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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. II. Band.

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renden Hüten klangen hier herauf. Welche Stille, welche heilige Ein--
sanken! -- Mein theurer Freund! ich wünsche Dir alles Schöne und
Gute, darum wünsche ich Dir auch einen Juliabend auf der Wart¬
burg. -- Es wurde immer dunkler und dunkler und leise Nebel be¬
gannen aus den Tiefen der Wälder unter mir aufzusteigen und ver¬
hüllten wohlthätig das wunderbare Bild zu meinen Füßen, denn es
will dem schwachen Gemüthe des Menschen nicht taugen, zu lange
in die tiefen Herrlichkeiten der Natur zu schauen. Nur der Teich tief
unten im Thale blickte noch wie ein geisterhaftes Auge durch die
mvstischen Schleier.

Der Schloßhauptmann war mir nachgekommen und lud mich ein
den morgenden Nachmittag in seiner Gesellschaft die nächsten Umgebun¬
gen der Wartburg zu beschauen und dann die Nacht oben zuzubrin¬
gen. Mit welchem Vergnügen nahm ich diese Einladung an, und
mit voller überströmender Seele wanderte ich durch den Wald den
Berg hinab, nach Eisenach zurück. Als ich im Gasthause ankam, sah
ich, daß meine Wirthe verlegene Gesichter machten. Der Kellner hatte
einmal meine Sachen angenommen und man mußte für mich ein Nacht¬
lager besorgen -- aber alle Zimmer waren besetzt. Ich sah, daß gro¬
ßer Rath gehalten wurde, und nach langer Ueberlegung und langem
Hin- und Herreden wurde mir endlich ein Zimmer geöffnet. Ich er¬
kannte sogleich, daß es kein gewöhnliches Gastzimmer sei, denn hun¬
dert schöne Dinge, die nur einer zarten Frauenseele gehören konnten,
eine ausgewählte kleine Bibliothek und die schönste Ordnung zierten
das kleine Gemach. Auch sah ich es dem Kellner an, daß er es mir
nur mit Widerwillen öffnete. Auf mein Befragen, erzählte er mir,
daß dieses Zimmer der Tochter des Wirthes gehört habe, die vor kur¬
zer Zeit gestorben. Ich hatte schon auf der Wartburg von ihr, als
von einem schönen liebenswürdigen Wesen sprechen gehört, und auch
der Kellner sprach > .it Rührung von ihr und da er einmal angefan¬
gen, wußte er nicht wann mit der Schilderung dieser schönen Hinge¬
schiedenen zu enden. Aber am lautesten und beredtesten sprachen mir
die ausgewählten Bücher von ihr, et"d die holde Jungfräulichkeit, die
das ganze Zimmer durchwehte. -- Ich bin eben nicht sentimental --
aber doch war es mir sonderbar, daß ich als Eindringling die Zelle
einer todten Jungfrau, das verschwiegene Geheimniß einer Hingeschie¬
denen Mädchenseele, entweihen soll und scheu wie ein Sünder fühlte
ich mich in den vier stillen Wänden, die noch zu trauern schienen.
Mit Ehrfurcht betrachtete ich die Reliquien, ohne sie zu berühren, nur


renden Hüten klangen hier herauf. Welche Stille, welche heilige Ein--
sanken! -- Mein theurer Freund! ich wünsche Dir alles Schöne und
Gute, darum wünsche ich Dir auch einen Juliabend auf der Wart¬
burg. — Es wurde immer dunkler und dunkler und leise Nebel be¬
gannen aus den Tiefen der Wälder unter mir aufzusteigen und ver¬
hüllten wohlthätig das wunderbare Bild zu meinen Füßen, denn es
will dem schwachen Gemüthe des Menschen nicht taugen, zu lange
in die tiefen Herrlichkeiten der Natur zu schauen. Nur der Teich tief
unten im Thale blickte noch wie ein geisterhaftes Auge durch die
mvstischen Schleier.

Der Schloßhauptmann war mir nachgekommen und lud mich ein
den morgenden Nachmittag in seiner Gesellschaft die nächsten Umgebun¬
gen der Wartburg zu beschauen und dann die Nacht oben zuzubrin¬
gen. Mit welchem Vergnügen nahm ich diese Einladung an, und
mit voller überströmender Seele wanderte ich durch den Wald den
Berg hinab, nach Eisenach zurück. Als ich im Gasthause ankam, sah
ich, daß meine Wirthe verlegene Gesichter machten. Der Kellner hatte
einmal meine Sachen angenommen und man mußte für mich ein Nacht¬
lager besorgen — aber alle Zimmer waren besetzt. Ich sah, daß gro¬
ßer Rath gehalten wurde, und nach langer Ueberlegung und langem
Hin- und Herreden wurde mir endlich ein Zimmer geöffnet. Ich er¬
kannte sogleich, daß es kein gewöhnliches Gastzimmer sei, denn hun¬
dert schöne Dinge, die nur einer zarten Frauenseele gehören konnten,
eine ausgewählte kleine Bibliothek und die schönste Ordnung zierten
das kleine Gemach. Auch sah ich es dem Kellner an, daß er es mir
nur mit Widerwillen öffnete. Auf mein Befragen, erzählte er mir,
daß dieses Zimmer der Tochter des Wirthes gehört habe, die vor kur¬
zer Zeit gestorben. Ich hatte schon auf der Wartburg von ihr, als
von einem schönen liebenswürdigen Wesen sprechen gehört, und auch
der Kellner sprach > .it Rührung von ihr und da er einmal angefan¬
gen, wußte er nicht wann mit der Schilderung dieser schönen Hinge¬
schiedenen zu enden. Aber am lautesten und beredtesten sprachen mir
die ausgewählten Bücher von ihr, et»d die holde Jungfräulichkeit, die
das ganze Zimmer durchwehte. — Ich bin eben nicht sentimental —
aber doch war es mir sonderbar, daß ich als Eindringling die Zelle
einer todten Jungfrau, das verschwiegene Geheimniß einer Hingeschie¬
denen Mädchenseele, entweihen soll und scheu wie ein Sünder fühlte
ich mich in den vier stillen Wänden, die noch zu trauern schienen.
Mit Ehrfurcht betrachtete ich die Reliquien, ohne sie zu berühren, nur


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_365120/192>, abgerufen am 24.11.2024.