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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. II. Band.

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wieder das Wort, -- "das ist wohl weit. Ich habe schon das vier
und siebenzigste Jahr zurückgelegt, aber bin noch nicht über Selig¬
sein, das zwei Stunden von hier ist, hinausgekommen) weiß auch
nicht, was die Leute für einen Gefallen daran finden, so in der Welt
herumzulaufen. Ich bleibe gern bei meiner Gewohnheit. So bin ich
nun schon über fünfzig Jahre an jedem Psingstmorgen auf diesem
Wege in das Feld gegangen und will es nun auch so halten bis an
mein Ende. Ich merke dann jedes Mal, daß ich älter geworden bin,
aber närrisch! die Berge werden nicht älter und die Sonne auch nicht,
sie scheint noch heute so hell und so warm, wie vor fünfzig Jahren.
Das lasse ich mir nun einmal uicht nehmen und habe auch dem Herrn
Pfarrer gesagt, der mir Vorwürfe machte, weil ich am Festmorgen
die Kirche versäumte, daß ich hier außen recht andächtig wäre, und
daß man mir wohl dieses Vergnügen gönnen könnte, zumal da ich
sonst den Gottesdienst so regelmäßig besuchte. Die Mamsell --"

"Was für eine Mamsell?" siel ihr Richard, der dem Geplau-
der mit einem eigenthümlich lächelnden, sinnenden Ausdrucke zugehört
hatte, rasch in die Rede.

"I! nun, wir haben blos eine Mamsell, die Tochter des Herrn
Pfarrers."

"Wie heißt sie, Laura, oder doch wenigstens Minna?"

"Keins von Beiden, mein Herr, sie heißt Mariechen, und ist
recht hübsch und gut."

"Ja, sie hat blonde Haare, blaue Augen, spielt Guitarre, be¬
gießt Blumen, füttert Hühner --"

"Herr Jesus, was Sie so schnell sprechen! Recht angesehen mö¬
gen Sie Mamsell Mariechen nun doch nicht haben, ihre Haare, nun
ja, schwarz sind sie nicht, aber die Augen sind grau; ob sie Guitarre
spielt, weiß ich nicht, aber singen thut sie und zwar recht schön, ist
außerdem immer lustig und trägt sich so stolz, wie die vornehmste
Dame."

"Gut, mein Mütterchen, ich kenne sie schon, wir müssen uns hier
trennen, könnt Mamsell Mariechen von mir grüßen. Guten Mor¬
gen !"

Schnell wandte er sich nach diesen Worten um und kehrte nach
dem Städtchen zurück. Also den Gegenstand deiner Liebe, sprach oder
dachte er vor sich hin, hättest du nun gefunden. Alles recht hübsch idyl¬
lisch, das Thal, der Weiler, der Bach, die Erlen, der Pfarrer, Mariechen;
als wenn ich mit einem Male in ein Matthisson'sches oder Hol-


wieder das Wort, — „das ist wohl weit. Ich habe schon das vier
und siebenzigste Jahr zurückgelegt, aber bin noch nicht über Selig¬
sein, das zwei Stunden von hier ist, hinausgekommen) weiß auch
nicht, was die Leute für einen Gefallen daran finden, so in der Welt
herumzulaufen. Ich bleibe gern bei meiner Gewohnheit. So bin ich
nun schon über fünfzig Jahre an jedem Psingstmorgen auf diesem
Wege in das Feld gegangen und will es nun auch so halten bis an
mein Ende. Ich merke dann jedes Mal, daß ich älter geworden bin,
aber närrisch! die Berge werden nicht älter und die Sonne auch nicht,
sie scheint noch heute so hell und so warm, wie vor fünfzig Jahren.
Das lasse ich mir nun einmal uicht nehmen und habe auch dem Herrn
Pfarrer gesagt, der mir Vorwürfe machte, weil ich am Festmorgen
die Kirche versäumte, daß ich hier außen recht andächtig wäre, und
daß man mir wohl dieses Vergnügen gönnen könnte, zumal da ich
sonst den Gottesdienst so regelmäßig besuchte. Die Mamsell —"

„Was für eine Mamsell?" siel ihr Richard, der dem Geplau-
der mit einem eigenthümlich lächelnden, sinnenden Ausdrucke zugehört
hatte, rasch in die Rede.

„I! nun, wir haben blos eine Mamsell, die Tochter des Herrn
Pfarrers."

„Wie heißt sie, Laura, oder doch wenigstens Minna?"

„Keins von Beiden, mein Herr, sie heißt Mariechen, und ist
recht hübsch und gut."

„Ja, sie hat blonde Haare, blaue Augen, spielt Guitarre, be¬
gießt Blumen, füttert Hühner —"

„Herr Jesus, was Sie so schnell sprechen! Recht angesehen mö¬
gen Sie Mamsell Mariechen nun doch nicht haben, ihre Haare, nun
ja, schwarz sind sie nicht, aber die Augen sind grau; ob sie Guitarre
spielt, weiß ich nicht, aber singen thut sie und zwar recht schön, ist
außerdem immer lustig und trägt sich so stolz, wie die vornehmste
Dame."

„Gut, mein Mütterchen, ich kenne sie schon, wir müssen uns hier
trennen, könnt Mamsell Mariechen von mir grüßen. Guten Mor¬
gen !"

Schnell wandte er sich nach diesen Worten um und kehrte nach
dem Städtchen zurück. Also den Gegenstand deiner Liebe, sprach oder
dachte er vor sich hin, hättest du nun gefunden. Alles recht hübsch idyl¬
lisch, das Thal, der Weiler, der Bach, die Erlen, der Pfarrer, Mariechen;
als wenn ich mit einem Male in ein Matthisson'sches oder Hol-


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[0304] wieder das Wort, — „das ist wohl weit. Ich habe schon das vier und siebenzigste Jahr zurückgelegt, aber bin noch nicht über Selig¬ sein, das zwei Stunden von hier ist, hinausgekommen) weiß auch nicht, was die Leute für einen Gefallen daran finden, so in der Welt herumzulaufen. Ich bleibe gern bei meiner Gewohnheit. So bin ich nun schon über fünfzig Jahre an jedem Psingstmorgen auf diesem Wege in das Feld gegangen und will es nun auch so halten bis an mein Ende. Ich merke dann jedes Mal, daß ich älter geworden bin, aber närrisch! die Berge werden nicht älter und die Sonne auch nicht, sie scheint noch heute so hell und so warm, wie vor fünfzig Jahren. Das lasse ich mir nun einmal uicht nehmen und habe auch dem Herrn Pfarrer gesagt, der mir Vorwürfe machte, weil ich am Festmorgen die Kirche versäumte, daß ich hier außen recht andächtig wäre, und daß man mir wohl dieses Vergnügen gönnen könnte, zumal da ich sonst den Gottesdienst so regelmäßig besuchte. Die Mamsell —" „Was für eine Mamsell?" siel ihr Richard, der dem Geplau- der mit einem eigenthümlich lächelnden, sinnenden Ausdrucke zugehört hatte, rasch in die Rede. „I! nun, wir haben blos eine Mamsell, die Tochter des Herrn Pfarrers." „Wie heißt sie, Laura, oder doch wenigstens Minna?" „Keins von Beiden, mein Herr, sie heißt Mariechen, und ist recht hübsch und gut." „Ja, sie hat blonde Haare, blaue Augen, spielt Guitarre, be¬ gießt Blumen, füttert Hühner —" „Herr Jesus, was Sie so schnell sprechen! Recht angesehen mö¬ gen Sie Mamsell Mariechen nun doch nicht haben, ihre Haare, nun ja, schwarz sind sie nicht, aber die Augen sind grau; ob sie Guitarre spielt, weiß ich nicht, aber singen thut sie und zwar recht schön, ist außerdem immer lustig und trägt sich so stolz, wie die vornehmste Dame." „Gut, mein Mütterchen, ich kenne sie schon, wir müssen uns hier trennen, könnt Mamsell Mariechen von mir grüßen. Guten Mor¬ gen !" Schnell wandte er sich nach diesen Worten um und kehrte nach dem Städtchen zurück. Also den Gegenstand deiner Liebe, sprach oder dachte er vor sich hin, hättest du nun gefunden. Alles recht hübsch idyl¬ lisch, das Thal, der Weiler, der Bach, die Erlen, der Pfarrer, Mariechen; als wenn ich mit einem Male in ein Matthisson'sches oder Hol-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_365120/304>, abgerufen am 24.11.2024.