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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. II. Band.

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die Ergebnisse der deutschen Geisterbewegung zuzuführen suchen. Das
schien der einzige Weg, um das vorschwebende Ziel, die Verwirklichung
der neuen Gedankenwelt zu erreiche". Man muß eine lüll-inne intel-
ivctusl!" des deutschen Geistes mit dem französischen versuchen, dachte
Ruge, damit das Kind der praktischen Zukunft geboren werde.

Ganz so, wie hier angegeben, stellt sich die Gedankenverbindung, welche
Rüge nach Frankreich zog, heraus. Zuerst begegnen wir da seinem Zorne ge¬
gen den deutschen Geist, der sich in den leidenschaftlichsten Aeußerungen Luft
macht. Erhalte sich nach Sachsen mit seinen Hallischen Jahrbüchern geret¬
tet, um der preußischen Censur zu entgehen, Sachsen als ein constitutio-
neller Staat, mit der Preßfreiheit in seiner Verfassungsacte, war ihm
als ein Zufluchtsort erschienen: nun aber hatte er diese "Preußen¬
freiheit" Sachsens und diese "Preßfreiheit in der Charte" als "Illu¬
sionen" (die freilich er sich gemacht hatte) erkannt. "Die deutsche
Presse," sagt er uun, "ist nichts als eine dienstliche Anstalt in dem
großen preußischen Meierhofe. Die Flucht der Denker und Künstler,
denn ihre Lebensluft ist Freiheit, folgt nun von selbst." "O, laß uns flie¬
hen! Nur Einen Zug freier Luft, nur Einen Ruf aus voller Brust,
nur Ein Echo von den Kerkermauem unserer alten Genossen!" --
Deutschland hat ihm nichts gezeigt, als "gedrückte Gestalten, die ihre
Seele verkauft und nur ihren Magen behalten haben," "die nicht zu^
sammenhalten und nicht handeln wie lebendige Menschen, sondern an
denen die Zeit" -- d. h. eigentlich die philosophische Kritik -- "seit
dreißig Jahren wie an Mumien vorüberrauscht." "Alle Völker ver¬
jüngen sich durch innere Kampfe, nur das unsrige wird immer fauler,
immer schwachköpfiger, immer engherziger." Deutschland hatte zu der
Zeit, da es sich von der französischen Eroberung befreite, in Freiheits¬
gefühlen und Freiheitshoffnungen überhaupt geschwelgt. Diesen Ge¬
fühlen und Hoffnungen wurde späterhin von Vielen, je nach der Bil¬
dungsstufe eines Jeden, ein Inhalt gegeben, dem das wirklich Errun¬
gene, der erreichte Zustand nicht entsprach; man sah sich daher als
betrogen an, und zwar, obwohl man nur sich selbst getäuscht hatte,
als betrogen entweder nur von den Regierungen oder von dem Volke,
das sich der Befreiung nicht werth erwiesen hätte. "Ich habe den
Traum der Freiheit," ruft Ruge aus, "noch zu gut im Gedächtniß,
um dies Erwachen aus ihm nicht unerträglich zu finden: aber leider
ist die Poesie der wenigen Momente in der Geschichte, die wahrhaft
lebenswerth und unsterblich sind, jetzt tief begraben unter der Prosa
des zwecklosen Daseins, in dem wir'festsitzen." Freilich, wer seinen


die Ergebnisse der deutschen Geisterbewegung zuzuführen suchen. Das
schien der einzige Weg, um das vorschwebende Ziel, die Verwirklichung
der neuen Gedankenwelt zu erreiche». Man muß eine lüll-inne intel-
ivctusl!« des deutschen Geistes mit dem französischen versuchen, dachte
Ruge, damit das Kind der praktischen Zukunft geboren werde.

Ganz so, wie hier angegeben, stellt sich die Gedankenverbindung, welche
Rüge nach Frankreich zog, heraus. Zuerst begegnen wir da seinem Zorne ge¬
gen den deutschen Geist, der sich in den leidenschaftlichsten Aeußerungen Luft
macht. Erhalte sich nach Sachsen mit seinen Hallischen Jahrbüchern geret¬
tet, um der preußischen Censur zu entgehen, Sachsen als ein constitutio-
neller Staat, mit der Preßfreiheit in seiner Verfassungsacte, war ihm
als ein Zufluchtsort erschienen: nun aber hatte er diese „Preußen¬
freiheit" Sachsens und diese „Preßfreiheit in der Charte" als „Illu¬
sionen" (die freilich er sich gemacht hatte) erkannt. „Die deutsche
Presse," sagt er uun, „ist nichts als eine dienstliche Anstalt in dem
großen preußischen Meierhofe. Die Flucht der Denker und Künstler,
denn ihre Lebensluft ist Freiheit, folgt nun von selbst." „O, laß uns flie¬
hen! Nur Einen Zug freier Luft, nur Einen Ruf aus voller Brust,
nur Ein Echo von den Kerkermauem unserer alten Genossen!" —
Deutschland hat ihm nichts gezeigt, als „gedrückte Gestalten, die ihre
Seele verkauft und nur ihren Magen behalten haben," „die nicht zu^
sammenhalten und nicht handeln wie lebendige Menschen, sondern an
denen die Zeit" — d. h. eigentlich die philosophische Kritik — „seit
dreißig Jahren wie an Mumien vorüberrauscht." „Alle Völker ver¬
jüngen sich durch innere Kampfe, nur das unsrige wird immer fauler,
immer schwachköpfiger, immer engherziger." Deutschland hatte zu der
Zeit, da es sich von der französischen Eroberung befreite, in Freiheits¬
gefühlen und Freiheitshoffnungen überhaupt geschwelgt. Diesen Ge¬
fühlen und Hoffnungen wurde späterhin von Vielen, je nach der Bil¬
dungsstufe eines Jeden, ein Inhalt gegeben, dem das wirklich Errun¬
gene, der erreichte Zustand nicht entsprach; man sah sich daher als
betrogen an, und zwar, obwohl man nur sich selbst getäuscht hatte,
als betrogen entweder nur von den Regierungen oder von dem Volke,
das sich der Befreiung nicht werth erwiesen hätte. „Ich habe den
Traum der Freiheit," ruft Ruge aus, „noch zu gut im Gedächtniß,
um dies Erwachen aus ihm nicht unerträglich zu finden: aber leider
ist die Poesie der wenigen Momente in der Geschichte, die wahrhaft
lebenswerth und unsterblich sind, jetzt tief begraben unter der Prosa
des zwecklosen Daseins, in dem wir'festsitzen." Freilich, wer seinen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_365120/236>, abgerufen am 25.08.2024.