Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Herr Jesus! Sie schlagen schon an die Thüren, ich habe aus Vor¬
sicht den Riegel vorgeworfen." -- "Nur gleich Polizei und Militär!"
rief der geängstigte Masser. "So lange halten wir sie hin, verspre¬
chen ihnen Alles, was sie wollen wer kann uns zwingen, das
abgetrotzte Versprechen zu halten? Ach Gott! wie sie an der Thüre
toben! Liebster Baltz, gehen Sie doch um Gotteswillen!" -- "Kom¬
men Sie mit, Herr Masser. Vor Ihnen haben sie noch Respect." --
"Ich werde mich hüten. Das ist Ihre Sache! Thun Sie, was ich
Ihnen befehle, Herr!"

Baltz konnte nicht antworten, ein furchtbares Hurrah! das wie
ein wildjauchzcnder Zuruf draußen erscholl, machte ihn erblassend ver¬
stummen -- aber noch tödtlicher war seines Principals Schreck, als
er seinen eigenen Namen hörte, der von hundert Stimmen draußen
gebrüllt wurde.

"Sie müssen sich, weiß Gott, zeigen!" sagte Baltz und lief, den
Boten durch die Hinterthür nach der Stadt zu schicken. Die ent¬
schlossene Haushälterin hatte ihn aber beim ersten Beginn des Tumults
abgefertigt und kam nun selbst, ihren Herrn zu ermuthigen, daß er wie
ein Mann heraustreten solle, den Sturm zu beschwören. Steine flogen
schon in die Fenster, daß die Scheiben klirrend auf die Dielen stürzten.

Da faßte der Fabrikherr den Muth der Verzweiflung und trat
zu der Thüre, welche die Arbeiter mit heftigen Schlägen erschütterten.
Als sie die Riegel klirren hörten, wichen sie zurück und bei Masser'S
Erscheinung verbreitete sich eine momentane Stille.

"Ihr guten Leute," begann Masser mit zitternder Stimme ^
Aber ein wildes Geschrei unterbrach ihn gleich, Flüche mischten
sich unter die ausschweifendsten Forderungen und ein altes Weib --
Masser erkannte die Wittwe Greschel -- sprang ans der Menge her¬
vor, ihm dicht vor das Angesicht, daß er zurückbebte.

"Bist Du's," rief sie mit so gellender Stimme, daß die Andern
allmälig verstummten, um sie zu hören, "bist Du's, der meinen Martin
um sein Geld gebracht hat, der ihn zum Mörder gelogen, auf's Zucht¬
haus gebracht hat und endlich zum Stricke? Heute wollen wir Recht
kriegen! Halloh, Kinder, hier drinnen ist unser Geld, wir Haben's
verdient, wir nehmen's!"

Und ohne auf die schwachen Versuche des Fabrikherrn zu achten,
stürmte die tobende Menge das Halts, während Masser nur durch die


Wrenzbotw, !8i0. II. 27

Herr Jesus! Sie schlagen schon an die Thüren, ich habe aus Vor¬
sicht den Riegel vorgeworfen." — „Nur gleich Polizei und Militär!"
rief der geängstigte Masser. „So lange halten wir sie hin, verspre¬
chen ihnen Alles, was sie wollen wer kann uns zwingen, das
abgetrotzte Versprechen zu halten? Ach Gott! wie sie an der Thüre
toben! Liebster Baltz, gehen Sie doch um Gotteswillen!" — „Kom¬
men Sie mit, Herr Masser. Vor Ihnen haben sie noch Respect." —
„Ich werde mich hüten. Das ist Ihre Sache! Thun Sie, was ich
Ihnen befehle, Herr!"

Baltz konnte nicht antworten, ein furchtbares Hurrah! das wie
ein wildjauchzcnder Zuruf draußen erscholl, machte ihn erblassend ver¬
stummen — aber noch tödtlicher war seines Principals Schreck, als
er seinen eigenen Namen hörte, der von hundert Stimmen draußen
gebrüllt wurde.

„Sie müssen sich, weiß Gott, zeigen!" sagte Baltz und lief, den
Boten durch die Hinterthür nach der Stadt zu schicken. Die ent¬
schlossene Haushälterin hatte ihn aber beim ersten Beginn des Tumults
abgefertigt und kam nun selbst, ihren Herrn zu ermuthigen, daß er wie
ein Mann heraustreten solle, den Sturm zu beschwören. Steine flogen
schon in die Fenster, daß die Scheiben klirrend auf die Dielen stürzten.

Da faßte der Fabrikherr den Muth der Verzweiflung und trat
zu der Thüre, welche die Arbeiter mit heftigen Schlägen erschütterten.
Als sie die Riegel klirren hörten, wichen sie zurück und bei Masser'S
Erscheinung verbreitete sich eine momentane Stille.

„Ihr guten Leute," begann Masser mit zitternder Stimme ^
Aber ein wildes Geschrei unterbrach ihn gleich, Flüche mischten
sich unter die ausschweifendsten Forderungen und ein altes Weib —
Masser erkannte die Wittwe Greschel — sprang ans der Menge her¬
vor, ihm dicht vor das Angesicht, daß er zurückbebte.

„Bist Du's," rief sie mit so gellender Stimme, daß die Andern
allmälig verstummten, um sie zu hören, „bist Du's, der meinen Martin
um sein Geld gebracht hat, der ihn zum Mörder gelogen, auf's Zucht¬
haus gebracht hat und endlich zum Stricke? Heute wollen wir Recht
kriegen! Halloh, Kinder, hier drinnen ist unser Geld, wir Haben's
verdient, wir nehmen's!"

Und ohne auf die schwachen Versuche des Fabrikherrn zu achten,
stürmte die tobende Menge das Halts, während Masser nur durch die


Wrenzbotw, !8i0. II. 27
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0221" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/182644"/>
            <p xml:id="ID_615" prev="#ID_614"> Herr Jesus! Sie schlagen schon an die Thüren, ich habe aus Vor¬<lb/>
sicht den Riegel vorgeworfen." &#x2014; &#x201E;Nur gleich Polizei und Militär!"<lb/>
rief der geängstigte Masser. &#x201E;So lange halten wir sie hin, verspre¬<lb/>
chen ihnen Alles, was sie wollen wer kann uns zwingen, das<lb/>
abgetrotzte Versprechen zu halten? Ach Gott! wie sie an der Thüre<lb/>
toben! Liebster Baltz, gehen Sie doch um Gotteswillen!" &#x2014; &#x201E;Kom¬<lb/>
men Sie mit, Herr Masser. Vor Ihnen haben sie noch Respect." &#x2014;<lb/>
&#x201E;Ich werde mich hüten. Das ist Ihre Sache! Thun Sie, was ich<lb/>
Ihnen befehle, Herr!"</p><lb/>
            <p xml:id="ID_616"> Baltz konnte nicht antworten, ein furchtbares Hurrah! das wie<lb/>
ein wildjauchzcnder Zuruf draußen erscholl, machte ihn erblassend ver¬<lb/>
stummen &#x2014; aber noch tödtlicher war seines Principals Schreck, als<lb/>
er seinen eigenen Namen hörte, der von hundert Stimmen draußen<lb/>
gebrüllt wurde.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_617"> &#x201E;Sie müssen sich, weiß Gott, zeigen!" sagte Baltz und lief, den<lb/>
Boten durch die Hinterthür nach der Stadt zu schicken. Die ent¬<lb/>
schlossene Haushälterin hatte ihn aber beim ersten Beginn des Tumults<lb/>
abgefertigt und kam nun selbst, ihren Herrn zu ermuthigen, daß er wie<lb/>
ein Mann heraustreten solle, den Sturm zu beschwören. Steine flogen<lb/>
schon in die Fenster, daß die Scheiben klirrend auf die Dielen stürzten.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_618"> Da faßte der Fabrikherr den Muth der Verzweiflung und trat<lb/>
zu der Thüre, welche die Arbeiter mit heftigen Schlägen erschütterten.<lb/>
Als sie die Riegel klirren hörten, wichen sie zurück und bei Masser'S<lb/>
Erscheinung verbreitete sich eine momentane Stille.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_619"> &#x201E;Ihr guten Leute," begann Masser mit zitternder Stimme ^<lb/>
Aber ein wildes Geschrei unterbrach ihn gleich, Flüche mischten<lb/>
sich unter die ausschweifendsten Forderungen und ein altes Weib &#x2014;<lb/>
Masser erkannte die Wittwe Greschel &#x2014; sprang ans der Menge her¬<lb/>
vor, ihm dicht vor das Angesicht, daß er zurückbebte.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_620"> &#x201E;Bist Du's," rief sie mit so gellender Stimme, daß die Andern<lb/>
allmälig verstummten, um sie zu hören, &#x201E;bist Du's, der meinen Martin<lb/>
um sein Geld gebracht hat, der ihn zum Mörder gelogen, auf's Zucht¬<lb/>
haus gebracht hat und endlich zum Stricke? Heute wollen wir Recht<lb/>
kriegen! Halloh, Kinder, hier drinnen ist unser Geld, wir Haben's<lb/>
verdient, wir nehmen's!"</p><lb/>
            <p xml:id="ID_621" next="#ID_622"> Und ohne auf die schwachen Versuche des Fabrikherrn zu achten,<lb/>
stürmte die tobende Menge das Halts, während Masser nur durch die</p><lb/>
            <fw type="sig" place="bottom"> Wrenzbotw, !8i0. II. 27</fw><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0221] Herr Jesus! Sie schlagen schon an die Thüren, ich habe aus Vor¬ sicht den Riegel vorgeworfen." — „Nur gleich Polizei und Militär!" rief der geängstigte Masser. „So lange halten wir sie hin, verspre¬ chen ihnen Alles, was sie wollen wer kann uns zwingen, das abgetrotzte Versprechen zu halten? Ach Gott! wie sie an der Thüre toben! Liebster Baltz, gehen Sie doch um Gotteswillen!" — „Kom¬ men Sie mit, Herr Masser. Vor Ihnen haben sie noch Respect." — „Ich werde mich hüten. Das ist Ihre Sache! Thun Sie, was ich Ihnen befehle, Herr!" Baltz konnte nicht antworten, ein furchtbares Hurrah! das wie ein wildjauchzcnder Zuruf draußen erscholl, machte ihn erblassend ver¬ stummen — aber noch tödtlicher war seines Principals Schreck, als er seinen eigenen Namen hörte, der von hundert Stimmen draußen gebrüllt wurde. „Sie müssen sich, weiß Gott, zeigen!" sagte Baltz und lief, den Boten durch die Hinterthür nach der Stadt zu schicken. Die ent¬ schlossene Haushälterin hatte ihn aber beim ersten Beginn des Tumults abgefertigt und kam nun selbst, ihren Herrn zu ermuthigen, daß er wie ein Mann heraustreten solle, den Sturm zu beschwören. Steine flogen schon in die Fenster, daß die Scheiben klirrend auf die Dielen stürzten. Da faßte der Fabrikherr den Muth der Verzweiflung und trat zu der Thüre, welche die Arbeiter mit heftigen Schlägen erschütterten. Als sie die Riegel klirren hörten, wichen sie zurück und bei Masser'S Erscheinung verbreitete sich eine momentane Stille. „Ihr guten Leute," begann Masser mit zitternder Stimme ^ Aber ein wildes Geschrei unterbrach ihn gleich, Flüche mischten sich unter die ausschweifendsten Forderungen und ein altes Weib — Masser erkannte die Wittwe Greschel — sprang ans der Menge her¬ vor, ihm dicht vor das Angesicht, daß er zurückbebte. „Bist Du's," rief sie mit so gellender Stimme, daß die Andern allmälig verstummten, um sie zu hören, „bist Du's, der meinen Martin um sein Geld gebracht hat, der ihn zum Mörder gelogen, auf's Zucht¬ haus gebracht hat und endlich zum Stricke? Heute wollen wir Recht kriegen! Halloh, Kinder, hier drinnen ist unser Geld, wir Haben's verdient, wir nehmen's!" Und ohne auf die schwachen Versuche des Fabrikherrn zu achten, stürmte die tobende Menge das Halts, während Masser nur durch die Wrenzbotw, !8i0. II. 27

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_365120
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_365120/221
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_365120/221>, abgerufen am 23.07.2024.