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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. II. Band.

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Es ist schmerzlich daran zu denken, daß manches Kind, das durch
die crvche dem Leiden und dem Tod entrissen worden, durch einen bösen
Jnstinct getrieben, die verdorbene Menge, aus der sich unsere Gefäng¬
nisse rekrutiren, vergrößere und daß so die Gesellschaft das schädliche
Wesen, das sie später zu bestrafen gezwungen ist, in ihrem eigenen
Schooße genährt und erwärmt haben wird; aber solche Bedenken dür¬
fen den Fortschritt der öffentlichen Wohlthätigkeit nicht hemmen, sie
müssen nur die Wirksamkeit derselben regeln. Es gibt sehr wenig un¬
verbesserliche Naturen, und die wahre Aufgabe des Gesetzgebers sollte
mehr darin bestehen, dem Verbrechen durch Wohlthat und Trost vor¬
zubeugen, als es durch Strenge im Zaum zu halten. Man hat lange
genug sich dieses letzten Mittels bedient, man versuche es einmal mit
einem sanftem. Die Verzweiflung verfinstert den Verstand; das Elend
ist ein Wermut!), der das Herz verbittert und Abneigung erzeugt;
darum verwünscht oft der Arme den Reichen. Aber dieser komme
jenem entgegen; indem er dem Kinde eine Zuflucht und den Eltern
Arbeit gibt, erleichtere er ihnen das Dasein und öffne ihnen die Zu¬
kunft; dann werden diese harten Seelen sich der Dankbarkeit öffnen,
und die alte Scheidewand, die Mißtrauen und Haß aufgerichtet, wird
von selbst fallen. Die crvche in ihrer gegenwärtigen Einrichtung scheint
ein sehr geeignetes Mittel, die wohlhabenden und die dürftigen Klassen
einander zu nähern. stiftet nur immer Krippen, Ihr schonen Frauen,
es ist dies nicht blos ein gutes, es ist auch ein kluges, ein politisches
Werk. Durch diese häufige Berührung werdet ihr die übertriebene
Furcht vor der Rohheit des Volkes verlieren, ihr werdet seine einfachen
Tugenden und seine geduldige Resignation besser kennen lernen. Der
arme Arbeiter andererseits, wenn er Zeuge sein wird des mitleidigen
Beistandes, der verständigen Sorgfalt, deren Gegenstand sein Kind ist,
wird seine Vorurtheile gegen den Stolz und die Härte der Reichen
ablegen. Die Kastenfeindschaften werden erlöschen vor diesem Kinde,
das in der Gesellschaft, wie es dies schon in der Familie ist, ein Pfand
der Versöhnung geworden sein wird. Diese Wiege, über die sich zwei
Mütter neigen, ist die Bundeöarche, welche die Eintracht und den Frie¬
den der Zukunft gründen und befestigen kann,




Es ist schmerzlich daran zu denken, daß manches Kind, das durch
die crvche dem Leiden und dem Tod entrissen worden, durch einen bösen
Jnstinct getrieben, die verdorbene Menge, aus der sich unsere Gefäng¬
nisse rekrutiren, vergrößere und daß so die Gesellschaft das schädliche
Wesen, das sie später zu bestrafen gezwungen ist, in ihrem eigenen
Schooße genährt und erwärmt haben wird; aber solche Bedenken dür¬
fen den Fortschritt der öffentlichen Wohlthätigkeit nicht hemmen, sie
müssen nur die Wirksamkeit derselben regeln. Es gibt sehr wenig un¬
verbesserliche Naturen, und die wahre Aufgabe des Gesetzgebers sollte
mehr darin bestehen, dem Verbrechen durch Wohlthat und Trost vor¬
zubeugen, als es durch Strenge im Zaum zu halten. Man hat lange
genug sich dieses letzten Mittels bedient, man versuche es einmal mit
einem sanftem. Die Verzweiflung verfinstert den Verstand; das Elend
ist ein Wermut!), der das Herz verbittert und Abneigung erzeugt;
darum verwünscht oft der Arme den Reichen. Aber dieser komme
jenem entgegen; indem er dem Kinde eine Zuflucht und den Eltern
Arbeit gibt, erleichtere er ihnen das Dasein und öffne ihnen die Zu¬
kunft; dann werden diese harten Seelen sich der Dankbarkeit öffnen,
und die alte Scheidewand, die Mißtrauen und Haß aufgerichtet, wird
von selbst fallen. Die crvche in ihrer gegenwärtigen Einrichtung scheint
ein sehr geeignetes Mittel, die wohlhabenden und die dürftigen Klassen
einander zu nähern. stiftet nur immer Krippen, Ihr schonen Frauen,
es ist dies nicht blos ein gutes, es ist auch ein kluges, ein politisches
Werk. Durch diese häufige Berührung werdet ihr die übertriebene
Furcht vor der Rohheit des Volkes verlieren, ihr werdet seine einfachen
Tugenden und seine geduldige Resignation besser kennen lernen. Der
arme Arbeiter andererseits, wenn er Zeuge sein wird des mitleidigen
Beistandes, der verständigen Sorgfalt, deren Gegenstand sein Kind ist,
wird seine Vorurtheile gegen den Stolz und die Härte der Reichen
ablegen. Die Kastenfeindschaften werden erlöschen vor diesem Kinde,
das in der Gesellschaft, wie es dies schon in der Familie ist, ein Pfand
der Versöhnung geworden sein wird. Diese Wiege, über die sich zwei
Mütter neigen, ist die Bundeöarche, welche die Eintracht und den Frie¬
den der Zukunft gründen und befestigen kann,




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[0384] Es ist schmerzlich daran zu denken, daß manches Kind, das durch die crvche dem Leiden und dem Tod entrissen worden, durch einen bösen Jnstinct getrieben, die verdorbene Menge, aus der sich unsere Gefäng¬ nisse rekrutiren, vergrößere und daß so die Gesellschaft das schädliche Wesen, das sie später zu bestrafen gezwungen ist, in ihrem eigenen Schooße genährt und erwärmt haben wird; aber solche Bedenken dür¬ fen den Fortschritt der öffentlichen Wohlthätigkeit nicht hemmen, sie müssen nur die Wirksamkeit derselben regeln. Es gibt sehr wenig un¬ verbesserliche Naturen, und die wahre Aufgabe des Gesetzgebers sollte mehr darin bestehen, dem Verbrechen durch Wohlthat und Trost vor¬ zubeugen, als es durch Strenge im Zaum zu halten. Man hat lange genug sich dieses letzten Mittels bedient, man versuche es einmal mit einem sanftem. Die Verzweiflung verfinstert den Verstand; das Elend ist ein Wermut!), der das Herz verbittert und Abneigung erzeugt; darum verwünscht oft der Arme den Reichen. Aber dieser komme jenem entgegen; indem er dem Kinde eine Zuflucht und den Eltern Arbeit gibt, erleichtere er ihnen das Dasein und öffne ihnen die Zu¬ kunft; dann werden diese harten Seelen sich der Dankbarkeit öffnen, und die alte Scheidewand, die Mißtrauen und Haß aufgerichtet, wird von selbst fallen. Die crvche in ihrer gegenwärtigen Einrichtung scheint ein sehr geeignetes Mittel, die wohlhabenden und die dürftigen Klassen einander zu nähern. stiftet nur immer Krippen, Ihr schonen Frauen, es ist dies nicht blos ein gutes, es ist auch ein kluges, ein politisches Werk. Durch diese häufige Berührung werdet ihr die übertriebene Furcht vor der Rohheit des Volkes verlieren, ihr werdet seine einfachen Tugenden und seine geduldige Resignation besser kennen lernen. Der arme Arbeiter andererseits, wenn er Zeuge sein wird des mitleidigen Beistandes, der verständigen Sorgfalt, deren Gegenstand sein Kind ist, wird seine Vorurtheile gegen den Stolz und die Härte der Reichen ablegen. Die Kastenfeindschaften werden erlöschen vor diesem Kinde, das in der Gesellschaft, wie es dies schon in der Familie ist, ein Pfand der Versöhnung geworden sein wird. Diese Wiege, über die sich zwei Mütter neigen, ist die Bundeöarche, welche die Eintracht und den Frie¬ den der Zukunft gründen und befestigen kann,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_365120/384>, abgerufen am 25.08.2024.