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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. II. Band.

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Geistes, der nur in der Arbeit der Befreiung sein Glück und
seinen Genuß findet? warum sagt er nicht, daß Befreiung, theoretisch
angesehen, Erkenntniß, praktisch angesehen, Arbeit ist? warum? es fehlt
den Franzosen die logische Arbeit, die, nur dürfen es sagen, die Deut¬
schen ausgeführt haben, es fehlt die Erklärung der Religion, ihres
Begriffs und ihrer Geschichte; und selbst ein so klarer Kopf, wie
Comte, der die Philosophie in die Systematisirung der positiven Wissen¬
schaften aufhebt, läßt die Religion nur zur Seite. Dasselbe thut
der französische Staat, und der Katholicismus wuchert nun als Schma¬
rotzerpflanze auf ihm fort."

An Atheismus fehlt eS in Frankreich nicht, aber dies ist eben,
meint Ruge, der Fehler: die Irreligiosität ist noch mit der Religion
behaftet, oder muß sie doch neben sich bestehen lassen; die Vernichtung
der Religiosität, der Gebmidenheit wäre erst, wenn man die Religion
als nichtig erkannt hätte und in gar keinem Conflict mehr mit ihr
verwickelt wäre. "Der Atheismus ist so religiös wie Jacob, der mit
Gott ringt, der Atheist nicht freier, als ein Jude, der Schinken ißt,
oder ein Muhammedaner, der Wein trinkt.... Frei wird man von einer
Religion, wenn man sie vergißt, oder wenn man sie wie ein Theore¬
tiker betrachtet und ergründet." (D. h. wenn man sie nicht, wie Ar¬
nold Rüge thut, mit Schimpfwörtern belegt, für Absurdität erklärt
u. tgi.) "Die freieste Bildung unserer Zeit ist nicht die, welche bei
Empörung gegen die Vorzeit und ihre Götzen stehen bleibt, sondern
die Ausprägung des eigenen humanen Gehaltes in Sitten, Kunst¬
werken und Thaten."

(Schluß folgt im nächste" Hast,)




Geistes, der nur in der Arbeit der Befreiung sein Glück und
seinen Genuß findet? warum sagt er nicht, daß Befreiung, theoretisch
angesehen, Erkenntniß, praktisch angesehen, Arbeit ist? warum? es fehlt
den Franzosen die logische Arbeit, die, nur dürfen es sagen, die Deut¬
schen ausgeführt haben, es fehlt die Erklärung der Religion, ihres
Begriffs und ihrer Geschichte; und selbst ein so klarer Kopf, wie
Comte, der die Philosophie in die Systematisirung der positiven Wissen¬
schaften aufhebt, läßt die Religion nur zur Seite. Dasselbe thut
der französische Staat, und der Katholicismus wuchert nun als Schma¬
rotzerpflanze auf ihm fort."

An Atheismus fehlt eS in Frankreich nicht, aber dies ist eben,
meint Ruge, der Fehler: die Irreligiosität ist noch mit der Religion
behaftet, oder muß sie doch neben sich bestehen lassen; die Vernichtung
der Religiosität, der Gebmidenheit wäre erst, wenn man die Religion
als nichtig erkannt hätte und in gar keinem Conflict mehr mit ihr
verwickelt wäre. „Der Atheismus ist so religiös wie Jacob, der mit
Gott ringt, der Atheist nicht freier, als ein Jude, der Schinken ißt,
oder ein Muhammedaner, der Wein trinkt.... Frei wird man von einer
Religion, wenn man sie vergißt, oder wenn man sie wie ein Theore¬
tiker betrachtet und ergründet." (D. h. wenn man sie nicht, wie Ar¬
nold Rüge thut, mit Schimpfwörtern belegt, für Absurdität erklärt
u. tgi.) „Die freieste Bildung unserer Zeit ist nicht die, welche bei
Empörung gegen die Vorzeit und ihre Götzen stehen bleibt, sondern
die Ausprägung des eigenen humanen Gehaltes in Sitten, Kunst¬
werken und Thaten."

(Schluß folgt im nächste» Hast,)




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[0246] Geistes, der nur in der Arbeit der Befreiung sein Glück und seinen Genuß findet? warum sagt er nicht, daß Befreiung, theoretisch angesehen, Erkenntniß, praktisch angesehen, Arbeit ist? warum? es fehlt den Franzosen die logische Arbeit, die, nur dürfen es sagen, die Deut¬ schen ausgeführt haben, es fehlt die Erklärung der Religion, ihres Begriffs und ihrer Geschichte; und selbst ein so klarer Kopf, wie Comte, der die Philosophie in die Systematisirung der positiven Wissen¬ schaften aufhebt, läßt die Religion nur zur Seite. Dasselbe thut der französische Staat, und der Katholicismus wuchert nun als Schma¬ rotzerpflanze auf ihm fort." An Atheismus fehlt eS in Frankreich nicht, aber dies ist eben, meint Ruge, der Fehler: die Irreligiosität ist noch mit der Religion behaftet, oder muß sie doch neben sich bestehen lassen; die Vernichtung der Religiosität, der Gebmidenheit wäre erst, wenn man die Religion als nichtig erkannt hätte und in gar keinem Conflict mehr mit ihr verwickelt wäre. „Der Atheismus ist so religiös wie Jacob, der mit Gott ringt, der Atheist nicht freier, als ein Jude, der Schinken ißt, oder ein Muhammedaner, der Wein trinkt.... Frei wird man von einer Religion, wenn man sie vergißt, oder wenn man sie wie ein Theore¬ tiker betrachtet und ergründet." (D. h. wenn man sie nicht, wie Ar¬ nold Rüge thut, mit Schimpfwörtern belegt, für Absurdität erklärt u. tgi.) „Die freieste Bildung unserer Zeit ist nicht die, welche bei Empörung gegen die Vorzeit und ihre Götzen stehen bleibt, sondern die Ausprägung des eigenen humanen Gehaltes in Sitten, Kunst¬ werken und Thaten." (Schluß folgt im nächste» Hast,)

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_365120/246>, abgerufen am 23.07.2024.