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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. II. Band.

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gezwungen mit den Sternen zu verkehren, da ihn die Menschen allein
gelassen haben.

Wirth ist für Deutschland todt. Vielleicht daß einmal ein wür-
temberger oder badischer Bürger hinüber nach der Schweiz pilgert, um
sich an dem Anblick eines "deutschen Mannes" zu erlaben; im Allge¬
meinen kennt man ihn nicht, er ist nicht nur aus Zeitungen und Jour¬
nalen, er ist aus dem Volksbewußtsein geschwunden. Man sieht an
seinem Schicksal, das Rad der Zeit rollt schnell und zermalmt morgen
die, welche es noch heute hoch emporhob. Vor .13 Jahren ein Mann,
auf der ganzen Höhe seiner Zeit, den das Volk im Herzen trug, der
mit einem begeisterten Worte Tausende lenkte -- und jetzt ein Land¬
mann, ja -- ein Astronom! Die Zeiten des Cincinnatuö sind wieder-
gekehrt, aber in anderer Weise.

Daß Wirth von der Gegenwart so vernachlässigt wird, rührt
daher, daß sein Princip aus dem Volksbewußtsein verschwunden (?) ist.
Es ist das der Nation alitat; seine ganze Freiheitsliebe ist durch
sie bedingt; er will, wie auch der weniger bedeutende Siebenpfeiffer,
keine allgemein menschliche, vernünftige, sittliche, philosophische Freiheit,
sondern eine naturwüchsige, germanische, aus taciteischen Fragmenten
dedueirte. Wirth's ganze Opposition gegen die Regierungen ist selbst
geschichtlich aus diesem nationalen Bewußtsein hervorgegangen, näher
sogar aus dem Studium deutscher Rechtsgeschichte selbst. Er dachte
ja, als er anfing, Mann zu werden, noch gar nicht daran, Politiker,
Publicist zu sein; als Anwalt der Bauern in ihren fiscalischen
Prozessen, als er im Detail deutsche Geschichte und das Verfahren
deutscher Regierungen gegen ihre Unterthanen kennen lernte, bildete er
sich zum Publicisten aus. Seine Volksreden der spätern Zeit sind
nur eine nothwendige Fortsetzung seiner Plaidoyers vor den fränkischen
Gerichtshöfen. -- Preßfreiheit, Reichsverfassungen und andere Gewähr¬
leistungen der Freiheit deshalb zu wollen, weil sie deutsch sind, dies
ist nicht nur der Grundsatz Wirth'S, sondern fast aller blos constitu-
tionell gesinnter Liberalen; Welcker und v. Rotteck huldigten ihm unbe¬
dingt. Wenn Vernünftigkeit und Deutschheit zusammenfallen, sind die
Resultate dieses Princips richtig; sonst aber führen sie, und das nicht
selten, zu Unrichtigkeiten und Ungereimtheiten. Das hat man in un¬
serer Zeit besonders dadurch eingesehen, daß selbst von den reactionär-
ften Regierungen die Deutschthümelei oft ihren mittelalterlich-feudali¬
stischen Bestrebungen vorgeschoben wurde. Man wurde sich bewußt,
daß, wenn auch alle deutschen, alle altgermanischen Einrichtungen ver-


gezwungen mit den Sternen zu verkehren, da ihn die Menschen allein
gelassen haben.

Wirth ist für Deutschland todt. Vielleicht daß einmal ein wür-
temberger oder badischer Bürger hinüber nach der Schweiz pilgert, um
sich an dem Anblick eines „deutschen Mannes" zu erlaben; im Allge¬
meinen kennt man ihn nicht, er ist nicht nur aus Zeitungen und Jour¬
nalen, er ist aus dem Volksbewußtsein geschwunden. Man sieht an
seinem Schicksal, das Rad der Zeit rollt schnell und zermalmt morgen
die, welche es noch heute hoch emporhob. Vor .13 Jahren ein Mann,
auf der ganzen Höhe seiner Zeit, den das Volk im Herzen trug, der
mit einem begeisterten Worte Tausende lenkte — und jetzt ein Land¬
mann, ja — ein Astronom! Die Zeiten des Cincinnatuö sind wieder-
gekehrt, aber in anderer Weise.

Daß Wirth von der Gegenwart so vernachlässigt wird, rührt
daher, daß sein Princip aus dem Volksbewußtsein verschwunden (?) ist.
Es ist das der Nation alitat; seine ganze Freiheitsliebe ist durch
sie bedingt; er will, wie auch der weniger bedeutende Siebenpfeiffer,
keine allgemein menschliche, vernünftige, sittliche, philosophische Freiheit,
sondern eine naturwüchsige, germanische, aus taciteischen Fragmenten
dedueirte. Wirth's ganze Opposition gegen die Regierungen ist selbst
geschichtlich aus diesem nationalen Bewußtsein hervorgegangen, näher
sogar aus dem Studium deutscher Rechtsgeschichte selbst. Er dachte
ja, als er anfing, Mann zu werden, noch gar nicht daran, Politiker,
Publicist zu sein; als Anwalt der Bauern in ihren fiscalischen
Prozessen, als er im Detail deutsche Geschichte und das Verfahren
deutscher Regierungen gegen ihre Unterthanen kennen lernte, bildete er
sich zum Publicisten aus. Seine Volksreden der spätern Zeit sind
nur eine nothwendige Fortsetzung seiner Plaidoyers vor den fränkischen
Gerichtshöfen. — Preßfreiheit, Reichsverfassungen und andere Gewähr¬
leistungen der Freiheit deshalb zu wollen, weil sie deutsch sind, dies
ist nicht nur der Grundsatz Wirth'S, sondern fast aller blos constitu-
tionell gesinnter Liberalen; Welcker und v. Rotteck huldigten ihm unbe¬
dingt. Wenn Vernünftigkeit und Deutschheit zusammenfallen, sind die
Resultate dieses Princips richtig; sonst aber führen sie, und das nicht
selten, zu Unrichtigkeiten und Ungereimtheiten. Das hat man in un¬
serer Zeit besonders dadurch eingesehen, daß selbst von den reactionär-
ften Regierungen die Deutschthümelei oft ihren mittelalterlich-feudali¬
stischen Bestrebungen vorgeschoben wurde. Man wurde sich bewußt,
daß, wenn auch alle deutschen, alle altgermanischen Einrichtungen ver-


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[0341] gezwungen mit den Sternen zu verkehren, da ihn die Menschen allein gelassen haben. Wirth ist für Deutschland todt. Vielleicht daß einmal ein wür- temberger oder badischer Bürger hinüber nach der Schweiz pilgert, um sich an dem Anblick eines „deutschen Mannes" zu erlaben; im Allge¬ meinen kennt man ihn nicht, er ist nicht nur aus Zeitungen und Jour¬ nalen, er ist aus dem Volksbewußtsein geschwunden. Man sieht an seinem Schicksal, das Rad der Zeit rollt schnell und zermalmt morgen die, welche es noch heute hoch emporhob. Vor .13 Jahren ein Mann, auf der ganzen Höhe seiner Zeit, den das Volk im Herzen trug, der mit einem begeisterten Worte Tausende lenkte — und jetzt ein Land¬ mann, ja — ein Astronom! Die Zeiten des Cincinnatuö sind wieder- gekehrt, aber in anderer Weise. Daß Wirth von der Gegenwart so vernachlässigt wird, rührt daher, daß sein Princip aus dem Volksbewußtsein verschwunden (?) ist. Es ist das der Nation alitat; seine ganze Freiheitsliebe ist durch sie bedingt; er will, wie auch der weniger bedeutende Siebenpfeiffer, keine allgemein menschliche, vernünftige, sittliche, philosophische Freiheit, sondern eine naturwüchsige, germanische, aus taciteischen Fragmenten dedueirte. Wirth's ganze Opposition gegen die Regierungen ist selbst geschichtlich aus diesem nationalen Bewußtsein hervorgegangen, näher sogar aus dem Studium deutscher Rechtsgeschichte selbst. Er dachte ja, als er anfing, Mann zu werden, noch gar nicht daran, Politiker, Publicist zu sein; als Anwalt der Bauern in ihren fiscalischen Prozessen, als er im Detail deutsche Geschichte und das Verfahren deutscher Regierungen gegen ihre Unterthanen kennen lernte, bildete er sich zum Publicisten aus. Seine Volksreden der spätern Zeit sind nur eine nothwendige Fortsetzung seiner Plaidoyers vor den fränkischen Gerichtshöfen. — Preßfreiheit, Reichsverfassungen und andere Gewähr¬ leistungen der Freiheit deshalb zu wollen, weil sie deutsch sind, dies ist nicht nur der Grundsatz Wirth'S, sondern fast aller blos constitu- tionell gesinnter Liberalen; Welcker und v. Rotteck huldigten ihm unbe¬ dingt. Wenn Vernünftigkeit und Deutschheit zusammenfallen, sind die Resultate dieses Princips richtig; sonst aber führen sie, und das nicht selten, zu Unrichtigkeiten und Ungereimtheiten. Das hat man in un¬ serer Zeit besonders dadurch eingesehen, daß selbst von den reactionär- ften Regierungen die Deutschthümelei oft ihren mittelalterlich-feudali¬ stischen Bestrebungen vorgeschoben wurde. Man wurde sich bewußt, daß, wenn auch alle deutschen, alle altgermanischen Einrichtungen ver-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_365120/341>, abgerufen am 24.11.2024.