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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. II. Band.

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Verderben, ich komme, dir stürz' ich entgegen,
Vor deinen zermalmenden Fuß mich zu legen.
Rettung! Halt!
Gerettet!

Ein blind durchgehendes Roß ist jedenfalls eine sehr schlechte
Allegorie für einen sittlich-freien Kampf und der stotternde Ausdruck
des Verfassers ist eben so unverständlich, als unlyrisch. Eben so singt
der Verfasser von der "fressenden Zeit" blos pathetisch, sein Kampf ist
ohne Inhalt und Wahrheit, seine Poesie ist ohne eigenthümliche Tiefe.
Sein Dichten ist hervorgegangen aus dem alten romantischen Gegen¬
satze zum Leben, nicht aus der Wahrheit und Fülle des Lebens selber.

Alwila, eine Dichtung in sechs Gesängen von Julian
Heims. Eine kleine lyrisch-epische Production. Der Verfasser hat
Byron und Shelley gelesen und es für leichter gehalten, als es ist,
in ihre Fußtapfen treten und doch etwas Eigenthümliches liefern zu
zu können. Er schließt sein kleines Gedicht mit der Strophe:

Nur wo sich Kraft und Schönheit eng verbinden,
Da reist zur Frucht die Ernte goldner Saat:
Denn hell entkeimen aus der Tiefe Gründen
Das Lied dem Schönen und der Kraft: dex That.

Trotz dieser Hinneigung zu der "That," welche der Dichter frei¬
lich ganz willkürlich, gewissermaßen als die Moral seines Liedes hin¬
stellt, und in den Bewegungen der Gegenwart, begrenzt sich der
poetische Beruf des Verfassers doch auf dem Gebiete der Romantik,
und wo er dieses überschreitet, hört er auf Poet zu sein; in demselben
leistet er viel Tief-Empfundenes und er hat unleugbar die Gabe der
zarten, romantischen Schilderung. Seine Naturgemälde, seine Elfen-
gruppcn sind voll Duft und Zartheit, aber seine Gestaltungskraft in
den Kämpfen des Geistes und des menschlichen Lebens ist sehr schwach,
beinahe total unfähig. Er kann nicht entwickeln, durcharbeiten, kämpfen,
Menschen schaffen; das Wachs schmilzt ihm unter den Händen. So fehlt
denn auch seiner "Alwila" die Einheit, die Entwicklung, welche man
von jeder poetischen Erzählung verlangen darf, sein Clotar ist nichts,
als ein lebensunfähiger Spuck. Wie der Dichter aus dem Dämmer¬
schein seiner recht hübschen Verse das Resultat der "That" ziehen kann,
wie er im Clotar den Träger der modernen Entwicklung darstellen mag,
bleibt uns durchaus unerklärlich. Der Geist vom Teutoburger Walde
u. -s. w. ist eine durchaus wunderliche Erscheinung. Der Dichter hat


Verderben, ich komme, dir stürz' ich entgegen,
Vor deinen zermalmenden Fuß mich zu legen.
Rettung! Halt!
Gerettet!

Ein blind durchgehendes Roß ist jedenfalls eine sehr schlechte
Allegorie für einen sittlich-freien Kampf und der stotternde Ausdruck
des Verfassers ist eben so unverständlich, als unlyrisch. Eben so singt
der Verfasser von der „fressenden Zeit" blos pathetisch, sein Kampf ist
ohne Inhalt und Wahrheit, seine Poesie ist ohne eigenthümliche Tiefe.
Sein Dichten ist hervorgegangen aus dem alten romantischen Gegen¬
satze zum Leben, nicht aus der Wahrheit und Fülle des Lebens selber.

Alwila, eine Dichtung in sechs Gesängen von Julian
Heims. Eine kleine lyrisch-epische Production. Der Verfasser hat
Byron und Shelley gelesen und es für leichter gehalten, als es ist,
in ihre Fußtapfen treten und doch etwas Eigenthümliches liefern zu
zu können. Er schließt sein kleines Gedicht mit der Strophe:

Nur wo sich Kraft und Schönheit eng verbinden,
Da reist zur Frucht die Ernte goldner Saat:
Denn hell entkeimen aus der Tiefe Gründen
Das Lied dem Schönen und der Kraft: dex That.

Trotz dieser Hinneigung zu der „That," welche der Dichter frei¬
lich ganz willkürlich, gewissermaßen als die Moral seines Liedes hin¬
stellt, und in den Bewegungen der Gegenwart, begrenzt sich der
poetische Beruf des Verfassers doch auf dem Gebiete der Romantik,
und wo er dieses überschreitet, hört er auf Poet zu sein; in demselben
leistet er viel Tief-Empfundenes und er hat unleugbar die Gabe der
zarten, romantischen Schilderung. Seine Naturgemälde, seine Elfen-
gruppcn sind voll Duft und Zartheit, aber seine Gestaltungskraft in
den Kämpfen des Geistes und des menschlichen Lebens ist sehr schwach,
beinahe total unfähig. Er kann nicht entwickeln, durcharbeiten, kämpfen,
Menschen schaffen; das Wachs schmilzt ihm unter den Händen. So fehlt
denn auch seiner „Alwila" die Einheit, die Entwicklung, welche man
von jeder poetischen Erzählung verlangen darf, sein Clotar ist nichts,
als ein lebensunfähiger Spuck. Wie der Dichter aus dem Dämmer¬
schein seiner recht hübschen Verse das Resultat der „That" ziehen kann,
wie er im Clotar den Träger der modernen Entwicklung darstellen mag,
bleibt uns durchaus unerklärlich. Der Geist vom Teutoburger Walde
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[0391] Verderben, ich komme, dir stürz' ich entgegen, Vor deinen zermalmenden Fuß mich zu legen. Rettung! Halt! Gerettet! Ein blind durchgehendes Roß ist jedenfalls eine sehr schlechte Allegorie für einen sittlich-freien Kampf und der stotternde Ausdruck des Verfassers ist eben so unverständlich, als unlyrisch. Eben so singt der Verfasser von der „fressenden Zeit" blos pathetisch, sein Kampf ist ohne Inhalt und Wahrheit, seine Poesie ist ohne eigenthümliche Tiefe. Sein Dichten ist hervorgegangen aus dem alten romantischen Gegen¬ satze zum Leben, nicht aus der Wahrheit und Fülle des Lebens selber. Alwila, eine Dichtung in sechs Gesängen von Julian Heims. Eine kleine lyrisch-epische Production. Der Verfasser hat Byron und Shelley gelesen und es für leichter gehalten, als es ist, in ihre Fußtapfen treten und doch etwas Eigenthümliches liefern zu zu können. Er schließt sein kleines Gedicht mit der Strophe: Nur wo sich Kraft und Schönheit eng verbinden, Da reist zur Frucht die Ernte goldner Saat: Denn hell entkeimen aus der Tiefe Gründen Das Lied dem Schönen und der Kraft: dex That. Trotz dieser Hinneigung zu der „That," welche der Dichter frei¬ lich ganz willkürlich, gewissermaßen als die Moral seines Liedes hin¬ stellt, und in den Bewegungen der Gegenwart, begrenzt sich der poetische Beruf des Verfassers doch auf dem Gebiete der Romantik, und wo er dieses überschreitet, hört er auf Poet zu sein; in demselben leistet er viel Tief-Empfundenes und er hat unleugbar die Gabe der zarten, romantischen Schilderung. Seine Naturgemälde, seine Elfen- gruppcn sind voll Duft und Zartheit, aber seine Gestaltungskraft in den Kämpfen des Geistes und des menschlichen Lebens ist sehr schwach, beinahe total unfähig. Er kann nicht entwickeln, durcharbeiten, kämpfen, Menschen schaffen; das Wachs schmilzt ihm unter den Händen. So fehlt denn auch seiner „Alwila" die Einheit, die Entwicklung, welche man von jeder poetischen Erzählung verlangen darf, sein Clotar ist nichts, als ein lebensunfähiger Spuck. Wie der Dichter aus dem Dämmer¬ schein seiner recht hübschen Verse das Resultat der „That" ziehen kann, wie er im Clotar den Träger der modernen Entwicklung darstellen mag, bleibt uns durchaus unerklärlich. Der Geist vom Teutoburger Walde u. -s. w. ist eine durchaus wunderliche Erscheinung. Der Dichter hat

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_365120/391>, abgerufen am 23.07.2024.