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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. II. Band.

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ausersehen, wenn sie Herrn v. Arnswald heirathete. Das Thürmchen
war alt, verfallen und zerrissen; das Kind zählte kaum neun Jahre.
-- Als ich ihre doppelte Wahl belobt hatte und wir wieder von un¬
serem gefährlichen Ausfluge in die Stube zurückgekehrt waren und ge¬
müthlich weiter plauderten -- da erscholl mit einem Male v.or der
Thüre des Schloßhauptmannes die lieblichste Musik. Es war offen¬
bar ein Quartett und wir hörten deutlich die Violine, das Violoncell,
das Waldhorn lind die Flöte heraus. Es war gewiß eine Serenade,
die die dankbaren Sänger dem Schloßhauptmann für die gastliche
Ausnahme auf der Wartburg brachten. Nach Beendigung des ersten
Stückes ging Herr v> Arnswald hinaus, um den Sängern zu danken; ich
folgte ihm. Siehe, da standen die vier Musiker ohne Instrumente. Sie
hatten sie ganz allein mit dem Munde nachgeahmt. Wir lachten laut
auf vor Ueberraschung und die Musiker lachten mit. Aber sie began¬
nen gleich wieder ein neues Stück. Das war der komischste Anblick
von der Welt, wie die vier Männer dastanden und in der Luft alle
Bewegungen nachmachten, als hätten sie wirklich die Instrumente in der
Hand, oder als spielten sie wenigstens auf unsichtbaren. Wie rührend
auch das Stück war, das sie spielten, wir mußten laut lachen. Die
Kinder sahen sie mit staunenden Augen an, als sähen sie Zauberet.
Aber die Musiker ließen sich nicht aus der Fassung bringen und mit
beiden Händen arbeitend und weiter spielend zogen sie ab. Noch lange
klang die Musik durch den Hof herauf in unsere dunkle Stube,

Indessen war es späte Nacht geworden; die Spaziergänger, de"
Trinker, die Sänger, die Burgfräulein waren fortgezogen und heilige
Stille lag wieder rings umher gebreitet. Es war Zeit zum Schla¬
fengehen. Der Schloßhauptmann' setzte sich mit ernster Miene noch
ein Mal zu mir und gab mir wegen meines heutigen Nachtlagers
förmliche Jnstructionen. Ich sollte nämlich in dem Landgrafenzimmer
schlafen, von dem die unheimlichsten Geschichten erzählt werden und
in welchem, mit Ausnahme des Erbprinzen von Weimar, bisher noch
Niemand zu übernachten wagte. Ein Maler, der es vor Kurzem ver¬
sucht hatte, floh mitten in der Nacht schreiend und jammernd von dannen.
Beim Erbprinzen von Weimar ist der Muth nicht so sehr zu bewundern,
denn die Geister, die ihm allenfalls erscheinen könnten, sind immer seine
Ahnherrn und lieben Anverwandten, von denen er wohl nichts zu be¬
fürchten hat. Der Schloßhauptmann machte mich noch aufmerksam,
daß ich vom Fenster meines Schlafzimmers aus die Wache auf dem
Schloßwalle rufen könnte, wenn ich in der Nacht Hilfe bedürfte. Ich


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ausersehen, wenn sie Herrn v. Arnswald heirathete. Das Thürmchen
war alt, verfallen und zerrissen; das Kind zählte kaum neun Jahre.
— Als ich ihre doppelte Wahl belobt hatte und wir wieder von un¬
serem gefährlichen Ausfluge in die Stube zurückgekehrt waren und ge¬
müthlich weiter plauderten — da erscholl mit einem Male v.or der
Thüre des Schloßhauptmannes die lieblichste Musik. Es war offen¬
bar ein Quartett und wir hörten deutlich die Violine, das Violoncell,
das Waldhorn lind die Flöte heraus. Es war gewiß eine Serenade,
die die dankbaren Sänger dem Schloßhauptmann für die gastliche
Ausnahme auf der Wartburg brachten. Nach Beendigung des ersten
Stückes ging Herr v> Arnswald hinaus, um den Sängern zu danken; ich
folgte ihm. Siehe, da standen die vier Musiker ohne Instrumente. Sie
hatten sie ganz allein mit dem Munde nachgeahmt. Wir lachten laut
auf vor Ueberraschung und die Musiker lachten mit. Aber sie began¬
nen gleich wieder ein neues Stück. Das war der komischste Anblick
von der Welt, wie die vier Männer dastanden und in der Luft alle
Bewegungen nachmachten, als hätten sie wirklich die Instrumente in der
Hand, oder als spielten sie wenigstens auf unsichtbaren. Wie rührend
auch das Stück war, das sie spielten, wir mußten laut lachen. Die
Kinder sahen sie mit staunenden Augen an, als sähen sie Zauberet.
Aber die Musiker ließen sich nicht aus der Fassung bringen und mit
beiden Händen arbeitend und weiter spielend zogen sie ab. Noch lange
klang die Musik durch den Hof herauf in unsere dunkle Stube,

Indessen war es späte Nacht geworden; die Spaziergänger, de«
Trinker, die Sänger, die Burgfräulein waren fortgezogen und heilige
Stille lag wieder rings umher gebreitet. Es war Zeit zum Schla¬
fengehen. Der Schloßhauptmann' setzte sich mit ernster Miene noch
ein Mal zu mir und gab mir wegen meines heutigen Nachtlagers
förmliche Jnstructionen. Ich sollte nämlich in dem Landgrafenzimmer
schlafen, von dem die unheimlichsten Geschichten erzählt werden und
in welchem, mit Ausnahme des Erbprinzen von Weimar, bisher noch
Niemand zu übernachten wagte. Ein Maler, der es vor Kurzem ver¬
sucht hatte, floh mitten in der Nacht schreiend und jammernd von dannen.
Beim Erbprinzen von Weimar ist der Muth nicht so sehr zu bewundern,
denn die Geister, die ihm allenfalls erscheinen könnten, sind immer seine
Ahnherrn und lieben Anverwandten, von denen er wohl nichts zu be¬
fürchten hat. Der Schloßhauptmann machte mich noch aufmerksam,
daß ich vom Fenster meines Schlafzimmers aus die Wache auf dem
Schloßwalle rufen könnte, wenn ich in der Nacht Hilfe bedürfte. Ich


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[0197] ausersehen, wenn sie Herrn v. Arnswald heirathete. Das Thürmchen war alt, verfallen und zerrissen; das Kind zählte kaum neun Jahre. — Als ich ihre doppelte Wahl belobt hatte und wir wieder von un¬ serem gefährlichen Ausfluge in die Stube zurückgekehrt waren und ge¬ müthlich weiter plauderten — da erscholl mit einem Male v.or der Thüre des Schloßhauptmannes die lieblichste Musik. Es war offen¬ bar ein Quartett und wir hörten deutlich die Violine, das Violoncell, das Waldhorn lind die Flöte heraus. Es war gewiß eine Serenade, die die dankbaren Sänger dem Schloßhauptmann für die gastliche Ausnahme auf der Wartburg brachten. Nach Beendigung des ersten Stückes ging Herr v> Arnswald hinaus, um den Sängern zu danken; ich folgte ihm. Siehe, da standen die vier Musiker ohne Instrumente. Sie hatten sie ganz allein mit dem Munde nachgeahmt. Wir lachten laut auf vor Ueberraschung und die Musiker lachten mit. Aber sie began¬ nen gleich wieder ein neues Stück. Das war der komischste Anblick von der Welt, wie die vier Männer dastanden und in der Luft alle Bewegungen nachmachten, als hätten sie wirklich die Instrumente in der Hand, oder als spielten sie wenigstens auf unsichtbaren. Wie rührend auch das Stück war, das sie spielten, wir mußten laut lachen. Die Kinder sahen sie mit staunenden Augen an, als sähen sie Zauberet. Aber die Musiker ließen sich nicht aus der Fassung bringen und mit beiden Händen arbeitend und weiter spielend zogen sie ab. Noch lange klang die Musik durch den Hof herauf in unsere dunkle Stube, Indessen war es späte Nacht geworden; die Spaziergänger, de« Trinker, die Sänger, die Burgfräulein waren fortgezogen und heilige Stille lag wieder rings umher gebreitet. Es war Zeit zum Schla¬ fengehen. Der Schloßhauptmann' setzte sich mit ernster Miene noch ein Mal zu mir und gab mir wegen meines heutigen Nachtlagers förmliche Jnstructionen. Ich sollte nämlich in dem Landgrafenzimmer schlafen, von dem die unheimlichsten Geschichten erzählt werden und in welchem, mit Ausnahme des Erbprinzen von Weimar, bisher noch Niemand zu übernachten wagte. Ein Maler, der es vor Kurzem ver¬ sucht hatte, floh mitten in der Nacht schreiend und jammernd von dannen. Beim Erbprinzen von Weimar ist der Muth nicht so sehr zu bewundern, denn die Geister, die ihm allenfalls erscheinen könnten, sind immer seine Ahnherrn und lieben Anverwandten, von denen er wohl nichts zu be¬ fürchten hat. Der Schloßhauptmann machte mich noch aufmerksam, daß ich vom Fenster meines Schlafzimmers aus die Wache auf dem Schloßwalle rufen könnte, wenn ich in der Nacht Hilfe bedürfte. Ich Dr»n,b»den, t»4«. it. 24

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_365120/197>, abgerufen am 24.11.2024.