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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. II. Band.

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hemmte Entwickelung der Wissenschaft und des Lebens beabsichtigen
und befördern."

Diese Zustände ließen denn naturgemäß, meint Rüge, keine andere
Art Befreiung zu, als eine solche, die in Gedanken vor sich gehen
mußte. "Sollte eine Befreiung vor sich gehen -- und sie war drin¬
gend nöthig --, so mußte vor allen Dingen der Kopf der deutschen
Gesellschaft sich aus deu Schlingen des Dienstes und aus dem Bann
der Theologie befreien, zumal in einem Lande, wo alles Gewicht auf
die Wissenschaft gelegt und alle Freiheit nur in ihr gesucht wurde.
Dies ist in der letzten Zeit geschehen. Die Freiheit der neuen Wissen¬
schaft und Kunst in Deutschland, besteht in der Los lohn ng der
Schriftsteller vom Hof- und Staatsdienst und in der Kri¬
tik der ganzen bisherigen Theorie, deren populäre Form das Chri¬
stenthum, die wissenschaftliche das Hegel'sche System ist. Diese Be¬
freiung ist allmälig vor sich gegangen und noch im Werke." Die
Befreier sind Strauß, Bruno Bauer, Feuerbach, die Ruge'schen Jahr¬
bücher u. s. "v.

Inzwischen hätten die Franzosen, welche das theoretische Vefrei-
, ungswerk nach der großen Revolution liegen ließen, eine andere Art
Kritik zu vollziehen unternommen, nämlich die Kritik der Societät;
eine Kritik (besonders durch Fourier), die, sagt Ruge, als Kritik eben¬
so berechtigt ist, wie die Kritik der Theorie in Deutschland; nur die
socialistischen Secten, welche in Folge der französischen socialen Kri¬
tik sogleich entstanden, erklärter für "voreilig und beschränkt." Seltsam,
die praktischen Franzosen haben also ihr Bestes in Ruge'S Augen auch
wieder nur mittelst einer theoretischen Kritik der Societät geleistet
und praktischer Weise nur bornirte und voreilige Arbeit gemacht.

Das verschlägt aber nichts: die praktische Befreiung wird glücken,
hofft Ruge, sobald nur die Franzosen, außer der von ihnen ausge-
führten theoretischen Kritik der Praris (der Societät) auch noch die
theoretische Kritik der Theorie (der Religion) von den Deutschen sich
angeeignet haben werden. Daß sie noch bis über die Ohren in der
Religiosität stecken, das ist, nach Ruge's Meinung, das Hinderniß der
vollendeten Befreiung und Humanisinmg. Da ist z. B. Quinet, wel¬
cher "die Religion der Freiheit" verkündigt; Alles vortrefflich! sagt
Rüge, aber er ärgert sich doch an Quinet: "warum," rüst er, "warum
spricht Quinet das Princip der neuen Zeit nicht ans? warum
sagt er nicht, die Menschheit ist nicht die Kirche, die Religion der
Freiheit ist keine Religion, sie ist der Aufschwung des edeln


hemmte Entwickelung der Wissenschaft und des Lebens beabsichtigen
und befördern."

Diese Zustände ließen denn naturgemäß, meint Rüge, keine andere
Art Befreiung zu, als eine solche, die in Gedanken vor sich gehen
mußte. „Sollte eine Befreiung vor sich gehen — und sie war drin¬
gend nöthig —, so mußte vor allen Dingen der Kopf der deutschen
Gesellschaft sich aus deu Schlingen des Dienstes und aus dem Bann
der Theologie befreien, zumal in einem Lande, wo alles Gewicht auf
die Wissenschaft gelegt und alle Freiheit nur in ihr gesucht wurde.
Dies ist in der letzten Zeit geschehen. Die Freiheit der neuen Wissen¬
schaft und Kunst in Deutschland, besteht in der Los lohn ng der
Schriftsteller vom Hof- und Staatsdienst und in der Kri¬
tik der ganzen bisherigen Theorie, deren populäre Form das Chri¬
stenthum, die wissenschaftliche das Hegel'sche System ist. Diese Be¬
freiung ist allmälig vor sich gegangen und noch im Werke." Die
Befreier sind Strauß, Bruno Bauer, Feuerbach, die Ruge'schen Jahr¬
bücher u. s. »v.

Inzwischen hätten die Franzosen, welche das theoretische Vefrei-
, ungswerk nach der großen Revolution liegen ließen, eine andere Art
Kritik zu vollziehen unternommen, nämlich die Kritik der Societät;
eine Kritik (besonders durch Fourier), die, sagt Ruge, als Kritik eben¬
so berechtigt ist, wie die Kritik der Theorie in Deutschland; nur die
socialistischen Secten, welche in Folge der französischen socialen Kri¬
tik sogleich entstanden, erklärter für „voreilig und beschränkt." Seltsam,
die praktischen Franzosen haben also ihr Bestes in Ruge'S Augen auch
wieder nur mittelst einer theoretischen Kritik der Societät geleistet
und praktischer Weise nur bornirte und voreilige Arbeit gemacht.

Das verschlägt aber nichts: die praktische Befreiung wird glücken,
hofft Ruge, sobald nur die Franzosen, außer der von ihnen ausge-
führten theoretischen Kritik der Praris (der Societät) auch noch die
theoretische Kritik der Theorie (der Religion) von den Deutschen sich
angeeignet haben werden. Daß sie noch bis über die Ohren in der
Religiosität stecken, das ist, nach Ruge's Meinung, das Hinderniß der
vollendeten Befreiung und Humanisinmg. Da ist z. B. Quinet, wel¬
cher „die Religion der Freiheit" verkündigt; Alles vortrefflich! sagt
Rüge, aber er ärgert sich doch an Quinet: „warum," rüst er, „warum
spricht Quinet das Princip der neuen Zeit nicht ans? warum
sagt er nicht, die Menschheit ist nicht die Kirche, die Religion der
Freiheit ist keine Religion, sie ist der Aufschwung des edeln


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[0245] hemmte Entwickelung der Wissenschaft und des Lebens beabsichtigen und befördern." Diese Zustände ließen denn naturgemäß, meint Rüge, keine andere Art Befreiung zu, als eine solche, die in Gedanken vor sich gehen mußte. „Sollte eine Befreiung vor sich gehen — und sie war drin¬ gend nöthig —, so mußte vor allen Dingen der Kopf der deutschen Gesellschaft sich aus deu Schlingen des Dienstes und aus dem Bann der Theologie befreien, zumal in einem Lande, wo alles Gewicht auf die Wissenschaft gelegt und alle Freiheit nur in ihr gesucht wurde. Dies ist in der letzten Zeit geschehen. Die Freiheit der neuen Wissen¬ schaft und Kunst in Deutschland, besteht in der Los lohn ng der Schriftsteller vom Hof- und Staatsdienst und in der Kri¬ tik der ganzen bisherigen Theorie, deren populäre Form das Chri¬ stenthum, die wissenschaftliche das Hegel'sche System ist. Diese Be¬ freiung ist allmälig vor sich gegangen und noch im Werke." Die Befreier sind Strauß, Bruno Bauer, Feuerbach, die Ruge'schen Jahr¬ bücher u. s. »v. Inzwischen hätten die Franzosen, welche das theoretische Vefrei- , ungswerk nach der großen Revolution liegen ließen, eine andere Art Kritik zu vollziehen unternommen, nämlich die Kritik der Societät; eine Kritik (besonders durch Fourier), die, sagt Ruge, als Kritik eben¬ so berechtigt ist, wie die Kritik der Theorie in Deutschland; nur die socialistischen Secten, welche in Folge der französischen socialen Kri¬ tik sogleich entstanden, erklärter für „voreilig und beschränkt." Seltsam, die praktischen Franzosen haben also ihr Bestes in Ruge'S Augen auch wieder nur mittelst einer theoretischen Kritik der Societät geleistet und praktischer Weise nur bornirte und voreilige Arbeit gemacht. Das verschlägt aber nichts: die praktische Befreiung wird glücken, hofft Ruge, sobald nur die Franzosen, außer der von ihnen ausge- führten theoretischen Kritik der Praris (der Societät) auch noch die theoretische Kritik der Theorie (der Religion) von den Deutschen sich angeeignet haben werden. Daß sie noch bis über die Ohren in der Religiosität stecken, das ist, nach Ruge's Meinung, das Hinderniß der vollendeten Befreiung und Humanisinmg. Da ist z. B. Quinet, wel¬ cher „die Religion der Freiheit" verkündigt; Alles vortrefflich! sagt Rüge, aber er ärgert sich doch an Quinet: „warum," rüst er, „warum spricht Quinet das Princip der neuen Zeit nicht ans? warum sagt er nicht, die Menschheit ist nicht die Kirche, die Religion der Freiheit ist keine Religion, sie ist der Aufschwung des edeln

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_365120/245>, abgerufen am 28.11.2024.