Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. II. Band.wie fremd und kalt starrten ihn die Worte dann an. Aber ich bin Bei den letzten Worten erhob er sich in fieberhafter Aufregung "Aber ich begreife in der That nicht, mein Herr --" "Ist auch gar nicht nöthig," fiel ihm Richard in'ö Wort. "Ja, wie fremd und kalt starrten ihn die Worte dann an. Aber ich bin Bei den letzten Worten erhob er sich in fieberhafter Aufregung „Aber ich begreife in der That nicht, mein Herr —" „Ist auch gar nicht nöthig," fiel ihm Richard in'ö Wort. „Ja, <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0302" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/182725"/> <p xml:id="ID_826" prev="#ID_825"> wie fremd und kalt starrten ihn die Worte dann an. Aber ich bin<lb/> selbst Schuld, fuhr er in seinen Betrachtungen fort, und habe meinen<lb/> Jammer verdient. Was war dieser raffinirte Hohn, mit dem ich jede<lb/> milde Rührung, jede Empfindung der Wehmuth hinwegspottete, an¬<lb/> ders als absichtlicher Selbstmord? Und mit welcher gewaltsamen Af-<lb/> fectation habe ich mein Prineip verfolgt? Wenn mich auf der einen<lb/> Seite ein natürliches, starkes Gefühl zum Schmerze hinzog, wenn die<lb/> Bilder meiner Jugend, meiner Verluste und meiner Verlassenheit vor<lb/> die thränenschwerem Augen traten, dann beschwor ich plötzlich eine dä¬<lb/> monische Bitterkeit in meinem Innern hervor, meine Schwermuth er¬<lb/> schien mir lächerlich, meine Klage trivial! O I ich hätte sie fließen<lb/> lassen sollen diese Thränen, selbst auf die Gefahr einer unmodernen<lb/> Sentimentalität hin. Was hatte ich der Welt und ihren Modeten-<lb/> denzen gegenüber sür Rücksichten zu nehmen? Verdiente sie, daß ich<lb/> einen heiligen Schmerz aufopferte, um ihr mit einem vornehmen<lb/> Hohne entgegentreten zu können, der immer auf mich selbst zurückfiel<lb/> und alle friedliche Neigungen zersetzte? Doch es soll anders werden,<lb/> ich will mich verlieben, ich will idyllisch schwärmen, ich will die Em¬<lb/> pfindungen meiner glücklichen Kindheit mit Gewalt zurückrufen, ich<lb/> will — nun das wird sich schon alles von selbst machen. Vor al¬<lb/> len Dingen werde ich eine ländliche Nymphe mit meiner Liebe be¬<lb/> glücken; ich will hoffen, daß ihr biederer Vater mit Gärten, Gänsen,<lb/> Jasminlauben u. s. w. hinlänglich versehen ist; dann schaffe ich mir<lb/> die neueste Ausgabe von Matthissons Gedichten an, — versteht sich,<lb/> im beliebten Schillerformat — lese, declamire, werde tugendhaft und<lb/> glücklich, —</p><lb/> <p xml:id="ID_827"> Bei den letzten Worten erhob er sich in fieberhafter Aufregung<lb/> und stürzte fort. Am Fuße des Berges stieß ihm unglücklicher Weise<lb/> der Herr Steuerinspektor auf, der einen soliden Verdauungsspazier-<lb/> gang machte und sich nebenher in schmeichelhaften Berechnungen ver¬<lb/> lor. Richard stürmt auf ihn los, schließt ihn in seine Arme, drückt<lb/> ihn an seine Brust und zwar mit einer so verzweifelten Schnelligkeit,<lb/> daß der Steuerinspector nicht einmal Zeit hatte, zu einem klaren Be¬<lb/> wußtsein seines Erstaunens zu kommen.</p><lb/> <p xml:id="ID_828"> „Aber ich begreife in der That nicht, mein Herr —"</p><lb/> <p xml:id="ID_829"> „Ist auch gar nicht nöthig," fiel ihm Richard in'ö Wort. „Ja,<lb/> mein theuerster Herr Steuerinspector, ich liebe Ihre Tochter, diese<lb/> sanfte, tugendhafte, gefühlvolle Tochter, welche so ganz Ihren Blick<lb/> und Ihre Herzensgüte besitzt! — "</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0302]
wie fremd und kalt starrten ihn die Worte dann an. Aber ich bin
selbst Schuld, fuhr er in seinen Betrachtungen fort, und habe meinen
Jammer verdient. Was war dieser raffinirte Hohn, mit dem ich jede
milde Rührung, jede Empfindung der Wehmuth hinwegspottete, an¬
ders als absichtlicher Selbstmord? Und mit welcher gewaltsamen Af-
fectation habe ich mein Prineip verfolgt? Wenn mich auf der einen
Seite ein natürliches, starkes Gefühl zum Schmerze hinzog, wenn die
Bilder meiner Jugend, meiner Verluste und meiner Verlassenheit vor
die thränenschwerem Augen traten, dann beschwor ich plötzlich eine dä¬
monische Bitterkeit in meinem Innern hervor, meine Schwermuth er¬
schien mir lächerlich, meine Klage trivial! O I ich hätte sie fließen
lassen sollen diese Thränen, selbst auf die Gefahr einer unmodernen
Sentimentalität hin. Was hatte ich der Welt und ihren Modeten-
denzen gegenüber sür Rücksichten zu nehmen? Verdiente sie, daß ich
einen heiligen Schmerz aufopferte, um ihr mit einem vornehmen
Hohne entgegentreten zu können, der immer auf mich selbst zurückfiel
und alle friedliche Neigungen zersetzte? Doch es soll anders werden,
ich will mich verlieben, ich will idyllisch schwärmen, ich will die Em¬
pfindungen meiner glücklichen Kindheit mit Gewalt zurückrufen, ich
will — nun das wird sich schon alles von selbst machen. Vor al¬
len Dingen werde ich eine ländliche Nymphe mit meiner Liebe be¬
glücken; ich will hoffen, daß ihr biederer Vater mit Gärten, Gänsen,
Jasminlauben u. s. w. hinlänglich versehen ist; dann schaffe ich mir
die neueste Ausgabe von Matthissons Gedichten an, — versteht sich,
im beliebten Schillerformat — lese, declamire, werde tugendhaft und
glücklich, —
Bei den letzten Worten erhob er sich in fieberhafter Aufregung
und stürzte fort. Am Fuße des Berges stieß ihm unglücklicher Weise
der Herr Steuerinspektor auf, der einen soliden Verdauungsspazier-
gang machte und sich nebenher in schmeichelhaften Berechnungen ver¬
lor. Richard stürmt auf ihn los, schließt ihn in seine Arme, drückt
ihn an seine Brust und zwar mit einer so verzweifelten Schnelligkeit,
daß der Steuerinspector nicht einmal Zeit hatte, zu einem klaren Be¬
wußtsein seines Erstaunens zu kommen.
„Aber ich begreife in der That nicht, mein Herr —"
„Ist auch gar nicht nöthig," fiel ihm Richard in'ö Wort. „Ja,
mein theuerster Herr Steuerinspector, ich liebe Ihre Tochter, diese
sanfte, tugendhafte, gefühlvolle Tochter, welche so ganz Ihren Blick
und Ihre Herzensgüte besitzt! — "
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