Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. II. Band.daß die beiden Zimmerchen sehr nett aussehen, netter als die Stube 23-i-
daß die beiden Zimmerchen sehr nett aussehen, netter als die Stube 23-i-
<TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0191" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/182614"/> <p xml:id="ID_514" prev="#ID_513" next="#ID_515"> daß die beiden Zimmerchen sehr nett aussehen, netter als die Stube<lb/> manches deutschen Poeten, und daß Herr von Arnswald sehr wenig<lb/> Anlage zu einem Hudson Löwe zu haben scheint, so hat man hier<lb/> noch eine Aussicht, wie man sie nicht oft im schönen Deutschland wie¬<lb/> derfindet. Mit Wehmuth dachte ich, wie ich in diesen „Staatsgefäng-<lb/> nissen" stand, an meinen heimathlichen Spiclberg und an die Mauer,<lb/> die man dort eigens aufführen ließ, um den Leidensgefährten Silvio<lb/> Pelileo's die Aussicht in die schöne Ebene von Austerlitz zu benehmen,<lb/> die sie etwa verbrecherischer Weise an ihr horniges Vaterland hätte<lb/> erinnern können. Es wäre ein schöner Stoff, ein Seitenstück zu Laube's<lb/> „französischen Lustschlössern" „deutsche Wehschlösser" zu schreiben? Wir<lb/> haben ihrer so viele: Der Spielberg, Spandau, Asperg, die Marburg,<lb/> Marburg — welch ein herrlicher, reicher, jammervoller Stoff! — Die<lb/> Wartburg würde darin die ärmste, darum vielleicht schönste Rolle spie¬<lb/> len, denn seit Jahren sind ihre „Staatsgefängnisse", in denen ich so<lb/> gerne einige Sommermonate zubringen möchte, leerund einsam! Man<lb/> sollte wahrhaftig nicht glauben, daß sie im Herzen Deutschlands liege.<lb/> Aus den Gefängnissen kamen wir in die Lutherstube und von da in<lb/> einige prächtig eingerichtete Zimmer, wo uns einige Damen mit Wein<lb/> und Thee erwarteten, denn es war indessen Abend geworden. Wäh¬<lb/> rend wir gemüthlich um den Tisch saßen, sielen die Strahlen der sinken¬<lb/> den Sonne durch die bunten Fensterscheiben in's Zimmer und durch¬<lb/> woben es mit hundertfarbigem Schleier. Die Sonne sank immer tie¬<lb/> fer, aber sie ließ goldene Furchen auf ihrem Wege zurück, die sich wie<lb/> goldene Brücken mit purpurnem Geländer, von einem Berge zum an¬<lb/> dern spannten. Welch ein herrliches Farbenspiel! Tief unten im Thale<lb/> schon dunkle Dämmerung, darüber das tiefe Grün der Wälder, das<lb/> gegen die Gipfel der Berge zu immer Heller und Heller wurde und<lb/> darüber die lichtgetränkte Luft, die aussah, als ob man sie fassen<lb/> könnte, wie ein seines Gewebe. So schön, so sanft leuchtend, habe<lb/> ich die Sonne nie gesehen, wie in diesem Augenblicke, da sie durch den<lb/> Wald nur noch milder lächelte. Mir that es weh, von ihr zu schei¬<lb/> den; noch einem Abschiedsgruß wollte ich von ihr erHaschen. Ich lief<lb/> Hinaus und mit Blitzesschnelle die Stufen des Thurmes hinan. Ich<lb/> kam im rechten Augenblicke — noch einmal strahlte sie mächtig empor,<lb/> noch einen Moment, und sie war hinter den Wäldern verschwunden.<lb/> Mit dem Lichte war auch jeder laute Ton des Tages dahin — nur<lb/> noch einzelne Lichtwölkchen, wie nachschreitende Pagen einer Königin,<lb/> warm dort zu sehen — nur noch einzelne Glockentöne der heimkeh-</p><lb/> <fw type="sig" place="bottom"> 23-i-</fw><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0191]
daß die beiden Zimmerchen sehr nett aussehen, netter als die Stube
manches deutschen Poeten, und daß Herr von Arnswald sehr wenig
Anlage zu einem Hudson Löwe zu haben scheint, so hat man hier
noch eine Aussicht, wie man sie nicht oft im schönen Deutschland wie¬
derfindet. Mit Wehmuth dachte ich, wie ich in diesen „Staatsgefäng-
nissen" stand, an meinen heimathlichen Spiclberg und an die Mauer,
die man dort eigens aufführen ließ, um den Leidensgefährten Silvio
Pelileo's die Aussicht in die schöne Ebene von Austerlitz zu benehmen,
die sie etwa verbrecherischer Weise an ihr horniges Vaterland hätte
erinnern können. Es wäre ein schöner Stoff, ein Seitenstück zu Laube's
„französischen Lustschlössern" „deutsche Wehschlösser" zu schreiben? Wir
haben ihrer so viele: Der Spielberg, Spandau, Asperg, die Marburg,
Marburg — welch ein herrlicher, reicher, jammervoller Stoff! — Die
Wartburg würde darin die ärmste, darum vielleicht schönste Rolle spie¬
len, denn seit Jahren sind ihre „Staatsgefängnisse", in denen ich so
gerne einige Sommermonate zubringen möchte, leerund einsam! Man
sollte wahrhaftig nicht glauben, daß sie im Herzen Deutschlands liege.
Aus den Gefängnissen kamen wir in die Lutherstube und von da in
einige prächtig eingerichtete Zimmer, wo uns einige Damen mit Wein
und Thee erwarteten, denn es war indessen Abend geworden. Wäh¬
rend wir gemüthlich um den Tisch saßen, sielen die Strahlen der sinken¬
den Sonne durch die bunten Fensterscheiben in's Zimmer und durch¬
woben es mit hundertfarbigem Schleier. Die Sonne sank immer tie¬
fer, aber sie ließ goldene Furchen auf ihrem Wege zurück, die sich wie
goldene Brücken mit purpurnem Geländer, von einem Berge zum an¬
dern spannten. Welch ein herrliches Farbenspiel! Tief unten im Thale
schon dunkle Dämmerung, darüber das tiefe Grün der Wälder, das
gegen die Gipfel der Berge zu immer Heller und Heller wurde und
darüber die lichtgetränkte Luft, die aussah, als ob man sie fassen
könnte, wie ein seines Gewebe. So schön, so sanft leuchtend, habe
ich die Sonne nie gesehen, wie in diesem Augenblicke, da sie durch den
Wald nur noch milder lächelte. Mir that es weh, von ihr zu schei¬
den; noch einem Abschiedsgruß wollte ich von ihr erHaschen. Ich lief
Hinaus und mit Blitzesschnelle die Stufen des Thurmes hinan. Ich
kam im rechten Augenblicke — noch einmal strahlte sie mächtig empor,
noch einen Moment, und sie war hinter den Wäldern verschwunden.
Mit dem Lichte war auch jeder laute Ton des Tages dahin — nur
noch einzelne Lichtwölkchen, wie nachschreitende Pagen einer Königin,
warm dort zu sehen — nur noch einzelne Glockentöne der heimkeh-
23-i-
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