Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. II. Band.letzten zehn Jahre (Ueber die neueste deutsche Philosophie)", welchen Ruge's Standpunkt, wie sehr ihn die Mehrzahl als einen mate¬ letzten zehn Jahre (Ueber die neueste deutsche Philosophie)", welchen Ruge's Standpunkt, wie sehr ihn die Mehrzahl als einen mate¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0242" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/182665"/> <p xml:id="ID_678" prev="#ID_677"> letzten zehn Jahre (Ueber die neueste deutsche Philosophie)", welchen<lb/> er dem Franzosen, von welchem die eben erwähnten entgegenkommen¬<lb/> den Aeußerungen herrühren, überschrieben hat. Der Aufsatz ist vom<lb/> Februar 1845. „Vielleicht gelingt es mir," sagt Ruge in der Einlei¬<lb/> tung, „so deutlich, so faßlich und so gedrängt zuschreiben, als eS die<lb/> Franzosen verlangen. Lassen Sie sich also in der Kürze die Memoi¬<lb/> ren der deutschen Philosophie unserer Zeit, wie ich ihre<lb/> Entwickelung mit erlebt habe, vortragen. Ich schreibe nicht aus einer<lb/> Bibliothek in die andere. Mir sind die Bücher geläufig, ohne daß ich<lb/> zu ihnen zurückkehre, und die Autoren stehen mir lebendig vor Augen.<lb/> Ich hoffe, daß dieses Verhältniß ein günstiges ist." In der That möchte<lb/> dieser Aussatz auch dem großem Theile unseres deutschen Publicums eine<lb/> Uebersicht dieser „deutschen Philosophie unserer Zeit" oder vielmehr die¬<lb/> ser „Kritik der Theologie" ihrem bisherigen Verlaufe nach, in erwünsch¬<lb/> ter, faßlicher Weise gewähren können. Hier soll uns derselbe vorzüg¬<lb/> lich nur insofern dienen, als er zur Charakterisirung des Ruge'schen<lb/> Standpunktes beiträgt. Erst durch diese Charakteristik wird eS sich<lb/> vollkommen anschaulich machen lassen, wie Ruge zu dem Gedanken<lb/> einer Vermittlung deö deutschen und französischen Geistes, nicht blos<lb/> durch die schon erwähnte äußere Veranlassung, sondern anch innerlich<lb/> in Folge seiner ganzen Denkweise kam und wie er sich diese Vermitt¬<lb/> lung vorstellte.</p><lb/> <p xml:id="ID_679" next="#ID_680"> Ruge's Standpunkt, wie sehr ihn die Mehrzahl als einen mate¬<lb/> rialistischen und unmoralischen bezeichnen mag, ist durch und durch ein<lb/> idealistischer und ein sittlicher; wie jeder sittliche Standpunkt, macht<lb/> auch der seinige den schärfsten Unterschied zwischen Gut und Böse.<lb/> Geschichtliche Erscheinungen, Charaktere, Alles rnbricirt Ruge als ent¬<lb/> weder gut oder böse, entweder „nobel" oder „niederträchtig"; das eine<lb/> ist das Liebenswerthe, das andere das Hasscnswerthe, dein guten Prin¬<lb/> cipe zu dienen ist des Menschen Ehre und Glückseligkeit, dein Bösen<lb/> zu dienen, muß man „sich schämen"; ausdrücklich bezeichnet Rüge Die¬<lb/> jenigen, welche er von dem feindseligen, seinem Princip entgegengesetz¬<lb/> ten Princip beherrscht findet, als „schamlose Menschen". „In der<lb/> Geschichte," sagt er, „ist der Kampf der nobeln und der niederträchti¬<lb/> gen Charaktere ein ewig erneuter." Mit solchen Stichwörtern, nobel,<lb/> niederträchtig, fertigt er die Geschichte ab; er meint die Dinge erklärt,<lb/> geschildert zu haben, wenn er ihnen den Ehren- oder Schandtitel an¬<lb/> gehängt hat. Was nicht den Stempel des in Ruge's Sinne Freien<lb/> oder Guten verträgt, ist ihm ohne Weiteres „absurde": „Die ganze</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0242]
letzten zehn Jahre (Ueber die neueste deutsche Philosophie)", welchen
er dem Franzosen, von welchem die eben erwähnten entgegenkommen¬
den Aeußerungen herrühren, überschrieben hat. Der Aufsatz ist vom
Februar 1845. „Vielleicht gelingt es mir," sagt Ruge in der Einlei¬
tung, „so deutlich, so faßlich und so gedrängt zuschreiben, als eS die
Franzosen verlangen. Lassen Sie sich also in der Kürze die Memoi¬
ren der deutschen Philosophie unserer Zeit, wie ich ihre
Entwickelung mit erlebt habe, vortragen. Ich schreibe nicht aus einer
Bibliothek in die andere. Mir sind die Bücher geläufig, ohne daß ich
zu ihnen zurückkehre, und die Autoren stehen mir lebendig vor Augen.
Ich hoffe, daß dieses Verhältniß ein günstiges ist." In der That möchte
dieser Aussatz auch dem großem Theile unseres deutschen Publicums eine
Uebersicht dieser „deutschen Philosophie unserer Zeit" oder vielmehr die¬
ser „Kritik der Theologie" ihrem bisherigen Verlaufe nach, in erwünsch¬
ter, faßlicher Weise gewähren können. Hier soll uns derselbe vorzüg¬
lich nur insofern dienen, als er zur Charakterisirung des Ruge'schen
Standpunktes beiträgt. Erst durch diese Charakteristik wird eS sich
vollkommen anschaulich machen lassen, wie Ruge zu dem Gedanken
einer Vermittlung deö deutschen und französischen Geistes, nicht blos
durch die schon erwähnte äußere Veranlassung, sondern anch innerlich
in Folge seiner ganzen Denkweise kam und wie er sich diese Vermitt¬
lung vorstellte.
Ruge's Standpunkt, wie sehr ihn die Mehrzahl als einen mate¬
rialistischen und unmoralischen bezeichnen mag, ist durch und durch ein
idealistischer und ein sittlicher; wie jeder sittliche Standpunkt, macht
auch der seinige den schärfsten Unterschied zwischen Gut und Böse.
Geschichtliche Erscheinungen, Charaktere, Alles rnbricirt Ruge als ent¬
weder gut oder böse, entweder „nobel" oder „niederträchtig"; das eine
ist das Liebenswerthe, das andere das Hasscnswerthe, dein guten Prin¬
cipe zu dienen ist des Menschen Ehre und Glückseligkeit, dein Bösen
zu dienen, muß man „sich schämen"; ausdrücklich bezeichnet Rüge Die¬
jenigen, welche er von dem feindseligen, seinem Princip entgegengesetz¬
ten Princip beherrscht findet, als „schamlose Menschen". „In der
Geschichte," sagt er, „ist der Kampf der nobeln und der niederträchti¬
gen Charaktere ein ewig erneuter." Mit solchen Stichwörtern, nobel,
niederträchtig, fertigt er die Geschichte ab; er meint die Dinge erklärt,
geschildert zu haben, wenn er ihnen den Ehren- oder Schandtitel an¬
gehängt hat. Was nicht den Stempel des in Ruge's Sinne Freien
oder Guten verträgt, ist ihm ohne Weiteres „absurde": „Die ganze
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