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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. II. Band.

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hören müssen, welchen das Burgtheater unter seiner jetzigen Leitung wie¬
der nehmen würde und von der Rückkehr der alten classischen (Schrey-
vogelschen) Zeit, aber wir sehen uns vergebens um nach dem Unterschiede,
welchen die jetzige Leitung von der des heftig verketzerten Holbeins bietet.
Wir haben auf den Herrn Grafen Dietrichstein die Hoffnung gestellt, daß
er das Repertoire verbessern wird, daß er durch seinen Einfluß Hinder¬
nisse wegräumen wird, für deren Beseitigung Holbein zu ohnmächtig war
-- wir sehen uns vollständig getauscht. Wir haben gedacht, Herr Graf
D. würde das Personal durch sein Ansehen in Schach zu halten wissen,
die Invaliden und die Gealterten zum Theil in Ruhe, zum Theil in an¬
dere Fächer setzen. Was ist von dem Allen in Erfüllung gegangen?
Ich werde auf die Verhältnisse des Burgtheaters in einem ausführlichen
Artikel zurückkommen.

Einen armen Teufel von Poeten, einen jungen neunzehnjährigen
Menschen, Namens Eckart, haben sie auf "Polenlieder" erwischt, die er
an Hoffmann und Campe abschickte Die Worte Polen und Hoffmann
und Campe sind, namentlich im Zusammenhange, arge Dissonanzen in
den Ohren unserer Polizei*). Indessen muß grade die Naivetät des jungen
Menschen, der so was unverholen auf die Post gibt, schon für seine
Naivetäten sprechen. Es ist ein kleiner närrischer Kauz, dieser Eckart.
Er hat die Friedhofssage zu einem Trauerspiele verarbeitet und hat auf
dem Titel drucken lassen: "Dem größten deutschen Mimen, Ludwig
Löwe, gewidmet." In diesem ersten Opus hat er sogleich ein ganz neues
orthographisches System eingeführt, so daß man das Stück kaum zu
Ende lesen kann, weil die Worte in ihrer sonderbaren orthographischen
Jacke auf- und abspringen und den Leser schwindlig machen. Wir hoffen,
unsere Polizei wird sich nicht noch so weit blamiren, daß sie diesem jun¬
gen ungefährlichen Menschen allen Ernstes einen Proceß macht. Er soll
auch bereits aus freien Fuß gestellt worden sein.



Die Red.


Verlag von Fr. Ludw. Herbig. -- Redacteur I. Kuranda.
Druck von Friedrich Andrä.
*) Die deutsche allgemeine Zeitung bringt so eben folgende Erklärung von
Herrn Otto Wiegcmd - Erklärung. Die Deutsche Allgemeine Zeitung vom 31.
März d. I. hat in der Form eines k. k. Hofdecrets eine Mittheilung gebracht,
welche das Verbot meines ganzen Verlages in den gesammte" österreichischen
Staaten enthielt. Diese Nachricht rief von mir in demselben Blatte vom 1.
April eine öffentliche "vorläufige Erklärung" hervor. Es hat sich in¬
dessen herausgestellt, daß ein k. k. Publicandum erwähnten In¬
halts im Bereiche der österreichischen Staaten nicht erschienen
ist. Unter diesen Umständen nehme ich meine "vorläufige Erklä¬
rung" hiermit öffentlich zurück. Leipzig am 12. Mai 184". OttoWigand.
Der ganze Erlaß der österreichischen Censurbehörde gegen die Herren Wi-
gand und Reclam, den die Deutsche Allg. Zeitung im Texte mittheilte, wäre
also eine bloße Mystifikation gewesen ! Wir erwarten nähere Aufschlüsse.

hören müssen, welchen das Burgtheater unter seiner jetzigen Leitung wie¬
der nehmen würde und von der Rückkehr der alten classischen (Schrey-
vogelschen) Zeit, aber wir sehen uns vergebens um nach dem Unterschiede,
welchen die jetzige Leitung von der des heftig verketzerten Holbeins bietet.
Wir haben auf den Herrn Grafen Dietrichstein die Hoffnung gestellt, daß
er das Repertoire verbessern wird, daß er durch seinen Einfluß Hinder¬
nisse wegräumen wird, für deren Beseitigung Holbein zu ohnmächtig war
— wir sehen uns vollständig getauscht. Wir haben gedacht, Herr Graf
D. würde das Personal durch sein Ansehen in Schach zu halten wissen,
die Invaliden und die Gealterten zum Theil in Ruhe, zum Theil in an¬
dere Fächer setzen. Was ist von dem Allen in Erfüllung gegangen?
Ich werde auf die Verhältnisse des Burgtheaters in einem ausführlichen
Artikel zurückkommen.

Einen armen Teufel von Poeten, einen jungen neunzehnjährigen
Menschen, Namens Eckart, haben sie auf „Polenlieder" erwischt, die er
an Hoffmann und Campe abschickte Die Worte Polen und Hoffmann
und Campe sind, namentlich im Zusammenhange, arge Dissonanzen in
den Ohren unserer Polizei*). Indessen muß grade die Naivetät des jungen
Menschen, der so was unverholen auf die Post gibt, schon für seine
Naivetäten sprechen. Es ist ein kleiner närrischer Kauz, dieser Eckart.
Er hat die Friedhofssage zu einem Trauerspiele verarbeitet und hat auf
dem Titel drucken lassen: „Dem größten deutschen Mimen, Ludwig
Löwe, gewidmet." In diesem ersten Opus hat er sogleich ein ganz neues
orthographisches System eingeführt, so daß man das Stück kaum zu
Ende lesen kann, weil die Worte in ihrer sonderbaren orthographischen
Jacke auf- und abspringen und den Leser schwindlig machen. Wir hoffen,
unsere Polizei wird sich nicht noch so weit blamiren, daß sie diesem jun¬
gen ungefährlichen Menschen allen Ernstes einen Proceß macht. Er soll
auch bereits aus freien Fuß gestellt worden sein.



Die Red.


Verlag von Fr. Ludw. Herbig. — Redacteur I. Kuranda.
Druck von Friedrich Andrä.
*) Die deutsche allgemeine Zeitung bringt so eben folgende Erklärung von
Herrn Otto Wiegcmd - Erklärung. Die Deutsche Allgemeine Zeitung vom 31.
März d. I. hat in der Form eines k. k. Hofdecrets eine Mittheilung gebracht,
welche das Verbot meines ganzen Verlages in den gesammte» österreichischen
Staaten enthielt. Diese Nachricht rief von mir in demselben Blatte vom 1.
April eine öffentliche „vorläufige Erklärung" hervor. Es hat sich in¬
dessen herausgestellt, daß ein k. k. Publicandum erwähnten In¬
halts im Bereiche der österreichischen Staaten nicht erschienen
ist. Unter diesen Umständen nehme ich meine „vorläufige Erklä¬
rung" hiermit öffentlich zurück. Leipzig am 12. Mai 184«. OttoWigand.
Der ganze Erlaß der österreichischen Censurbehörde gegen die Herren Wi-
gand und Reclam, den die Deutsche Allg. Zeitung im Texte mittheilte, wäre
also eine bloße Mystifikation gewesen ! Wir erwarten nähere Aufschlüsse.
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[0280] hören müssen, welchen das Burgtheater unter seiner jetzigen Leitung wie¬ der nehmen würde und von der Rückkehr der alten classischen (Schrey- vogelschen) Zeit, aber wir sehen uns vergebens um nach dem Unterschiede, welchen die jetzige Leitung von der des heftig verketzerten Holbeins bietet. Wir haben auf den Herrn Grafen Dietrichstein die Hoffnung gestellt, daß er das Repertoire verbessern wird, daß er durch seinen Einfluß Hinder¬ nisse wegräumen wird, für deren Beseitigung Holbein zu ohnmächtig war — wir sehen uns vollständig getauscht. Wir haben gedacht, Herr Graf D. würde das Personal durch sein Ansehen in Schach zu halten wissen, die Invaliden und die Gealterten zum Theil in Ruhe, zum Theil in an¬ dere Fächer setzen. Was ist von dem Allen in Erfüllung gegangen? Ich werde auf die Verhältnisse des Burgtheaters in einem ausführlichen Artikel zurückkommen. Einen armen Teufel von Poeten, einen jungen neunzehnjährigen Menschen, Namens Eckart, haben sie auf „Polenlieder" erwischt, die er an Hoffmann und Campe abschickte Die Worte Polen und Hoffmann und Campe sind, namentlich im Zusammenhange, arge Dissonanzen in den Ohren unserer Polizei*). Indessen muß grade die Naivetät des jungen Menschen, der so was unverholen auf die Post gibt, schon für seine Naivetäten sprechen. Es ist ein kleiner närrischer Kauz, dieser Eckart. Er hat die Friedhofssage zu einem Trauerspiele verarbeitet und hat auf dem Titel drucken lassen: „Dem größten deutschen Mimen, Ludwig Löwe, gewidmet." In diesem ersten Opus hat er sogleich ein ganz neues orthographisches System eingeführt, so daß man das Stück kaum zu Ende lesen kann, weil die Worte in ihrer sonderbaren orthographischen Jacke auf- und abspringen und den Leser schwindlig machen. Wir hoffen, unsere Polizei wird sich nicht noch so weit blamiren, daß sie diesem jun¬ gen ungefährlichen Menschen allen Ernstes einen Proceß macht. Er soll auch bereits aus freien Fuß gestellt worden sein. Die Red. Verlag von Fr. Ludw. Herbig. — Redacteur I. Kuranda. Druck von Friedrich Andrä. *) Die deutsche allgemeine Zeitung bringt so eben folgende Erklärung von Herrn Otto Wiegcmd - Erklärung. Die Deutsche Allgemeine Zeitung vom 31. März d. I. hat in der Form eines k. k. Hofdecrets eine Mittheilung gebracht, welche das Verbot meines ganzen Verlages in den gesammte» österreichischen Staaten enthielt. Diese Nachricht rief von mir in demselben Blatte vom 1. April eine öffentliche „vorläufige Erklärung" hervor. Es hat sich in¬ dessen herausgestellt, daß ein k. k. Publicandum erwähnten In¬ halts im Bereiche der österreichischen Staaten nicht erschienen ist. Unter diesen Umständen nehme ich meine „vorläufige Erklä¬ rung" hiermit öffentlich zurück. Leipzig am 12. Mai 184«. OttoWigand. Der ganze Erlaß der österreichischen Censurbehörde gegen die Herren Wi- gand und Reclam, den die Deutsche Allg. Zeitung im Texte mittheilte, wäre also eine bloße Mystifikation gewesen ! Wir erwarten nähere Aufschlüsse.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_365120/280>, abgerufen am 24.11.2024.