicht ein Trunkener ist mir zu Gesicht gelon--


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[0398] guien Bahn antrieb. Der Redner, dessen Namen ich nicht weiß, soll in Tübingen studiren und so legte er denn auch, episodisch, den Schwei¬ zern dringlich an's Herz, den erhabenen Aufschwung des deutschen Geistes der Neuzeit in Wissenschaft und Kunst nicht unbeachtet zu lassen, sondern sich geistig dem alten Brudervolke zuzugefellen, um ge¬ meinsam das hohe Ziel der Humanität und Aufklärung zu erstreben. Dann nahm ein Redner aus der Handwcrkerklasse und zwar aus einem der jesuitisch beherrschten Urcantone gekommen, das Wort und so war der Abend, mit ihm die Zeit zum Abschiede und zur Rückfahrt herangekommen. Da bestieg Herr Pfarrer Sprüngli noch einmal die Tribüne und forderte mit innigen, lieberfüllten Worten die Versamm¬ lung auf, die Anwesenheit eines edlen Gastes, eines lange abwesend gewesenen Schweizers, durch ein Lebehoch zu feiern. Dieser Gast war der berühmte Komponist, Herr Schneider, genannt von Wartensen (bei Luzern), welcher 30 Jahre in Frankfurt verweilt hat. Der ehrfurcht¬ gebietende Greis trat auf die Tribüne wie ein Patriarch, der lange von seinen, bis in's fünfte Glied vermehrten Kindern abwesend gewe¬ sen. Liebevoll versicherte er die Landsleute, daß er, obgleich lange entfernt, dennoch im Herzen treuer und freier Schweizer geblieben sei; geistreich verglich er das Zusammensein der Versammlung mit einem harmonischen Tonstück, welches seine ganze Kraft nur durch Einheit, Einigkeit und Harmonie entfaltet. Und an seinen Namen schloß sich endlich noch der des Herrn Abt in Zürich, eines andern schweizerischen Komponisten, an, welcher die neuere Lyrik durch seine sinnigen Composttionen verherrlicht hat. Wenn wir einen Blick auf dies Volksfest zurückwerfen, so muß vor Allem der allgemeine Charakter, der vorherrschende Ton hervor¬ gehoben werden, wodurch es die Weihe sittlicher Würde athmete. Hier waren, neben einer gebildeten Versammlung, aber auch die niedrigsten Klassen des Volkes versammelt, sich um ihre Vertreter drängend, sich theilnehmend unter sie mischend) rings ertönte lauter Gesang, die Musik forderte zu lautem Jubel auf, die Kanonen donnerten, nicht vor Zorn, sondern vor Freude, und was thaten diese Haufen versammelten Vol¬ kes statt Alles dessen, was man gewöhnlich von ihnen voraussetzt, was man in andern Staaten durch bewaffnete Polizei in Schranke«, hält: — rohe, wilde Ergüsse zügelloser Leidenschaft, Excesse gegen Anstand und Sitte, Schlägereien, Diebereien? — Ohne den verwundenden, reizenden Zügel der Polizei nehmen sie froh, aber gesetzt, ja still an dem Feste Theil. Auch nicht ein Trunkener ist mir zu Gesicht gelon--

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_365120/398>, abgerufen am 23.07.2024.