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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. II. Band.

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auch ein recht buntes Stück Welt in einem Romane bekommen. Es
muß recht merkwürdig zugehen und, wie die Bourgeoisie sich selber
nach oben und unten hin ausdehnt, so darf der Romandichter auch
nach oben und unten hin seine Farben verreiben. Nur eins darf der
Dichter nicht, er darf nicht, wenn er für die Bourgeoisie Romane
schreiben will, zum Denken anregen wollen; kann er nicht denken, so
steht er sich dabei am besten. Seine Motive müssen nicht sein ge¬
sponnen sein, sondern wo möglich die Dicke eines Schiffstau'ö erhal¬
ten, es werden keine Charaktere verlangt, sondern nur frappante Mas¬
ken, psychologische Kunst wird nicht in Anspruch genommen, sondern
nur ein dicker Pinsel, die Darstellung der Geschichte darf in rohe De¬
korationsmalerei ausarten. Das befriedigt das Romangelüste un¬
serer Bourgeoisie. Je praktischer und egoistischer die Bourgeoisie im
Leben ist, um so mehr liebt sie im Romane die Sentimentalität und
die Romantik, je engherziger sie sich in die Gesellschaft hineinstellt, um
so lieber hat sie es, wenn es in ihren Romanen recht bunt und auf¬
fallend hergeht. Wir sind also auch hier in einer ständischen Sphäre
und es gibt genug, die das Gelüste dieser ständischen Sphäre zu be¬
friedigen suchen. Hat sich so ein Romanschriftsteller für unsere Bour¬
geoisie in die Leihbibliotheken hineingearbeitet und läßt er sich dort
käuei: und widerkäuen, so wird er bald der Meinung sein, daß er ein Mann
der Nation geworden, während er allzuhäufig nur von der Geschmack¬
losigkeit und der Rohheit eines vielberechtigten und weitgreifenden Standes
getragen wird. Mit einem Bischen Erfindung, mit einem Bischen Dekora¬
tionsmalerei, mit etwas Romantik, Sentimentalität und Gedankenlo¬
sigkeit kann man in der deutschen Romanliteratur ein Mann der Bour¬
geoisie werden und wenn es hier darauf ankäme, so würden wir hier
manchen von denen, der, durch den rohen Lesetrieb der Bourgeosie
begünstigt, sich für einen bedeutenden, auf die Nation wirkenden Ro¬
mandichter hält, auf seinen wahren Werth zurückführen können. Wir
werden uns diese Arbeit indeß bis zu einer andern Gelegenheit vor¬
behalten.

Mit der weiteren Ausbreitung der modernen Socialtheorien und
überhaupt mit dem wachsenden Interesse an den socialen Zuständen,
mit der steigenden Theilnahme an dem Loose -der "arbeitenden Klassen",
hat sich allmälig in neuerer Zeit eine Romanliteratm für das "Volk"
gebildet. Diese Literatur ist aber von der früheren Volksliteratur, von
der Literaten der Haimonskinder, des Eulenspiegels u. s. w. himmelweit


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auch ein recht buntes Stück Welt in einem Romane bekommen. Es
muß recht merkwürdig zugehen und, wie die Bourgeoisie sich selber
nach oben und unten hin ausdehnt, so darf der Romandichter auch
nach oben und unten hin seine Farben verreiben. Nur eins darf der
Dichter nicht, er darf nicht, wenn er für die Bourgeoisie Romane
schreiben will, zum Denken anregen wollen; kann er nicht denken, so
steht er sich dabei am besten. Seine Motive müssen nicht sein ge¬
sponnen sein, sondern wo möglich die Dicke eines Schiffstau'ö erhal¬
ten, es werden keine Charaktere verlangt, sondern nur frappante Mas¬
ken, psychologische Kunst wird nicht in Anspruch genommen, sondern
nur ein dicker Pinsel, die Darstellung der Geschichte darf in rohe De¬
korationsmalerei ausarten. Das befriedigt das Romangelüste un¬
serer Bourgeoisie. Je praktischer und egoistischer die Bourgeoisie im
Leben ist, um so mehr liebt sie im Romane die Sentimentalität und
die Romantik, je engherziger sie sich in die Gesellschaft hineinstellt, um
so lieber hat sie es, wenn es in ihren Romanen recht bunt und auf¬
fallend hergeht. Wir sind also auch hier in einer ständischen Sphäre
und es gibt genug, die das Gelüste dieser ständischen Sphäre zu be¬
friedigen suchen. Hat sich so ein Romanschriftsteller für unsere Bour¬
geoisie in die Leihbibliotheken hineingearbeitet und läßt er sich dort
käuei: und widerkäuen, so wird er bald der Meinung sein, daß er ein Mann
der Nation geworden, während er allzuhäufig nur von der Geschmack¬
losigkeit und der Rohheit eines vielberechtigten und weitgreifenden Standes
getragen wird. Mit einem Bischen Erfindung, mit einem Bischen Dekora¬
tionsmalerei, mit etwas Romantik, Sentimentalität und Gedankenlo¬
sigkeit kann man in der deutschen Romanliteratur ein Mann der Bour¬
geoisie werden und wenn es hier darauf ankäme, so würden wir hier
manchen von denen, der, durch den rohen Lesetrieb der Bourgeosie
begünstigt, sich für einen bedeutenden, auf die Nation wirkenden Ro¬
mandichter hält, auf seinen wahren Werth zurückführen können. Wir
werden uns diese Arbeit indeß bis zu einer andern Gelegenheit vor¬
behalten.

Mit der weiteren Ausbreitung der modernen Socialtheorien und
überhaupt mit dem wachsenden Interesse an den socialen Zuständen,
mit der steigenden Theilnahme an dem Loose -der „arbeitenden Klassen",
hat sich allmälig in neuerer Zeit eine Romanliteratm für das „Volk"
gebildet. Diese Literatur ist aber von der früheren Volksliteratur, von
der Literaten der Haimonskinder, des Eulenspiegels u. s. w. himmelweit


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_365120/259>, abgerufen am 24.11.2024.