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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. II. Band.

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Geistesgegenwart seiner Haushälterin, die ihn fortriß nach der Hinter¬
thüre, gerettet wurde. Es ergossen sich nun alle Gräuel der Verwü¬
stung und des Raubes über die Fabrik. Die unselig verblendete
Menge, durch Branntwein aufgeregt, über dessen heute so reichliche
Consumtion Herr Baltz sich voreilig gefreut hatte, vergaß ihre ganze
Zukunft und die unausbleiblichen Folgen und berauschte sich nur in
dem entsetzlichen Vollgenusse des Moments, der ihr Alles bot, wonach
sie lange gelüstet hatte. Unter Geschrei und wüthendem Jauchzen
wurden die zerschmetternden Schläge auf das Eigenthum geführt, die
Rasenden stritten sich um gefundenes Geld und andern Raub, Vor-
räthe von Eßwaaren und Wein verzehrten sie gleich oder verwü¬
steten sie.

Aber nur kurz war der Rausch von Besitz und Rache. Schon
nahte in wachsender Dämmerung des Abends die bewaffnete Macht.
Eine dunkle Colonne bewegte sich rasch von der Stadt her, ihr tiefes
Schweigen der Disciplin contrastirte seltsam gegen das wüste dämo¬
nische Toben der Menge, deren Freveln Einhalt gethan werden sollte.
Als die Annäherung der Soldaten bemerkt wurde, ließen die Aufrüh¬
rer von der Zerstörung ab und bildeten einen Haufen, welcher sich mit
drohendem Geschrei Jenen entgegen wälzte.

Die Trommeln wirbelten, der Anführer versuchte umsonst, seiner
Stimme Bahn zu brechen, da gab er das Commando die Gewehre
zu fällen. Unter den kurzen Schlägen des Sturmmarsches drängen
die Soldaten entschlossen vor, trotz des prasselnden Steinhagels -- und
ihr mannhaftes Benehmen, das eigner Kraft vertraute, imponirte der
Masse. Ihr kurzer Muth war schnell verraucht, wurde zur Furcht
vor Kugeln, zur entnervenden Angst -- und die Dunkelheit des Abends
hüllte den zerstiebenden Menschenknäuel in ihre Schleier; so löste sich
die Spannung des unheilvollen Moments und der Befehlshaber dankte
Gott, daß er nicht hatte schießen müssen.

Aber aus den Fabrikgebäuden schlugen die Flammen und als die
Soldaten zum Löschen eilten, fiel ihnen auf der Schwelle des Hauses
ein altes Weib in die Hand, bei welchem Zündmaterial gefunden wurde.
Es war die Wittwe Greschel.

Der Morgen brachte die Untersuchung, welcher wir nicht folgen
wollen. Ihr Resultat wiederholt sich zu oft: Noth, Jmmoralttät,
Verzweiflung, die nur des Anreizes bedarf von der einen Seite, Auge-


Geistesgegenwart seiner Haushälterin, die ihn fortriß nach der Hinter¬
thüre, gerettet wurde. Es ergossen sich nun alle Gräuel der Verwü¬
stung und des Raubes über die Fabrik. Die unselig verblendete
Menge, durch Branntwein aufgeregt, über dessen heute so reichliche
Consumtion Herr Baltz sich voreilig gefreut hatte, vergaß ihre ganze
Zukunft und die unausbleiblichen Folgen und berauschte sich nur in
dem entsetzlichen Vollgenusse des Moments, der ihr Alles bot, wonach
sie lange gelüstet hatte. Unter Geschrei und wüthendem Jauchzen
wurden die zerschmetternden Schläge auf das Eigenthum geführt, die
Rasenden stritten sich um gefundenes Geld und andern Raub, Vor-
räthe von Eßwaaren und Wein verzehrten sie gleich oder verwü¬
steten sie.

Aber nur kurz war der Rausch von Besitz und Rache. Schon
nahte in wachsender Dämmerung des Abends die bewaffnete Macht.
Eine dunkle Colonne bewegte sich rasch von der Stadt her, ihr tiefes
Schweigen der Disciplin contrastirte seltsam gegen das wüste dämo¬
nische Toben der Menge, deren Freveln Einhalt gethan werden sollte.
Als die Annäherung der Soldaten bemerkt wurde, ließen die Aufrüh¬
rer von der Zerstörung ab und bildeten einen Haufen, welcher sich mit
drohendem Geschrei Jenen entgegen wälzte.

Die Trommeln wirbelten, der Anführer versuchte umsonst, seiner
Stimme Bahn zu brechen, da gab er das Commando die Gewehre
zu fällen. Unter den kurzen Schlägen des Sturmmarsches drängen
die Soldaten entschlossen vor, trotz des prasselnden Steinhagels — und
ihr mannhaftes Benehmen, das eigner Kraft vertraute, imponirte der
Masse. Ihr kurzer Muth war schnell verraucht, wurde zur Furcht
vor Kugeln, zur entnervenden Angst — und die Dunkelheit des Abends
hüllte den zerstiebenden Menschenknäuel in ihre Schleier; so löste sich
die Spannung des unheilvollen Moments und der Befehlshaber dankte
Gott, daß er nicht hatte schießen müssen.

Aber aus den Fabrikgebäuden schlugen die Flammen und als die
Soldaten zum Löschen eilten, fiel ihnen auf der Schwelle des Hauses
ein altes Weib in die Hand, bei welchem Zündmaterial gefunden wurde.
Es war die Wittwe Greschel.

Der Morgen brachte die Untersuchung, welcher wir nicht folgen
wollen. Ihr Resultat wiederholt sich zu oft: Noth, Jmmoralttät,
Verzweiflung, die nur des Anreizes bedarf von der einen Seite, Auge-


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[0222] Geistesgegenwart seiner Haushälterin, die ihn fortriß nach der Hinter¬ thüre, gerettet wurde. Es ergossen sich nun alle Gräuel der Verwü¬ stung und des Raubes über die Fabrik. Die unselig verblendete Menge, durch Branntwein aufgeregt, über dessen heute so reichliche Consumtion Herr Baltz sich voreilig gefreut hatte, vergaß ihre ganze Zukunft und die unausbleiblichen Folgen und berauschte sich nur in dem entsetzlichen Vollgenusse des Moments, der ihr Alles bot, wonach sie lange gelüstet hatte. Unter Geschrei und wüthendem Jauchzen wurden die zerschmetternden Schläge auf das Eigenthum geführt, die Rasenden stritten sich um gefundenes Geld und andern Raub, Vor- räthe von Eßwaaren und Wein verzehrten sie gleich oder verwü¬ steten sie. Aber nur kurz war der Rausch von Besitz und Rache. Schon nahte in wachsender Dämmerung des Abends die bewaffnete Macht. Eine dunkle Colonne bewegte sich rasch von der Stadt her, ihr tiefes Schweigen der Disciplin contrastirte seltsam gegen das wüste dämo¬ nische Toben der Menge, deren Freveln Einhalt gethan werden sollte. Als die Annäherung der Soldaten bemerkt wurde, ließen die Aufrüh¬ rer von der Zerstörung ab und bildeten einen Haufen, welcher sich mit drohendem Geschrei Jenen entgegen wälzte. Die Trommeln wirbelten, der Anführer versuchte umsonst, seiner Stimme Bahn zu brechen, da gab er das Commando die Gewehre zu fällen. Unter den kurzen Schlägen des Sturmmarsches drängen die Soldaten entschlossen vor, trotz des prasselnden Steinhagels — und ihr mannhaftes Benehmen, das eigner Kraft vertraute, imponirte der Masse. Ihr kurzer Muth war schnell verraucht, wurde zur Furcht vor Kugeln, zur entnervenden Angst — und die Dunkelheit des Abends hüllte den zerstiebenden Menschenknäuel in ihre Schleier; so löste sich die Spannung des unheilvollen Moments und der Befehlshaber dankte Gott, daß er nicht hatte schießen müssen. Aber aus den Fabrikgebäuden schlugen die Flammen und als die Soldaten zum Löschen eilten, fiel ihnen auf der Schwelle des Hauses ein altes Weib in die Hand, bei welchem Zündmaterial gefunden wurde. Es war die Wittwe Greschel. Der Morgen brachte die Untersuchung, welcher wir nicht folgen wollen. Ihr Resultat wiederholt sich zu oft: Noth, Jmmoralttät, Verzweiflung, die nur des Anreizes bedarf von der einen Seite, Auge-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_365120/222>, abgerufen am 26.08.2024.