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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. II. Band.

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Freundschaft, der sich schon am andern Tage standhaft weigerte, sich
zu einer, wie er behauptete, unvorsichtig im Taumel des Weins hin¬
geworfenen Behauptung zu bekennen. Endlich, nach mehreren Wochen,
gelang es mir doch, sein Vertrauen in dem Grade zu gewinnen, daß
er mir gegen das Versprechen, seinen Namen nie zu nennen, und
während meines Aufenthaltes in Rom kein Wort von seiner Erzäh¬
lung einem Zweiten zu vertrauen*), folgende Mittheilung machte:

"Sie kennen so gut als ich Leo's Negierungsgeschiehte, die vielen
Absetzungen, die Bestrafung und Enthüllung offenbarer Betrügereien,
die nur nach dem persönlichen Verdienst erfolgten Beförderungen,
die Organisirung mehrerer übermäßig groß besoldeter Aemter, und die
Abschaffung mancher Ehrenstellen, die nur eine Staatsausgabe ohne
Nutzen und Zweck waren. Dies Alles hatte beim Clerus und in dem
hohem Laienstand viel Redens und viel böses Blut gemacht, indeß
das eigentliche Volk den in seinem Interesse hervorgerufenen Neue¬
rungen des edeln Papstes Beifall zujauchzte. Ich will Ihnen diese
bekannten Dinge nicht neu aufzählen, sondern vorerst nur noch Eini¬
ges hinzufügen, was Sie vielleicht noch nicht wissen. Als Leo den
päpstlichen Thron bestieg, war Micara General des Kapucinerordens
und zugleich päpstlicher Prediger (prellicators ^postolico, d.h. er
mußte da predigen, wo der Papst öffentlich Messe hört). Micara war
bekannt als der beste Kanzelredner im Kirchenstaat, und hatte über¬
dies schon früher die allgemeinste Aufmerksamkeit von Rom durch eine
Reform des römischen Kapucinerordenö auf sich gelenkt. Die Kapu-
ciner waren nämlich, ehe sie den Micara zu ihrem Obern erhielten,
die schmuzigsten Bettelmönche vom ganzen Kirchenstaat, unwissend wie
der niederste Pöbel, trag und unreinlich, wie es nur der gemeinste
Italiener sein kann. Micara machte die alte strenge Ordensregel wie¬
der geltend, und gewöhnte sie an einen regelmäßigen, religiösen Cul-



*) Dies Versprechen habe ich pünktlich gehalten, und es ist auch durch die jetzige
Veröffentlichung jenes Geheimnisses nicht im Geringsten verletzt worden. Viel,
mehr werden die Leser in meinem, auch nach dem Abzüge von Rom noch sieben
Jahre streng gehaltenen Schweigen eine männliche Rücksicht gegen die damaligen
Besucher des Schweizerkneipchens erkennen. Jetzt dürste es der römischen Inquisi¬
tion wohl unmöglich werden, die Gardisten herauszusuchen, welche in den Früh¬
lingemonaten 1839 dort gewöhnlich ihr Abendbrod genossen. Folglich könnten
nun aus meiner Schrift nur noch für mich selbst Unannehmlichkeiten erwachsen,
welche ich aber nie gefürchtet habe, wenn es galt, die Wahrheit offen und frei
an das Tageslicht hervorzuziehen.

Freundschaft, der sich schon am andern Tage standhaft weigerte, sich
zu einer, wie er behauptete, unvorsichtig im Taumel des Weins hin¬
geworfenen Behauptung zu bekennen. Endlich, nach mehreren Wochen,
gelang es mir doch, sein Vertrauen in dem Grade zu gewinnen, daß
er mir gegen das Versprechen, seinen Namen nie zu nennen, und
während meines Aufenthaltes in Rom kein Wort von seiner Erzäh¬
lung einem Zweiten zu vertrauen*), folgende Mittheilung machte:

„Sie kennen so gut als ich Leo's Negierungsgeschiehte, die vielen
Absetzungen, die Bestrafung und Enthüllung offenbarer Betrügereien,
die nur nach dem persönlichen Verdienst erfolgten Beförderungen,
die Organisirung mehrerer übermäßig groß besoldeter Aemter, und die
Abschaffung mancher Ehrenstellen, die nur eine Staatsausgabe ohne
Nutzen und Zweck waren. Dies Alles hatte beim Clerus und in dem
hohem Laienstand viel Redens und viel böses Blut gemacht, indeß
das eigentliche Volk den in seinem Interesse hervorgerufenen Neue¬
rungen des edeln Papstes Beifall zujauchzte. Ich will Ihnen diese
bekannten Dinge nicht neu aufzählen, sondern vorerst nur noch Eini¬
ges hinzufügen, was Sie vielleicht noch nicht wissen. Als Leo den
päpstlichen Thron bestieg, war Micara General des Kapucinerordens
und zugleich päpstlicher Prediger (prellicators ^postolico, d.h. er
mußte da predigen, wo der Papst öffentlich Messe hört). Micara war
bekannt als der beste Kanzelredner im Kirchenstaat, und hatte über¬
dies schon früher die allgemeinste Aufmerksamkeit von Rom durch eine
Reform des römischen Kapucinerordenö auf sich gelenkt. Die Kapu-
ciner waren nämlich, ehe sie den Micara zu ihrem Obern erhielten,
die schmuzigsten Bettelmönche vom ganzen Kirchenstaat, unwissend wie
der niederste Pöbel, trag und unreinlich, wie es nur der gemeinste
Italiener sein kann. Micara machte die alte strenge Ordensregel wie¬
der geltend, und gewöhnte sie an einen regelmäßigen, religiösen Cul-



*) Dies Versprechen habe ich pünktlich gehalten, und es ist auch durch die jetzige
Veröffentlichung jenes Geheimnisses nicht im Geringsten verletzt worden. Viel,
mehr werden die Leser in meinem, auch nach dem Abzüge von Rom noch sieben
Jahre streng gehaltenen Schweigen eine männliche Rücksicht gegen die damaligen
Besucher des Schweizerkneipchens erkennen. Jetzt dürste es der römischen Inquisi¬
tion wohl unmöglich werden, die Gardisten herauszusuchen, welche in den Früh¬
lingemonaten 1839 dort gewöhnlich ihr Abendbrod genossen. Folglich könnten
nun aus meiner Schrift nur noch für mich selbst Unannehmlichkeiten erwachsen,
welche ich aber nie gefürchtet habe, wenn es galt, die Wahrheit offen und frei
an das Tageslicht hervorzuziehen.
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[0347] Freundschaft, der sich schon am andern Tage standhaft weigerte, sich zu einer, wie er behauptete, unvorsichtig im Taumel des Weins hin¬ geworfenen Behauptung zu bekennen. Endlich, nach mehreren Wochen, gelang es mir doch, sein Vertrauen in dem Grade zu gewinnen, daß er mir gegen das Versprechen, seinen Namen nie zu nennen, und während meines Aufenthaltes in Rom kein Wort von seiner Erzäh¬ lung einem Zweiten zu vertrauen*), folgende Mittheilung machte: „Sie kennen so gut als ich Leo's Negierungsgeschiehte, die vielen Absetzungen, die Bestrafung und Enthüllung offenbarer Betrügereien, die nur nach dem persönlichen Verdienst erfolgten Beförderungen, die Organisirung mehrerer übermäßig groß besoldeter Aemter, und die Abschaffung mancher Ehrenstellen, die nur eine Staatsausgabe ohne Nutzen und Zweck waren. Dies Alles hatte beim Clerus und in dem hohem Laienstand viel Redens und viel böses Blut gemacht, indeß das eigentliche Volk den in seinem Interesse hervorgerufenen Neue¬ rungen des edeln Papstes Beifall zujauchzte. Ich will Ihnen diese bekannten Dinge nicht neu aufzählen, sondern vorerst nur noch Eini¬ ges hinzufügen, was Sie vielleicht noch nicht wissen. Als Leo den päpstlichen Thron bestieg, war Micara General des Kapucinerordens und zugleich päpstlicher Prediger (prellicators ^postolico, d.h. er mußte da predigen, wo der Papst öffentlich Messe hört). Micara war bekannt als der beste Kanzelredner im Kirchenstaat, und hatte über¬ dies schon früher die allgemeinste Aufmerksamkeit von Rom durch eine Reform des römischen Kapucinerordenö auf sich gelenkt. Die Kapu- ciner waren nämlich, ehe sie den Micara zu ihrem Obern erhielten, die schmuzigsten Bettelmönche vom ganzen Kirchenstaat, unwissend wie der niederste Pöbel, trag und unreinlich, wie es nur der gemeinste Italiener sein kann. Micara machte die alte strenge Ordensregel wie¬ der geltend, und gewöhnte sie an einen regelmäßigen, religiösen Cul- *) Dies Versprechen habe ich pünktlich gehalten, und es ist auch durch die jetzige Veröffentlichung jenes Geheimnisses nicht im Geringsten verletzt worden. Viel, mehr werden die Leser in meinem, auch nach dem Abzüge von Rom noch sieben Jahre streng gehaltenen Schweigen eine männliche Rücksicht gegen die damaligen Besucher des Schweizerkneipchens erkennen. Jetzt dürste es der römischen Inquisi¬ tion wohl unmöglich werden, die Gardisten herauszusuchen, welche in den Früh¬ lingemonaten 1839 dort gewöhnlich ihr Abendbrod genossen. Folglich könnten nun aus meiner Schrift nur noch für mich selbst Unannehmlichkeiten erwachsen, welche ich aber nie gefürchtet habe, wenn es galt, die Wahrheit offen und frei an das Tageslicht hervorzuziehen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_365120/347>, abgerufen am 24.11.2024.