Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. II. Band. Und immer fester schnürt sie's jetzt Mit alten und mit neuen Bewährten Bändern, daß zuletzt Es kaum vermag zu schreien. Trotz Allem dringt sein Wshgeschrei Selbst zu profanen Ohren Die Welt fühlt, wenn das Kind nicht frei, Ist auch sie selbst verloren. Und vor den hohen Herren tritt Sie demuthsvoll, bescheiden, Und fleht: "O hab' Erbarmen mit Des armen Kindes Leiden! O laß es nicht von Tag zu Tag Die Kindsmagd fester binden! Nein, gib es frei, daß es vermag Das Heil der Welt zu gründen!" -- Darauf erhob der Schutzherr sich Und sprach, nicht sehr gewogen: "Was kümmerst Du um's Kindlein Dich, Das ich mir hab' erzogen? Was geht Dich meine Kindsmagd an. Die mir das Kind muß stillen? -- Was sie auch thut und hat gethan, Sie that's auf meinen Willen! Also gebot ihr Eid es ihr -- Ist sie drum anzuschwärzen?--- Im Uebrigen liegt mir "rie Dir Der Kleinen Wohl am Herzen. Doch abzutrotzen mir ihr Wohl, Die Lust laß Dich nicht prickeln! Sie werde frei! -- Allein sie soll Sich aus sich selbst entwickeln!" Er sprach's und hieß, sorgfältiglich Sie neu in Windeln legen! -- Nun denn, mein Kind, entwickle Dich! Dein Herr hat nichts dagegen. Richard Morning Und immer fester schnürt sie's jetzt Mit alten und mit neuen Bewährten Bändern, daß zuletzt Es kaum vermag zu schreien. Trotz Allem dringt sein Wshgeschrei Selbst zu profanen Ohren Die Welt fühlt, wenn das Kind nicht frei, Ist auch sie selbst verloren. Und vor den hohen Herren tritt Sie demuthsvoll, bescheiden, Und fleht: „O hab' Erbarmen mit Des armen Kindes Leiden! O laß es nicht von Tag zu Tag Die Kindsmagd fester binden! Nein, gib es frei, daß es vermag Das Heil der Welt zu gründen!" — Darauf erhob der Schutzherr sich Und sprach, nicht sehr gewogen: „Was kümmerst Du um's Kindlein Dich, Das ich mir hab' erzogen? Was geht Dich meine Kindsmagd an. Die mir das Kind muß stillen? — Was sie auch thut und hat gethan, Sie that's auf meinen Willen! Also gebot ihr Eid es ihr — Ist sie drum anzuschwärzen?--- Im Uebrigen liegt mir »rie Dir Der Kleinen Wohl am Herzen. Doch abzutrotzen mir ihr Wohl, Die Lust laß Dich nicht prickeln! Sie werde frei! — Allein sie soll Sich aus sich selbst entwickeln!" Er sprach's und hieß, sorgfältiglich Sie neu in Windeln legen! — Nun denn, mein Kind, entwickle Dich! Dein Herr hat nichts dagegen. Richard Morning <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0354" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/182777"/> <lg xml:id="POEMID_18" type="poem"> <l> Und immer fester schnürt sie's jetzt<lb/> Mit alten und mit neuen<lb/> Bewährten Bändern, daß zuletzt<lb/> Es kaum vermag zu schreien.</l> <l> Trotz Allem dringt sein Wshgeschrei<lb/> Selbst zu profanen Ohren<lb/> Die Welt fühlt, wenn das Kind nicht frei,<lb/> Ist auch sie selbst verloren.</l> <l> Und vor den hohen Herren tritt<lb/> Sie demuthsvoll, bescheiden,<lb/> Und fleht: „O hab' Erbarmen mit<lb/> Des armen Kindes Leiden!</l> <l> O laß es nicht von Tag zu Tag<lb/> Die Kindsmagd fester binden!<lb/> Nein, gib es frei, daß es vermag<lb/> Das Heil der Welt zu gründen!" —</l> <l> Darauf erhob der Schutzherr sich<lb/> Und sprach, nicht sehr gewogen:<lb/> „Was kümmerst Du um's Kindlein Dich,<lb/> Das ich mir hab' erzogen?</l> <l> Was geht Dich meine Kindsmagd an.<lb/> Die mir das Kind muß stillen? —<lb/> Was sie auch thut und hat gethan,<lb/> Sie that's auf meinen Willen!</l> <l> Also gebot ihr Eid es ihr —<lb/> Ist sie drum anzuschwärzen?---<lb/> Im Uebrigen liegt mir »rie Dir<lb/> Der Kleinen Wohl am Herzen.</l> <l> Doch abzutrotzen mir ihr Wohl,<lb/> Die Lust laß Dich nicht prickeln!<lb/> Sie werde frei! — Allein sie soll<lb/> Sich aus sich selbst entwickeln!"</l> <l> Er sprach's und hieß, sorgfältiglich<lb/> Sie neu in Windeln legen! —<lb/> Nun denn, mein Kind, entwickle Dich!<lb/> Dein Herr hat nichts dagegen.</l> </lg><lb/> <note type="byline"> Richard Morning</note><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0354]
Und immer fester schnürt sie's jetzt
Mit alten und mit neuen
Bewährten Bändern, daß zuletzt
Es kaum vermag zu schreien. Trotz Allem dringt sein Wshgeschrei
Selbst zu profanen Ohren
Die Welt fühlt, wenn das Kind nicht frei,
Ist auch sie selbst verloren. Und vor den hohen Herren tritt
Sie demuthsvoll, bescheiden,
Und fleht: „O hab' Erbarmen mit
Des armen Kindes Leiden! O laß es nicht von Tag zu Tag
Die Kindsmagd fester binden!
Nein, gib es frei, daß es vermag
Das Heil der Welt zu gründen!" — Darauf erhob der Schutzherr sich
Und sprach, nicht sehr gewogen:
„Was kümmerst Du um's Kindlein Dich,
Das ich mir hab' erzogen? Was geht Dich meine Kindsmagd an.
Die mir das Kind muß stillen? —
Was sie auch thut und hat gethan,
Sie that's auf meinen Willen! Also gebot ihr Eid es ihr —
Ist sie drum anzuschwärzen?---
Im Uebrigen liegt mir »rie Dir
Der Kleinen Wohl am Herzen. Doch abzutrotzen mir ihr Wohl,
Die Lust laß Dich nicht prickeln!
Sie werde frei! — Allein sie soll
Sich aus sich selbst entwickeln!" Er sprach's und hieß, sorgfältiglich
Sie neu in Windeln legen! —
Nun denn, mein Kind, entwickle Dich!
Dein Herr hat nichts dagegen.
Richard Morning
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