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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. II. Band.

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knapp-bürgerlichen Existenz zu bringen und, von seinem Kohlgarten
aus, glaubt er sich dann berufen, einem Volke seine Gegenwart zu
schildern. Natürlich kann nichts Rechtes daraus werden und wir
erhalten in unsern Romanen entweder phantastische Philistereien, an
denen sich nur noch Kammerdiener und Grisetten amüsiren mögen, oder
abstracte Tendenzen, die hinter dem Ofen von der Lebensunfähigkeit
ausgeheckt worden sind. Selbst unsere besten Romane wissen uns nichts
Anderes zu geben, als einen schwachen Schatten, als einen unsichern
Abglanz unseres mißlichen Lebens, untermengt mit unmöglichen Zu¬
ständen, launigen Träumereien, grellen und unklaren Phantasien, in
denen sich nur die vorgefaßte Ansicht des Lebens, wie sie sich in der
Einbildungskraft des vereinsamten Dichters entwickelt, geltend macht
und die aller realen Grundlage, aller Wirklichkeit, aller Wahrheit ent¬
behren. Wenn unsere Romanschriftsteller nicht leben, sondern nur
stumpffinnig hinbrüten oder phantastisch schwärmen oder philosophisch
erperimentiren wollen, so werden sie auch nicht schreiben können, wie
geschrieben werden muß, um die Theilnahme, um die Befriedigung
eines Volkes zu gewinnen. Je größer die Oede und die Lebensun-
fähigkeit unserer deutschen Romane im Allgemeinen ist, um so größere
Theilnahme und Anerkennung wird aber der Verfasser des "Armin
Galoor" verdienen, da er durch sein neuestes Product den Beweis
liefert, daß die richtige Auffassung der Zeit, ihrer Zustände und der
sich in ihnen entwickelnden Individualitäten nicht ein ausschließlicher
Vorzug der französischen und englischen Nomanliteratur ist, sondern
daß auch deutsche Schriftsteller darin mit ihnen zu wetteifern und sie
wohl gar durch die Erhebung der Wirklichkeit in die Fassung voller
Poesie, zu übertreffen vermögen, wenn sie eben nur leben, wirklich leben
und die Zustände erst durchkämpfen wollen und an sich herankommen
lassen, bevor sie dieselben darzustellen gedenken.

Die Fabel, welche dem Romane zum Grunde liegt, ist ziemlich
einfach gehalten, der Held desselben ist mehr eine passive, als eine
active Gestalt, er wird erst in das rechte Licht gebracht durch die Per¬
sönlichkeiten, mit denen er in Berührung kommt. Wir sehen in dem
Helden einen jungen Maler vor uns, der, unbekannt mit seiner Ge¬
burt, das Geheimniß derselben zu enträthseln sucht und, von Ahnun¬
gen und Vermuthungen getrieben, in den höchsten Gesellschaftskreisen
den Schlüssel zu finden glaubt. Er bewegt sich deshalb in einer deut¬
schen Resivenz unter der Il-uit"- volve, in den Cirkeln des Hofes und
wird es endlich, aber zu spät gewahr, daß man nur ein listig berech-


knapp-bürgerlichen Existenz zu bringen und, von seinem Kohlgarten
aus, glaubt er sich dann berufen, einem Volke seine Gegenwart zu
schildern. Natürlich kann nichts Rechtes daraus werden und wir
erhalten in unsern Romanen entweder phantastische Philistereien, an
denen sich nur noch Kammerdiener und Grisetten amüsiren mögen, oder
abstracte Tendenzen, die hinter dem Ofen von der Lebensunfähigkeit
ausgeheckt worden sind. Selbst unsere besten Romane wissen uns nichts
Anderes zu geben, als einen schwachen Schatten, als einen unsichern
Abglanz unseres mißlichen Lebens, untermengt mit unmöglichen Zu¬
ständen, launigen Träumereien, grellen und unklaren Phantasien, in
denen sich nur die vorgefaßte Ansicht des Lebens, wie sie sich in der
Einbildungskraft des vereinsamten Dichters entwickelt, geltend macht
und die aller realen Grundlage, aller Wirklichkeit, aller Wahrheit ent¬
behren. Wenn unsere Romanschriftsteller nicht leben, sondern nur
stumpffinnig hinbrüten oder phantastisch schwärmen oder philosophisch
erperimentiren wollen, so werden sie auch nicht schreiben können, wie
geschrieben werden muß, um die Theilnahme, um die Befriedigung
eines Volkes zu gewinnen. Je größer die Oede und die Lebensun-
fähigkeit unserer deutschen Romane im Allgemeinen ist, um so größere
Theilnahme und Anerkennung wird aber der Verfasser des „Armin
Galoor" verdienen, da er durch sein neuestes Product den Beweis
liefert, daß die richtige Auffassung der Zeit, ihrer Zustände und der
sich in ihnen entwickelnden Individualitäten nicht ein ausschließlicher
Vorzug der französischen und englischen Nomanliteratur ist, sondern
daß auch deutsche Schriftsteller darin mit ihnen zu wetteifern und sie
wohl gar durch die Erhebung der Wirklichkeit in die Fassung voller
Poesie, zu übertreffen vermögen, wenn sie eben nur leben, wirklich leben
und die Zustände erst durchkämpfen wollen und an sich herankommen
lassen, bevor sie dieselben darzustellen gedenken.

Die Fabel, welche dem Romane zum Grunde liegt, ist ziemlich
einfach gehalten, der Held desselben ist mehr eine passive, als eine
active Gestalt, er wird erst in das rechte Licht gebracht durch die Per¬
sönlichkeiten, mit denen er in Berührung kommt. Wir sehen in dem
Helden einen jungen Maler vor uns, der, unbekannt mit seiner Ge¬
burt, das Geheimniß derselben zu enträthseln sucht und, von Ahnun¬
gen und Vermuthungen getrieben, in den höchsten Gesellschaftskreisen
den Schlüssel zu finden glaubt. Er bewegt sich deshalb in einer deut¬
schen Resivenz unter der Il-uit«- volve, in den Cirkeln des Hofes und
wird es endlich, aber zu spät gewahr, daß man nur ein listig berech-


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[0264] knapp-bürgerlichen Existenz zu bringen und, von seinem Kohlgarten aus, glaubt er sich dann berufen, einem Volke seine Gegenwart zu schildern. Natürlich kann nichts Rechtes daraus werden und wir erhalten in unsern Romanen entweder phantastische Philistereien, an denen sich nur noch Kammerdiener und Grisetten amüsiren mögen, oder abstracte Tendenzen, die hinter dem Ofen von der Lebensunfähigkeit ausgeheckt worden sind. Selbst unsere besten Romane wissen uns nichts Anderes zu geben, als einen schwachen Schatten, als einen unsichern Abglanz unseres mißlichen Lebens, untermengt mit unmöglichen Zu¬ ständen, launigen Träumereien, grellen und unklaren Phantasien, in denen sich nur die vorgefaßte Ansicht des Lebens, wie sie sich in der Einbildungskraft des vereinsamten Dichters entwickelt, geltend macht und die aller realen Grundlage, aller Wirklichkeit, aller Wahrheit ent¬ behren. Wenn unsere Romanschriftsteller nicht leben, sondern nur stumpffinnig hinbrüten oder phantastisch schwärmen oder philosophisch erperimentiren wollen, so werden sie auch nicht schreiben können, wie geschrieben werden muß, um die Theilnahme, um die Befriedigung eines Volkes zu gewinnen. Je größer die Oede und die Lebensun- fähigkeit unserer deutschen Romane im Allgemeinen ist, um so größere Theilnahme und Anerkennung wird aber der Verfasser des „Armin Galoor" verdienen, da er durch sein neuestes Product den Beweis liefert, daß die richtige Auffassung der Zeit, ihrer Zustände und der sich in ihnen entwickelnden Individualitäten nicht ein ausschließlicher Vorzug der französischen und englischen Nomanliteratur ist, sondern daß auch deutsche Schriftsteller darin mit ihnen zu wetteifern und sie wohl gar durch die Erhebung der Wirklichkeit in die Fassung voller Poesie, zu übertreffen vermögen, wenn sie eben nur leben, wirklich leben und die Zustände erst durchkämpfen wollen und an sich herankommen lassen, bevor sie dieselben darzustellen gedenken. Die Fabel, welche dem Romane zum Grunde liegt, ist ziemlich einfach gehalten, der Held desselben ist mehr eine passive, als eine active Gestalt, er wird erst in das rechte Licht gebracht durch die Per¬ sönlichkeiten, mit denen er in Berührung kommt. Wir sehen in dem Helden einen jungen Maler vor uns, der, unbekannt mit seiner Ge¬ burt, das Geheimniß derselben zu enträthseln sucht und, von Ahnun¬ gen und Vermuthungen getrieben, in den höchsten Gesellschaftskreisen den Schlüssel zu finden glaubt. Er bewegt sich deshalb in einer deut¬ schen Resivenz unter der Il-uit«- volve, in den Cirkeln des Hofes und wird es endlich, aber zu spät gewahr, daß man nur ein listig berech-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_365120/264>, abgerufen am 24.11.2024.