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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. II. Band.

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Verlauf faul, statt der Republik gelang nur das Kaiserreich, dann,
da wieder dieses fehlschlug, die Rückkehr der Bourbonen, und, nach¬
dem auch diese der Zeitgeist nicht wollte, "das System eines alten
Fuchses, der den Hahn der ersten Revolution noch ungeboren kannte
und jetzt sein Junges in der Geburt zu erwürgen sucht."

So steht es mit der "Wiege der Geschichte," mit dem "nobeln
Volke," das den "humanen Jnstinct" in sich trägt. Die Freiheit in
Frankreich hat eben auch ihre Kanten. Die Polizei ist thätig genug;
nicht nur sind die Fremden ganz in ihrer Discretion, auch den Hand¬
werkern sind durch die Septembergesetze Associationen zum Betrieb ei¬
gener Geschäfte untersagt, nicht einmal eine allgemeine Verbindung zu
Versorgungs- und Arbeitsnachweisungsbüreaur ist ihnen verstattet.
Die freie Presse ist nur in soweit frei, als die herrschende Klasse dies
verträgt. "Wir haben Preßfreiheit," äußerte Cabot, "und man nimmt
Bücher weg, die der regierenden Klasse nicht gefallen" u. f. w. Alles
das führt Rüge selbst an. Nein, Paris so im Ganzen, in Masse, in
seinem geltenden, berechtigten Bestehen, hält vor dem Princip der Frei¬
heit nicht besser aus, als Deutschland: man muß sich an diejenigen
Bestandtheile wenden, welche unter der allgemeinen Verderbniß noch
den guten Jnstinct bewahren konnten, man muß sich die des Fort¬
schritts zur Freiheit fähige Partei heraussuchen. Das ist in Paris ohnehin
nöthig, einer Partei muß man sich hingeben, sonst ist keine Wirksamkeit
möglich. Auch Lamennais machte Rüge darauf aufmerksam. "Sie
werden bei uns nicht zum Ziele kommen," sagte er ihm; "Sie müs¬
sen sich einer Partei anschließen, und -- ich wüßte Ihnen keine zu
rathen, wie ich denn selbst im Grunde zu keiner ganz mich bekennen
könnte." Das ist nun eben der schlimme Punkt. Mit welcher Par¬
tei ließe sich der gewünschte Bund eingehen, ließe sich die "Ul-meo in-
tellectukllv stiften?

Rüge sondert sich sogleich die Parteien in zwei Hauptmassen
nach dem "guten" und "bösen" Principe. Auf die böse Seite stellt
er den Bonapartismus, das an dessen Stelle getretene Telegraphen¬
regiment (dem militärischen Geist verfallen) und den Katholicis¬
mus nebst seiner Abschwächung in aufgeklärter Religiosität (das Pfas¬
se sehe Element), endlich das ganze Philisterthum der bourgeoisi"-.
Dies ist die Seite, von welcher er natürlich gleich von vorn herein
absieht. Was ist aber auf der andern, guten Seite zu machen?
Siehe da, es findet sich, daß alle Parteien, mit denen er es versucht,


Verlauf faul, statt der Republik gelang nur das Kaiserreich, dann,
da wieder dieses fehlschlug, die Rückkehr der Bourbonen, und, nach¬
dem auch diese der Zeitgeist nicht wollte, „das System eines alten
Fuchses, der den Hahn der ersten Revolution noch ungeboren kannte
und jetzt sein Junges in der Geburt zu erwürgen sucht."

So steht es mit der „Wiege der Geschichte," mit dem „nobeln
Volke," das den „humanen Jnstinct" in sich trägt. Die Freiheit in
Frankreich hat eben auch ihre Kanten. Die Polizei ist thätig genug;
nicht nur sind die Fremden ganz in ihrer Discretion, auch den Hand¬
werkern sind durch die Septembergesetze Associationen zum Betrieb ei¬
gener Geschäfte untersagt, nicht einmal eine allgemeine Verbindung zu
Versorgungs- und Arbeitsnachweisungsbüreaur ist ihnen verstattet.
Die freie Presse ist nur in soweit frei, als die herrschende Klasse dies
verträgt. „Wir haben Preßfreiheit," äußerte Cabot, „und man nimmt
Bücher weg, die der regierenden Klasse nicht gefallen" u. f. w. Alles
das führt Rüge selbst an. Nein, Paris so im Ganzen, in Masse, in
seinem geltenden, berechtigten Bestehen, hält vor dem Princip der Frei¬
heit nicht besser aus, als Deutschland: man muß sich an diejenigen
Bestandtheile wenden, welche unter der allgemeinen Verderbniß noch
den guten Jnstinct bewahren konnten, man muß sich die des Fort¬
schritts zur Freiheit fähige Partei heraussuchen. Das ist in Paris ohnehin
nöthig, einer Partei muß man sich hingeben, sonst ist keine Wirksamkeit
möglich. Auch Lamennais machte Rüge darauf aufmerksam. „Sie
werden bei uns nicht zum Ziele kommen," sagte er ihm; „Sie müs¬
sen sich einer Partei anschließen, und — ich wüßte Ihnen keine zu
rathen, wie ich denn selbst im Grunde zu keiner ganz mich bekennen
könnte." Das ist nun eben der schlimme Punkt. Mit welcher Par¬
tei ließe sich der gewünschte Bund eingehen, ließe sich die »Ul-meo in-
tellectukllv stiften?

Rüge sondert sich sogleich die Parteien in zwei Hauptmassen
nach dem „guten" und „bösen" Principe. Auf die böse Seite stellt
er den Bonapartismus, das an dessen Stelle getretene Telegraphen¬
regiment (dem militärischen Geist verfallen) und den Katholicis¬
mus nebst seiner Abschwächung in aufgeklärter Religiosität (das Pfas¬
se sehe Element), endlich das ganze Philisterthum der bourgeoisi«-.
Dies ist die Seite, von welcher er natürlich gleich von vorn herein
absieht. Was ist aber auf der andern, guten Seite zu machen?
Siehe da, es findet sich, daß alle Parteien, mit denen er es versucht,


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[0294] Verlauf faul, statt der Republik gelang nur das Kaiserreich, dann, da wieder dieses fehlschlug, die Rückkehr der Bourbonen, und, nach¬ dem auch diese der Zeitgeist nicht wollte, „das System eines alten Fuchses, der den Hahn der ersten Revolution noch ungeboren kannte und jetzt sein Junges in der Geburt zu erwürgen sucht." So steht es mit der „Wiege der Geschichte," mit dem „nobeln Volke," das den „humanen Jnstinct" in sich trägt. Die Freiheit in Frankreich hat eben auch ihre Kanten. Die Polizei ist thätig genug; nicht nur sind die Fremden ganz in ihrer Discretion, auch den Hand¬ werkern sind durch die Septembergesetze Associationen zum Betrieb ei¬ gener Geschäfte untersagt, nicht einmal eine allgemeine Verbindung zu Versorgungs- und Arbeitsnachweisungsbüreaur ist ihnen verstattet. Die freie Presse ist nur in soweit frei, als die herrschende Klasse dies verträgt. „Wir haben Preßfreiheit," äußerte Cabot, „und man nimmt Bücher weg, die der regierenden Klasse nicht gefallen" u. f. w. Alles das führt Rüge selbst an. Nein, Paris so im Ganzen, in Masse, in seinem geltenden, berechtigten Bestehen, hält vor dem Princip der Frei¬ heit nicht besser aus, als Deutschland: man muß sich an diejenigen Bestandtheile wenden, welche unter der allgemeinen Verderbniß noch den guten Jnstinct bewahren konnten, man muß sich die des Fort¬ schritts zur Freiheit fähige Partei heraussuchen. Das ist in Paris ohnehin nöthig, einer Partei muß man sich hingeben, sonst ist keine Wirksamkeit möglich. Auch Lamennais machte Rüge darauf aufmerksam. „Sie werden bei uns nicht zum Ziele kommen," sagte er ihm; „Sie müs¬ sen sich einer Partei anschließen, und — ich wüßte Ihnen keine zu rathen, wie ich denn selbst im Grunde zu keiner ganz mich bekennen könnte." Das ist nun eben der schlimme Punkt. Mit welcher Par¬ tei ließe sich der gewünschte Bund eingehen, ließe sich die »Ul-meo in- tellectukllv stiften? Rüge sondert sich sogleich die Parteien in zwei Hauptmassen nach dem „guten" und „bösen" Principe. Auf die böse Seite stellt er den Bonapartismus, das an dessen Stelle getretene Telegraphen¬ regiment (dem militärischen Geist verfallen) und den Katholicis¬ mus nebst seiner Abschwächung in aufgeklärter Religiosität (das Pfas¬ se sehe Element), endlich das ganze Philisterthum der bourgeoisi«-. Dies ist die Seite, von welcher er natürlich gleich von vorn herein absieht. Was ist aber auf der andern, guten Seite zu machen? Siehe da, es findet sich, daß alle Parteien, mit denen er es versucht,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_365120/294>, abgerufen am 24.11.2024.