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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. II. Band.

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sagt selbst, daß diese Maßregel deshalb schädlich für ihn gewesen sei,
weil er sich jetzt einige Zeit lang selbst überlassen blieb. Ein vorüber¬
gehender Aufenthalt in Planen endete bald ; die unruhigen Kriegszei¬
ten störten eine solide Erziehung des Knaben.

,1,814 bezog er das Gymnasium zu Nürnberg, dessen Director
Hegel war. Hier wurde das Fundament seines spätern Lebens gelegt.
Den vielseitigen Kenntnissen und vor Allem der philosophischen Durch¬
bildung unter Hegel's Leitung hat er die Tiefe seines Gemüthes, wie
die Gediegenheit des Charakters zu danken. Wirth sagt selbst von
seinem ehemaligen Rector: "Meine Ueberzeugung gebietet mir jetzt oft,
dem Systeme und den nachmaligen Grundsätzen meines alten Lehrers
mit Nachdruck zu widersprechen; doch als Rector in Nürnberg wirkte
Hegel unendlich segensreich; auch in mir entzündete er den unsterb¬
lichen Funken der Freiheit.... dafür stammte ich noch seiner Asche
meinen tiefgefühltesten Dank."

Im Jahre 1816, als Hegel nach Heidelberg versetzt wurde, ver¬
ließ auch Wirth Nürnberg und wurde in Erlangen Zuhörer von
Glück, Posse und Groß. Bei Glück hörte er Pandekten, aber in an¬
derer Weise, wie sie jetzt docirt werden; "denn Glück las ein ganzes
Jahr daran, im ersten Semester täglich zwei, im zweiten drei Stun¬
den täglich. In den Osterferien wurde gar nicht ausgesetzt, sogar am
dritten Feiertage, wie gewöhnlich vorgetragen." -- Bei Groß hörte
er Naturrecht, und wurde von diesem auf den kantischen Standpunkt
gestellt, bei Posse deutsches Recht, dessen Kenntniß ihn später so sehr
in seiner nationalen, stets deutschen, aber nie deutschthümelnden Auf¬
fassung der Zustände und Ereignisse unterstützte.

Auf der Universität war Wirth trotz der jugendlichen Ausgelas¬
senheit und des fröhlichen Lebensgenusses doch fleißig und erwarb sich
neben seinen juristischen auch vorzugsweise mathematische Kenntnisse.
Mit 21 Jahren eröffnete er die Gerichtspraxis in Schwarzenbach und
verlobte sich dort mit der Tochter des Amtmannes. Aber sein Hang
nach geschichtlicher Tiefe und Gründlichkeit zog ihn wieder nach Hof
zurück, wo er sich ganz dem Quellenstudium des römischen und deut¬
schen Rechtes hingab. Hier versetzte sich seine Auffassung des beste¬
henden Rechtes schon bedeutend mit rationalistischen Elementen; phi¬
losophische Behandlung des positiven Rechtes wurde ein immer drin¬
genderes Bedürfniß für ihn; diesem Streben verdankt sein Handbuch
des Strafrechts, Breslau 1823, sein Dasein.

Nach seiner Vecheirathung nahm Wirth, vorzüglich aus ökono-


sagt selbst, daß diese Maßregel deshalb schädlich für ihn gewesen sei,
weil er sich jetzt einige Zeit lang selbst überlassen blieb. Ein vorüber¬
gehender Aufenthalt in Planen endete bald ; die unruhigen Kriegszei¬
ten störten eine solide Erziehung des Knaben.

,1,814 bezog er das Gymnasium zu Nürnberg, dessen Director
Hegel war. Hier wurde das Fundament seines spätern Lebens gelegt.
Den vielseitigen Kenntnissen und vor Allem der philosophischen Durch¬
bildung unter Hegel's Leitung hat er die Tiefe seines Gemüthes, wie
die Gediegenheit des Charakters zu danken. Wirth sagt selbst von
seinem ehemaligen Rector: „Meine Ueberzeugung gebietet mir jetzt oft,
dem Systeme und den nachmaligen Grundsätzen meines alten Lehrers
mit Nachdruck zu widersprechen; doch als Rector in Nürnberg wirkte
Hegel unendlich segensreich; auch in mir entzündete er den unsterb¬
lichen Funken der Freiheit.... dafür stammte ich noch seiner Asche
meinen tiefgefühltesten Dank."

Im Jahre 1816, als Hegel nach Heidelberg versetzt wurde, ver¬
ließ auch Wirth Nürnberg und wurde in Erlangen Zuhörer von
Glück, Posse und Groß. Bei Glück hörte er Pandekten, aber in an¬
derer Weise, wie sie jetzt docirt werden; „denn Glück las ein ganzes
Jahr daran, im ersten Semester täglich zwei, im zweiten drei Stun¬
den täglich. In den Osterferien wurde gar nicht ausgesetzt, sogar am
dritten Feiertage, wie gewöhnlich vorgetragen." — Bei Groß hörte
er Naturrecht, und wurde von diesem auf den kantischen Standpunkt
gestellt, bei Posse deutsches Recht, dessen Kenntniß ihn später so sehr
in seiner nationalen, stets deutschen, aber nie deutschthümelnden Auf¬
fassung der Zustände und Ereignisse unterstützte.

Auf der Universität war Wirth trotz der jugendlichen Ausgelas¬
senheit und des fröhlichen Lebensgenusses doch fleißig und erwarb sich
neben seinen juristischen auch vorzugsweise mathematische Kenntnisse.
Mit 21 Jahren eröffnete er die Gerichtspraxis in Schwarzenbach und
verlobte sich dort mit der Tochter des Amtmannes. Aber sein Hang
nach geschichtlicher Tiefe und Gründlichkeit zog ihn wieder nach Hof
zurück, wo er sich ganz dem Quellenstudium des römischen und deut¬
schen Rechtes hingab. Hier versetzte sich seine Auffassung des beste¬
henden Rechtes schon bedeutend mit rationalistischen Elementen; phi¬
losophische Behandlung des positiven Rechtes wurde ein immer drin¬
genderes Bedürfniß für ihn; diesem Streben verdankt sein Handbuch
des Strafrechts, Breslau 1823, sein Dasein.

Nach seiner Vecheirathung nahm Wirth, vorzüglich aus ökono-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_365120/332>, abgerufen am 24.11.2024.