Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. II. Band.jeden Aufschub für neue Beweise ohne Gestaltung fernerer Berufung Grenzboten, it. l"to. 2ö
jeden Aufschub für neue Beweise ohne Gestaltung fernerer Berufung Grenzboten, it. l«to. 2ö
<TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0205" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/182628"/> <p xml:id="ID_542" prev="#ID_541" next="#ID_543"> jeden Aufschub für neue Beweise ohne Gestaltung fernerer Berufung<lb/> verwerfen, die den Zeugen zur Beantwortung gestellten Punkte abän¬<lb/> dern oder vermehren, neue stellen und andere weglassen, kurz, damit<lb/> schalten, wie es ihnen gutdünkt. Nicht der Kläger, nicht der Geklagte,<lb/> führen ihre Rechtssache in Dingen, die Niemanden in aller Welt als<lb/> eben nur sie selbst berühren, sondern der Richter, nicht was gesprochen,<lb/> erinnert, nicht wie sie laut und umständlich ihre Sachen verfochten,<lb/> nein, wie es der Richter will, was ihm zweckdienlich und erheblich,<lb/> regelrecht und beweiskräftig scheint, wird zu Papier genommen, dem<lb/> zur Seite stehenden Sachwalter ist nicht einmal das Befugniß einge¬<lb/> räumt, seine Entwürfe einschalten zu lassen, er behält nur die traurige<lb/> Rolle, mit dem Richter über die Fassung einzelner Ausdrücke zu hadern,<lb/> mit ihm, den das Gesetz beruft, Alles zu leiten. Wie viel für den Rich¬<lb/> ter Beschwerliches, Verdrießliches, Aufreizendes liegt nicht scholl in der<lb/> Aufgabe, die Parteien selbst zu vertreten? Man denke sich das Stot¬<lb/> tern und Stammeln der Einfalt, die nimmer den rechten Faden zu<lb/> finden weiß,' die Altklugheit des Spießbürgerthums, das als Mitglied<lb/> eines hohen Rathes oder einer ehrsamen Innung Gesetze an den Fin¬<lb/> gern herzählt, den Geizhals, dem es beim Verlust eines rothen Hel¬<lb/> lers purpurn vor den Augen schwimmt, den starren Trotzkopf, der auch<lb/> keinen Grashalm breit von seinem Rechte weicht, und setze ihnen den<lb/> Schlauen und Verständigen, den Billiger und wo eS noth thut nach¬<lb/> giebigen gegenüber, und es dürfte wohl nicht schwer halten, der Für¬<lb/> sprache der Klugheit alle Gunst zu entziehen. Sollte die bloße Tinte<lb/> nicht ein wenig mehr Farbe mischen, wenn sie der Mäßigung dient,<lb/> mag sie auch nicht ganz vollends im Rechte sein? Welche noch Schar«<lb/> fere Waffe legt aber nicht das neue Gesetz, das Gesetz des Unter,<lb/> suchungsprocesses, ein Gesetz, das wir bisher nur im peinlichen Ver¬<lb/> fahren kannten, in die Hand menschlicher Schwäche und Leidenschaft?<lb/> Den Wenigsten hat die Natur jenen Gleichmuth vergönnt, der den<lb/> Verstand ruhig auf seinem Throne walten läßt, die Meisten haben<lb/> Vorredner oder Abmahner gegen ihre MitUirger in irgend einem<lb/> Winkel ihres Herzens, Viele besitzen ein böses Gedächtniß für Reden<lb/> und Thaten, die ihnen nicht gleichgültig waren. Noch mehr, sie haben<lb/> Freunde und Gönner, Kinder und Angehörige, sie bedürfen für diese<lb/> und sich selbst den Schutz der Mächtigen, die Hilfe der Reichen, zu<lb/> geschweige» von dem. was oft noch unter der Decke steckt. Welch<lb/> eine gefährliche, verlockende Macht ist nun dem Wagehalter der Ge¬<lb/> rechtigkeit eingeräumt, der die Parteien insgeheim vernimmt, den Aus-</p><lb/> <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten, it. l«to. 2ö</fw><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0205]
jeden Aufschub für neue Beweise ohne Gestaltung fernerer Berufung
verwerfen, die den Zeugen zur Beantwortung gestellten Punkte abän¬
dern oder vermehren, neue stellen und andere weglassen, kurz, damit
schalten, wie es ihnen gutdünkt. Nicht der Kläger, nicht der Geklagte,
führen ihre Rechtssache in Dingen, die Niemanden in aller Welt als
eben nur sie selbst berühren, sondern der Richter, nicht was gesprochen,
erinnert, nicht wie sie laut und umständlich ihre Sachen verfochten,
nein, wie es der Richter will, was ihm zweckdienlich und erheblich,
regelrecht und beweiskräftig scheint, wird zu Papier genommen, dem
zur Seite stehenden Sachwalter ist nicht einmal das Befugniß einge¬
räumt, seine Entwürfe einschalten zu lassen, er behält nur die traurige
Rolle, mit dem Richter über die Fassung einzelner Ausdrücke zu hadern,
mit ihm, den das Gesetz beruft, Alles zu leiten. Wie viel für den Rich¬
ter Beschwerliches, Verdrießliches, Aufreizendes liegt nicht scholl in der
Aufgabe, die Parteien selbst zu vertreten? Man denke sich das Stot¬
tern und Stammeln der Einfalt, die nimmer den rechten Faden zu
finden weiß,' die Altklugheit des Spießbürgerthums, das als Mitglied
eines hohen Rathes oder einer ehrsamen Innung Gesetze an den Fin¬
gern herzählt, den Geizhals, dem es beim Verlust eines rothen Hel¬
lers purpurn vor den Augen schwimmt, den starren Trotzkopf, der auch
keinen Grashalm breit von seinem Rechte weicht, und setze ihnen den
Schlauen und Verständigen, den Billiger und wo eS noth thut nach¬
giebigen gegenüber, und es dürfte wohl nicht schwer halten, der Für¬
sprache der Klugheit alle Gunst zu entziehen. Sollte die bloße Tinte
nicht ein wenig mehr Farbe mischen, wenn sie der Mäßigung dient,
mag sie auch nicht ganz vollends im Rechte sein? Welche noch Schar«
fere Waffe legt aber nicht das neue Gesetz, das Gesetz des Unter,
suchungsprocesses, ein Gesetz, das wir bisher nur im peinlichen Ver¬
fahren kannten, in die Hand menschlicher Schwäche und Leidenschaft?
Den Wenigsten hat die Natur jenen Gleichmuth vergönnt, der den
Verstand ruhig auf seinem Throne walten läßt, die Meisten haben
Vorredner oder Abmahner gegen ihre MitUirger in irgend einem
Winkel ihres Herzens, Viele besitzen ein böses Gedächtniß für Reden
und Thaten, die ihnen nicht gleichgültig waren. Noch mehr, sie haben
Freunde und Gönner, Kinder und Angehörige, sie bedürfen für diese
und sich selbst den Schutz der Mächtigen, die Hilfe der Reichen, zu
geschweige» von dem. was oft noch unter der Decke steckt. Welch
eine gefährliche, verlockende Macht ist nun dem Wagehalter der Ge¬
rechtigkeit eingeräumt, der die Parteien insgeheim vernimmt, den Aus-
Grenzboten, it. l«to. 2ö
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