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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. II. Band.

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krieg. Sie fochten für die Sache des Mittelalters wie immer ....
Deutschland befreien, das ist jetzt auch dem Blödester klar, heißt Deutsch¬
land von sich selbst befreien . . . Die Franzosen müssen es nehmen,
damit die Russell es nicht behalten."

So weit nun, um das deutsche Gebiet den Franzosen zu über-
liefern, wie !),-. Pollio's patriotischer Zorn, geht der Ruge'sche nicht;
diese Gebietsfrage ist überhaupt in Ruge's Augen eine Frage der
Rohheit, der Brutalität. Geistig, ans geistigem Felde, mit geistigen
Waffen sollen die Kämpfe ver Gegenwart durchgefochten werden. Ob¬
gleich die "praktische" Beschränktheit des deutschen Volksgeistes Rüge
am meisten ärgert, so übersieht er doch auch die theoretische Beschränkt¬
heit des französischen Volksgeistes nicht, und so erwartet er denn das
Heil der wahre" Freiheit von einem Processe der Mischung beider
Volksgeister. "Ueberall muß man bisher in die Wüste fliehen, um den
beschränkten Volksgeist los zu werden, überall das Element der Fremde
hereinziehen, um ihn zu befreien... Was der Krieg nicht vermochte,
vielleicht ist es dem stillen Frieden gelungen ; vielleicht hat der Genius
unseres Jahrhunderts eine friedliche Mischling vorbereitet. Und kein
Volk ist so arm, selbst das unsnge nicht, daß es nicht einen befreien¬
den Hauch zu den anderen hinübersenden könnte, und keines so reich,
daß ihm die Fremde nichts zu gewähren hatte. -- Dies ist der Weg
nach Frankreich, die Schwelle einer neuen Welt. Sei sie die Verwirk¬
lichung unserer Träume!" Dieser Mischung steht nun unsererseits ver
franzosenfeindliche Patriotismus (dem von der andern Seite das Rhein-
grcnzengelüste pes "rohen" französischen Patriotismus entspricht) ent¬
gegen. Daher ruft Rüge "Ewige Schande über die vornirten Deutsch-
thümler und mvftificirten Franzosenfresser!"

Rüge ist im Begriff, Deutschland zu verlassen, er sährt den Main
hinunter; Aschaffenburg, Frankfurt liegen schon dahinten. "Wir hatten
Baiern vor der Brust," erzählt er, "wir athmeten wieder freiere Luft,
wir fuhren dem Rhein und Frankreich zu." Und nun ein Omen. "Es
wurde Abend. Ueber dem Taunus, dorthin wo Frankreich liegt, stan¬
den dicke schwarze Wolke". Sie wurden von der untergehenden Sonne
angezündet, Feuergarben schössen nach allen Seiten empor und bil¬
deten allmälig einen weiten, glühenden Krater, in dem ein großer
schwarzer Hund, das Symbol unseres Hundethums, verbrannte; und
plötzlich stand auch der ganze obere Himmel, der sich über Deutsch¬
land ausgespannt, in den schönsten goldenen Wolkenflammen. Das
Phänomen vor uns, die Nacht hinter uns, so fuhren wir dahin." Es


krieg. Sie fochten für die Sache des Mittelalters wie immer ....
Deutschland befreien, das ist jetzt auch dem Blödester klar, heißt Deutsch¬
land von sich selbst befreien . . . Die Franzosen müssen es nehmen,
damit die Russell es nicht behalten."

So weit nun, um das deutsche Gebiet den Franzosen zu über-
liefern, wie !),-. Pollio's patriotischer Zorn, geht der Ruge'sche nicht;
diese Gebietsfrage ist überhaupt in Ruge's Augen eine Frage der
Rohheit, der Brutalität. Geistig, ans geistigem Felde, mit geistigen
Waffen sollen die Kämpfe ver Gegenwart durchgefochten werden. Ob¬
gleich die „praktische" Beschränktheit des deutschen Volksgeistes Rüge
am meisten ärgert, so übersieht er doch auch die theoretische Beschränkt¬
heit des französischen Volksgeistes nicht, und so erwartet er denn das
Heil der wahre» Freiheit von einem Processe der Mischung beider
Volksgeister. „Ueberall muß man bisher in die Wüste fliehen, um den
beschränkten Volksgeist los zu werden, überall das Element der Fremde
hereinziehen, um ihn zu befreien... Was der Krieg nicht vermochte,
vielleicht ist es dem stillen Frieden gelungen ; vielleicht hat der Genius
unseres Jahrhunderts eine friedliche Mischling vorbereitet. Und kein
Volk ist so arm, selbst das unsnge nicht, daß es nicht einen befreien¬
den Hauch zu den anderen hinübersenden könnte, und keines so reich,
daß ihm die Fremde nichts zu gewähren hatte. — Dies ist der Weg
nach Frankreich, die Schwelle einer neuen Welt. Sei sie die Verwirk¬
lichung unserer Träume!" Dieser Mischung steht nun unsererseits ver
franzosenfeindliche Patriotismus (dem von der andern Seite das Rhein-
grcnzengelüste pes „rohen" französischen Patriotismus entspricht) ent¬
gegen. Daher ruft Rüge „Ewige Schande über die vornirten Deutsch-
thümler und mvftificirten Franzosenfresser!"

Rüge ist im Begriff, Deutschland zu verlassen, er sährt den Main
hinunter; Aschaffenburg, Frankfurt liegen schon dahinten. „Wir hatten
Baiern vor der Brust," erzählt er, „wir athmeten wieder freiere Luft,
wir fuhren dem Rhein und Frankreich zu." Und nun ein Omen. „Es
wurde Abend. Ueber dem Taunus, dorthin wo Frankreich liegt, stan¬
den dicke schwarze Wolke». Sie wurden von der untergehenden Sonne
angezündet, Feuergarben schössen nach allen Seiten empor und bil¬
deten allmälig einen weiten, glühenden Krater, in dem ein großer
schwarzer Hund, das Symbol unseres Hundethums, verbrannte; und
plötzlich stand auch der ganze obere Himmel, der sich über Deutsch¬
land ausgespannt, in den schönsten goldenen Wolkenflammen. Das
Phänomen vor uns, die Nacht hinter uns, so fuhren wir dahin." Es


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_365120/238>, abgerufen am 24.11.2024.