Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. II. Band.an die Bibliothek wagte ich meine Hand zu legen und das erste beste Den Morgen dieses Tages, es war ein Sonntag, brachte ich in "Dos klingt so lieblich, wie Musik, Nachmittag erwartete mich der Schloßhauptmann am Fuße des an die Bibliothek wagte ich meine Hand zu legen und das erste beste Den Morgen dieses Tages, es war ein Sonntag, brachte ich in „Dos klingt so lieblich, wie Musik, Nachmittag erwartete mich der Schloßhauptmann am Fuße des <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0193" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/182616"/> <p xml:id="ID_517" prev="#ID_516"> an die Bibliothek wagte ich meine Hand zu legen und das erste beste<lb/> Buch herauszuziehen: es war Bone! — Aber recht fühlte ich meine<lb/> Verlegenheit erst, als ich mich auskleiden wollte. Bei Gott, ich schämte<lb/> mich, und nur mit Zögern legte ich ein Stück der Kleidung nach dem<lb/> andern ab. — Ich ging zu Bette ; — aber wenn man mir Millionen<lb/> geboten hätte, ich war nicht im Stande, den Fuß zu heben, um es zu<lb/> besteigen, dieses jungfräuliche, reine, unentweihte Bett. — Ich glaubte<lb/> mir zu helfen, indem ich mich laut selbst auslachte — es war nicht<lb/> möglich, ich stand noch immer, das Licht in der einen, Bone in der<lb/> andern Hand, unentschlossen vor dem Bette. Ich fing endlich an mit<lb/> mir selbst zu sprechen, warf mir höhnisch Sentimentalität und Weich¬<lb/> lichkeit, Vorurtheile und Unmännlichkeit vor, fragte mich, ob ich<lb/> denn vor einer Lebenden so viel Furcht hätte, wie hier vor einer Tod¬<lb/> ten, und endlich — wandte ich mich, lief mit schnellen Schritten zurück<lb/> und warf mich auf'ö Sopha, wo ich bis zum späten Morgen vor¬<lb/> trefflich schlief.</p><lb/> <p xml:id="ID_518"> Den Morgen dieses Tages, es war ein Sonntag, brachte ich in<lb/> den Wäldern, die sich gegen Ruhla hinziehen, in den tiefen Schluchten<lb/> des Annathaleö, wo Du auf moosigen Wege gehst, während unter<lb/> Deinen Füßen wilde Bergbächlein brausen, auf der Höhe des Drachen¬<lb/> felsens, gegenüber dem fabelhaften Venusberge, in Gesellschaft uralter<lb/> Bäume und mährchenhafter Kreuzottern zu: aber all die Herrlichkeiten,<lb/> die sich mir hier offenbarten, will ich Dir nicht näher beschreiben, weil<lb/> ich wieder auf die Wartburg eile. Nur das, was ich auf diesem Spa¬<lb/> ziergange am meisten lieb gewonnen, will ich Dir nennen und das ist<lb/> die Musik der Hirtenglocken. Sie klingen hier nicht toll durcheinander,<lb/> sondern die einzelnen Glocken sind systematisch gestimmt und wie ste<lb/> zusammen tönen, geben sie eine liebliche Harmonie. Wie sie so milde<lb/> durch das Blätterrauschen des Waldes wehen, glaubst Du ferne<lb/> Sonntagskirchenglocken, oder das Liebeslied eines Alpenkindes zu hören<lb/> und ein Heimweh ergreift Dich und eine Sehnsucht — Du weißt<lb/> selbst nicht wohin und woher!</p><lb/> <quote> „Dos klingt so lieblich, wie Musik,<lb/> Wird wo ein Paar getraut!"</quote><lb/> <p xml:id="ID_519" next="#ID_520"> Nachmittag erwartete mich der Schloßhauptmann am Fuße des<lb/> Wartburgberges mit zwei gesattelten Eseln und wir ritten hin in die<lb/> Waldnacht. Der Schloßhauptmann liebt die Wartburg wie seine<lb/> Braut und hat es gern, wenn man sie mit allen ihren Reizen, in<lb/> ihrer ganzen Schönheit kennen lernt. So führte er mich meist an</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0193]
an die Bibliothek wagte ich meine Hand zu legen und das erste beste
Buch herauszuziehen: es war Bone! — Aber recht fühlte ich meine
Verlegenheit erst, als ich mich auskleiden wollte. Bei Gott, ich schämte
mich, und nur mit Zögern legte ich ein Stück der Kleidung nach dem
andern ab. — Ich ging zu Bette ; — aber wenn man mir Millionen
geboten hätte, ich war nicht im Stande, den Fuß zu heben, um es zu
besteigen, dieses jungfräuliche, reine, unentweihte Bett. — Ich glaubte
mir zu helfen, indem ich mich laut selbst auslachte — es war nicht
möglich, ich stand noch immer, das Licht in der einen, Bone in der
andern Hand, unentschlossen vor dem Bette. Ich fing endlich an mit
mir selbst zu sprechen, warf mir höhnisch Sentimentalität und Weich¬
lichkeit, Vorurtheile und Unmännlichkeit vor, fragte mich, ob ich
denn vor einer Lebenden so viel Furcht hätte, wie hier vor einer Tod¬
ten, und endlich — wandte ich mich, lief mit schnellen Schritten zurück
und warf mich auf'ö Sopha, wo ich bis zum späten Morgen vor¬
trefflich schlief.
Den Morgen dieses Tages, es war ein Sonntag, brachte ich in
den Wäldern, die sich gegen Ruhla hinziehen, in den tiefen Schluchten
des Annathaleö, wo Du auf moosigen Wege gehst, während unter
Deinen Füßen wilde Bergbächlein brausen, auf der Höhe des Drachen¬
felsens, gegenüber dem fabelhaften Venusberge, in Gesellschaft uralter
Bäume und mährchenhafter Kreuzottern zu: aber all die Herrlichkeiten,
die sich mir hier offenbarten, will ich Dir nicht näher beschreiben, weil
ich wieder auf die Wartburg eile. Nur das, was ich auf diesem Spa¬
ziergange am meisten lieb gewonnen, will ich Dir nennen und das ist
die Musik der Hirtenglocken. Sie klingen hier nicht toll durcheinander,
sondern die einzelnen Glocken sind systematisch gestimmt und wie ste
zusammen tönen, geben sie eine liebliche Harmonie. Wie sie so milde
durch das Blätterrauschen des Waldes wehen, glaubst Du ferne
Sonntagskirchenglocken, oder das Liebeslied eines Alpenkindes zu hören
und ein Heimweh ergreift Dich und eine Sehnsucht — Du weißt
selbst nicht wohin und woher!
„Dos klingt so lieblich, wie Musik,
Wird wo ein Paar getraut!"
Nachmittag erwartete mich der Schloßhauptmann am Fuße des
Wartburgberges mit zwei gesattelten Eseln und wir ritten hin in die
Waldnacht. Der Schloßhauptmann liebt die Wartburg wie seine
Braut und hat es gern, wenn man sie mit allen ihren Reizen, in
ihrer ganzen Schönheit kennen lernt. So führte er mich meist an
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