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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. II. Band.

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Ertrinkende das Nächste, das ihn retten kann, aber freilich mit der Ab-
sicht, einst in bessern Zeiten, wenn er es thun könnte, dem Hob¬
länder Alles wieder z" erstatten. Der Hobländer war drüber gestor¬
ben; ob er den Brief, den sein amerikanischer Qnkel an ihn geschrieben
hatte und worin die Summe ausdrücklich erwähnt war, noch erhal¬
ten und gelesen habe, war nicht zu ermitteln, jedenfalls hatte Masser
nie etwas davon gehört, und die Zeiten, wo er dem Sohne das Geld
hätte erstatten können, vor Allem, ohne sich zu compromittiren, wa¬
ren nach Masser's Meinung noch nicht gekommen. Die alte Greschel
zuerst hatte ihn durch allerhand Reden, in denen sein schlechtes Gewis¬
sen tiefern Sinn gesucht hatte, erschreckt, dann war auch der Agent
wieder gekommen --- aber zum Glück nur, um hier zu sterben. Der
junge Hobländer war auch todt -- seine Familie aber und die alte
fürchterliche Frau, und die Mine, die nun Alles wußte -- es ging
dem Fabrikanten durch den Kopf, daß er seinen bösen Schwindel wie¬
der fühlte. Ein paar Mal wollte er die Haushälterin rufen, aber
die Stimme versagte ihm. Sein Blut kreiste in wachsender Schnel¬
ligkeit durch die Adern, alle Pulse pochten und sicherten, manchmal
war es, als quelle ihm der Strom zur Brust, daß er kaum Athem
holen konnte. Da gab ihm die Angst vor einem Schlagflusse, die er
oft hatte, plötzlich Kraft aufzuspringen. Aber es klopfte in demselben
Augenblicke an die Thüre.

Es war Herr Baltz, der Aufseher, welcher mit verstörter Miene
hereintrat.

"Was haben Sie denn?" rief ihm der erschrockene Masser ent¬
gegen. "Ich höre ja einen gräßlichen Tumult!"

Wirklich erhob sich draußen mit einem Male ein Geschrei von
vielen Stimmen, das immer lauter wurde.

"Das unverschämte Gesindel!" stotterte Baltz. "Es macht For¬
derungen --" -- "Forderungen?" schrie Masser. "Wie so? Es ist
ja nicht einmal Sonnabend --" -- "Höheren Lohn verlangen sie --
weniger Abzüge -- wohlfeileren Branntwein -- Gott weiß, was Al¬
les!" -- "Mine, Mine!" schrie Masser. "Der Junge soll gleich nach
der Polizei laufen. Gehen Sie, liebster Baltz, beruhigen Sie die Leu¬
te, versprechen Sie ihnen -- " aber bei dem verhängnißvollen Worte,
das ihm die Furcht und Feigheit ausgepreßt, hielt er, über sich selbst
erschrocken, inne. - "Ich habe schon die Möglichkeit versucht," sagte
Baltz. "Sie waren auch ganz vernünftig, aber mit einem Male


Ertrinkende das Nächste, das ihn retten kann, aber freilich mit der Ab-
sicht, einst in bessern Zeiten, wenn er es thun könnte, dem Hob¬
länder Alles wieder z» erstatten. Der Hobländer war drüber gestor¬
ben; ob er den Brief, den sein amerikanischer Qnkel an ihn geschrieben
hatte und worin die Summe ausdrücklich erwähnt war, noch erhal¬
ten und gelesen habe, war nicht zu ermitteln, jedenfalls hatte Masser
nie etwas davon gehört, und die Zeiten, wo er dem Sohne das Geld
hätte erstatten können, vor Allem, ohne sich zu compromittiren, wa¬
ren nach Masser's Meinung noch nicht gekommen. Die alte Greschel
zuerst hatte ihn durch allerhand Reden, in denen sein schlechtes Gewis¬
sen tiefern Sinn gesucht hatte, erschreckt, dann war auch der Agent
wieder gekommen —- aber zum Glück nur, um hier zu sterben. Der
junge Hobländer war auch todt — seine Familie aber und die alte
fürchterliche Frau, und die Mine, die nun Alles wußte — es ging
dem Fabrikanten durch den Kopf, daß er seinen bösen Schwindel wie¬
der fühlte. Ein paar Mal wollte er die Haushälterin rufen, aber
die Stimme versagte ihm. Sein Blut kreiste in wachsender Schnel¬
ligkeit durch die Adern, alle Pulse pochten und sicherten, manchmal
war es, als quelle ihm der Strom zur Brust, daß er kaum Athem
holen konnte. Da gab ihm die Angst vor einem Schlagflusse, die er
oft hatte, plötzlich Kraft aufzuspringen. Aber es klopfte in demselben
Augenblicke an die Thüre.

Es war Herr Baltz, der Aufseher, welcher mit verstörter Miene
hereintrat.

„Was haben Sie denn?" rief ihm der erschrockene Masser ent¬
gegen. „Ich höre ja einen gräßlichen Tumult!"

Wirklich erhob sich draußen mit einem Male ein Geschrei von
vielen Stimmen, das immer lauter wurde.

„Das unverschämte Gesindel!" stotterte Baltz. „Es macht For¬
derungen —" — „Forderungen?" schrie Masser. „Wie so? Es ist
ja nicht einmal Sonnabend —" — „Höheren Lohn verlangen sie —
weniger Abzüge — wohlfeileren Branntwein — Gott weiß, was Al¬
les!" — „Mine, Mine!" schrie Masser. „Der Junge soll gleich nach
der Polizei laufen. Gehen Sie, liebster Baltz, beruhigen Sie die Leu¬
te, versprechen Sie ihnen — " aber bei dem verhängnißvollen Worte,
das ihm die Furcht und Feigheit ausgepreßt, hielt er, über sich selbst
erschrocken, inne. - „Ich habe schon die Möglichkeit versucht," sagte
Baltz. „Sie waren auch ganz vernünftig, aber mit einem Male


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_365120/220>, abgerufen am 24.11.2024.